Der Aalener Hochschullehrer Christian Kreiß geht mit seiner Branche hart ins Gericht. Die Wissenschaft werde immer abhängiger von externen Finanzierungsquellen – und deswegen in zunehmendem Maß interessengeleitet.
Stuttgart - Christian Kreiß ist die Welt des großen Geldes vertraut. Der BWL-Professor an der Hochschule Aalen hat sieben Jahre lang als Investmentbanker gearbeitet. Die Finanzierung des Wiederaufbaus von ins Trudeln geratenen Firmen, ihr Ausbau, die Steigerung der Wirtschaftlichkeit – das war sein Geschäft. „Superspannend“ war die Zeit, sagt der 55-Jährige. Nur: Irgendwann dämmerte ihm, dass „ich viele Multimillionäre geschaffen habe zu Lasten der Arbeitnehmer“.
So wurde der Investmentbanker zum Kritiker des Investmentbankings – und nach dem Ruf der Hochschule Aalen 2002 zum Professor. Diese Welt der Forschung und Lehre aber sieht Kreiß mittlerweile bedroht. Die Freiheit der Wissenschaft ist in Gefahr, davon ist er überzeugt. Die Forschung werde zunehmend gegängelt und gesteuert von wirtschaftlichen Interessen.
„Die Frage ist: Was fällt unter den Tisch?“
Laut Stifterverband der deutschen Wissenschaft, der Unternehmen und Hochschulen bei der Einrichtung von Stiftungsprofessuren unterstützt, gibt es bundesweit bereits 800 privat geförderte Lehrstühle an Hochschulen und Universitäten. Firmen seien dabei die wichtigsten Geldgeber, sie spendieren 60 Prozent der Stiftungsprofessuren – Tendenz steigend.
„Cui bono?“, fragt Christian Kreiß: Wem nützt es? Er unterstellt seinen Forscherkollegen, deren Stellen von Firmen finanziert werden, nicht, dass sie sich korrumpieren ließen. „Ich spreche nicht von Korruption“, das betont er. Doch gesteuert werde die Wissenschaft schon allein dadurch, welche Lehrstühle bezahlt würden – und welche eben nicht. „Die Frage ist doch: Welche Themen fallen unter den Tisch?“
Die Unis sind zunehmend abhängig von Drittmitteln
Im Bereich der Verbrennungsmotoren etwa werde – gesponsert von der Automobilindustrie – geforscht, was das Zeug hält. Dabei verweist er auf die vom Land geförderte Forschungsoffensive Cyber Valley, die sich mit Maschinellem Lernen, Robotik und Computer Vision befasst. Dabei geht es auch um autonomes Fahren. Partner der teilnehmenden Hochschulen sind dabei unter anderem BMW, Daimler und Porsche – „warum nicht die SSB und die Deutsche Bahn?“, fragt Kreiß. „Die großen Automobilkonzerne machen die Verkehrspolitik der Zukunft. Das ist ein Desaster.“
Der Finanzierungsprofessor kritisiert aber nicht nur die Stiftungsprofessuren. Er bemängelt, dass Universitäten und Hochschulen zunehmend abhängig seien von so genannten Drittmitteln. Dazu gehören Gelder, die über die finanzielle Grundausstattung des Landes hinaus eingeworben werden für die wissenschaftliche Arbeit. Das Geld kommt dabei nicht nur von Stiftungen oder Firmen, sondern vor allem von öffentlichen Länder-, Bundes- oder EU-Programmen oder der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die allein jährlich die wissenschaftliche Arbeit mit drei Milliarden Euro unterstützt.
Teilweise hat sich der Drittmittel-Anteil mehr als verdoppelt
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes wurden im Jahr 2016 mehr als jede vierte der insgesamt 225 000 Vollzeitstellen an bundesdeutschen Hochschulen über Drittmittel finanziert. 2006 lag der Anteil noch bei 20 Prozent. Eine Anfrage unserer Zeitung an die neun Universitäten in Baden-Württemberg zu ihren Geldquellen beantworteten sie gemeinsam durch die Landesrektorenkonferenz. Die Budgets seien nicht vergleichbar, erklärte deren Sprecherin, weil einige Universitäten kaufmännisch Buch führen, andere noch einen kameralen Haushalt aufstellten. Doch der Trend sei klar. Die Drittmittel-Einnahmen der Unis im Land seien gestiegen. Von 2005 bis 2015 hätten sie sich teilweise sogar mehr als verdoppelt: etwa bei den Universitäten Freiburg, Heidelberg, Konstanz und Ulm.
Eitel: Stiftungsprofessuren ermöglichen zusätzlich Forschung
„Die Universitäten dürfen nicht abhängig werden von der Drittmittelfinanzierung“, sagt Bernhard Eitel, der Vorsitzende der Landesrektorenkonferenz und Rektor der Universität Heidelberg. Universitäten würden mittlerweile etwa zur Hälfte über Drittmittel finanziert. Das sei durchaus grenzwertig, findet auch Eitel: Die finanzielle Grundausstattung der Universitäten müsse Schritt halten mit dem Geld, dass die Wissenschaftler aus diversen öffentlichen Kassen und Fördertöpfen, von Stiftungen oder aus der Wirtschaft einwerben.
Trotzdem warnt der Unirektor vor Schwarzweiß-Malerei: Die Frage sei nicht, wer welche Professur stifte. „Die Frage ist: Kann der Kollege dann unabhängig forschen und lehren?“ Und solange dies der Fall sei, so Eitel, habe er kein Problem mit Stiftungsprofessuren, die als Zugabe zusätzliche Forschung ermöglichten. Schwierig seien aber sehr wohl die vielen, eher kleinteiligen Förderprogramme, für die die Kollegen lange, aufwendige Anträge für vergleichsweise wenig Geld stellten. „Die vielen Drittmittel gehen zu Lasten unserer Infrastruktur“, weil sie eben auch immer mit einem gewissen Verwaltungsaufwand verbunden seien.
„Als Rektor muss man eben Rückgrat aufbringen“
Eitel fordert deshalb, Bund und Länder sollten die Programmpauschalen für Verwaltungsausgaben erhöhen. Aktuell erhält jede Uni 22 Cent für einen Euro Forschungsgeld. Die Hochschulrektorenkonferenz beziffert den Bedarf aber auf mindestens das Doppelte. Die Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, die Pauschale perspektivisch auf 30 Cent zu erhöhen. „Das ist ein Schritt in die richtige Richtung“, sagt Eitel.
Es ist nicht genug, findet Christian Kreiß. Er verweist darauf, dass viele Stiftungsprofessuren befristet sind und anschließend von der öffentlichen Hand finanziert weiter geführt würden. Die Zahl der von wirtschaftlichen Interessen initiierten Professuren wachse so stetig.
„Da muss man als Rektor eben ein bisschen Rückgrat aufbringen“, sagt dagegen Bernhard Eitel. „Wir lassen uns die Struktur der Hochschule nicht von außen vorgeben.“ An baden-württtembergischen Unis indes finden sich Beispiele für beide Fälle: An der Universität Konstanz etwa sind eigenen Angaben zufolge drei Stiftungsprofessuren nach zehn Jahren Förderung mittlerweile über den Unietat finanziert; eine Juniorprofessur wurde nach dem Ende der Laufzeit nicht weiter geführt.