Die Debatte über G8 oder G9 sollte die Auswirkungen auf andere Schularten berücksichtigen, meinen Bildungsprofessoren. Foto: picture alliance//rmin Weigel

Bildungswissenschaftler machen sich für einen klaren Zehnjahresplan zur Verbesserung der Bildung in Baden-Württemberg stark. Warum die Debatte über G9 dabei nicht hilft.

Führende Bildungswissenschaftler aus Baden-Württemberg schlagen Alarm. Der Lehrermangel wird dramatisch, sagten Thorsten Bohl, Anne Sliwka und Albrecht Wacker unserer Zeitung: „Wenn das so weiter geht, werden die nächsten Generationen erhebliche Verluste erleiden.“ Benachteiligte Schüler würden weiter benachteiligt, bessere immer mehr gefördert. „Baden-Württemberg beschäftigt sich bei Schulstrukturfragen häufig mit sich selbst und löst die Probleme der Zukunft nicht“, kritisiert Bohl, der Leiter der Tübingen School of Education. Die erneute Diskussion über flächendeckend neunjährige Gymnasien wirke sich negativ aus. „Die isolierte G9-Diskussion beachtet nicht die Nebenwirkungen“, moniert Bohl. Nötig sei eine Gesamtstrategie.

Nach dem Vorbild des Automobildialogs schlagen die Wissenschaftler einen Strategiedialog für die Bildung im Land vor. „Das muss Chefsache werden“, betont Bohl. Die Professorin und die Professoren fordern Ministerpräsident Winfried Kretschmann auf, zusammen mit den Ministerinnen für Kultus (Theresa Schopper, Grüne) und für Wissenschaft (Petra Olschowski, Grüne) noch in diesem Jahr den Dialog zu starten. Ziel soll ein Maßnahmenkatalog sein, der spätestens in zehn Jahren umgesetzt sein sollte.

„Das ganze Gefüge muss auf den Tisch. Wir müssen das Schulsystem deutlich weiterentwickeln“, sagt Anne Sliwka von der Universität Heidelberg. Das Land brauche „eine Zehnjahresperspektive mit eindeutigen Zielen und Prozessen, um die Probleme zu lösen und Schritt für Schritt mehr Qualität ins System zu bringen“.

Das ganze System in den Blick nehmen

An dem Dialog sollten Politiker aller Parteien und Wissenschaftler, Eltern, Schüler, Lehrer, Schulträger und Schulleitungen beteiligt werden. „Die Probleme sind jetzt so groß, dass eine übergreifende Diskussion, die über partikulare Teilinteressen einzelner Akteure hinausweist, dringend notwendig ist“, sagt Albrecht Wacker von der PH Ludwigsburg. Die Debatte ist neu entflammt, weil eine Elterninitiative einen Volksantrag zur flächendeckenden Einführung von G9 in Baden-Württemberg angestoßen hat.

Ministerpräsident Kretschmann und Kultusministerin Schopper haben Gesprächsbereitschaft signalisiert. Beide sehen die Ausweitung von G9 aber skeptisch. CDU-Fraktionschef Manuel Hagel zeigt sich offener. Sein Argument: Das einst von Kultusministerin Annette Schavan (CDU) ausgerufene Ziel, die jungen Menschen früher ins Berufsleben zu bringen, sei mit G8 nicht erreicht worden. In der laufenden Legislaturperiode will Hagel aber den mit den Grünen ausgehandelten Schulfrieden wahren. Offen zeigt sich Hagel auch für eine gebührenfreie Kita, wie sie von der Landes-SPD schon lange gefordert wird. Die CDU ist bisher vehement dagegen.