Parkplatz und ein Hundeklo mit Stein und Schildern – der Gedenkort für die Cannstatter Synagoge löst Kritik aus. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Besonders der Platz der früheren Synagoge in Bad Cannstatt löst Missverständnisse und Kopfschütteln aus. Die Stadt hat eine Stelle zur Betreuung von Erinnerungsstätten noch nicht besetzt. Die Israelitische Gemeinde verzeichnet verstärkt Anrufe mit Beschimpfungen.

Stuttgart - Der Mann traut seinen Augen kaum. Als er sein Auto auf einem Parkplatz in Bad Cannstatt abstellt, fällt sein Blick auf ein Schild. Es ist in Schwarz-weiß gehalten und trägt eine merkwürdige Aufschrift. „Politische Führung am 30.1.1933 geändert“ steht da. Weil er weiß, dass an dieser Stelle an der König-Karl-Straße früher die Cannstatter Synagoge stand, macht sich ein ungutes Gefühl bei ihm breit. Was, wenn sich dort womöglich Rechtsradikale einen makabren Scherz erlaubt haben?

Das Ganze ist ein großes Missverständnis. Denn das Schild gehört zum benachbarten Gedenkstein für die jüdischen Mitbürger. Seit 1961 erinnert er an die Opfer der Nationalsozialisten. Doch dass es zu solchen Fehlinterpretationen kommt, wundert so manchen nicht. „Das ist einer der unwürdigsten Gedenkorte Stuttgarts, für den man sich nur schämen kann“, sagt Andreas Keller, als Vorsitzender des „Zeichens der Erinnerung“ am Nordbahnhof, von wo aus Juden deportiert wurden, bestens mit dem Thema Gedenkstätten vertraut. Bis zur Reichspogromnacht sei in Bad Cannstatt die zweite große Synagoge Stuttgarts gestanden. „Daran wird nun mit einem kaum wahrnehmbaren Gedenkstein erinnert in einer Art Gartenanlage, die gern als Hundeklo benutzt wird, mit Parkplatz daneben“, sagt er.

Dieses Schicksal teilt der Erinnerungsort mit manchem anderen der rund 40 in Stuttgart. Das Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus am Alten Schloss wird regelmäßig als Toilette missbraucht. Für Keller ist die Situation in der König-Karl-Straße „skandalös, aber leider Symptom für die Erinnerungskultur in Stuttgart“. Das Hotel Silber sei durch eine Graswurzel-Bürgerbewegung erzwungen worden. Politik und Verwaltung sonnten sich jetzt in diesem Projekt, während die anderen Gedenkorte wieder in Vergessenheit gerieten. „Ich verweise nur auf den Hauptfriedhof mit den Grabfeldern der Euthanasie-Opfer und der Zwangsarbeiter“, nennt Keller ein weiteres Beispiel in Bad Cannstatt.

Unterstützung für Engagierte gefordert

Was die Stuttgarter Gedenkstätten anbelangt, hat man auch bei der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs (IRGW) eine gespaltene Meinung. „Es ist erfreulich, dass es mehrere davon gibt“, sagt die Vorstandssprecherin Barbara Traub. Allerdings würden sie teilweise von der Stadt „recht stiefmütterlich“ behandelt. Es sei dem runden Tisch der Religionen zu verdanken, dass das Thema durch einen Gedenktag einmal im Jahr eine gewisse Aufwertung erfahren habe. Gerade am Erinnerungsort für die ehemalige Synagoge in Bad Cannstatt gehöre seit Jahren etwas gemacht. Dass mancher Passant gar nicht versteht, um was es dort geht, verwundert sie nicht: „Die Gedenkstätte ist als solche kaum erkennbar.“ Sie wünscht sich mehr Anerkennung auch für die Menschen, die sich um das Erinnern kümmern: „Die Menschen machen eine wichtige Arbeit. Man sollte ihnen den Rücken stärken.“

Anlass dafür gibt es genug. Bundesweit ist die Zahl der antisemitischen Straftaten im vergangenen Jahr massiv gestiegen. In Stuttgart haben zuletzt immer wieder rechtsradikale Demonstranten auf sich aufmerksam gemacht. Die Auseinandersetzungen zwischen dem rechten und dem linken Lager nehmen zu. Auch die IRGW spürt, dass die allgemeine Lage mit Coronakrise und zunehmender Politisierung an den Flügeln einen Nährboden für Antisemitismus bietet. „Es gibt Anrufe mit Beschimpfungen. Die kommen regelmäßiger und gezielter als sonst“, sagt Barbara Traub. Auch die Verwendung des gelben Judensterns im Zuge von Demos gegen die Coronamaßnahmen stellt für sie einen nicht hinnehmbaren Auswuchs dar: „Man verwendet dieses Symbol völlig missbräuchlich und verharmlost damit das Nazi-Regime. Das ist auch antisemitisch aufgeladen.“

Vandalismus oder Beschimpfungen verzeichnet man derzeit weder beim „Zeichen der Erinnerung“ noch bei den Stolperstein-Initiativen, die sich darum kümmern, dass an vielen Stellen der Stadt kleine Steine im Straßenpflaster an Nazi-Opfer erinnern. Doch sie alle fordern einen besseren Umgang mit dem Erinnern. „Im neuen Doppelhaushalt der Stadt sind Mittel für eine Stelle zur Erinnerungskultur eingestellt – umgesetzt wurde bislang nichts“, sagt Andreas Keller. Auch die IRGW würde einen solchen Ansprechpartner schätzen. Doch bei der Stadt heißt es dazu: „Bedingt durch die Corona-Pandemie ist die Ausschreibung der Stelle bislang noch nicht erfolgt.“ Das Schattendasein mancher Gedenkstätte geht also weiter.