Hinter Bundestrainer Joachim Löw liegt ein schwieriges Jahr. Im Hintergrund: Leroy Sané Foto: AP

Ein miserables Jahr geht zu Ende – der Fußball-Bundestrainer will 2019 mit Gelassenheit und Reformwillen die Wende schaffen: „Jetzt haben wir eine richtige Ohrfeige kassiert. Aber es geht weiter.“ Viel Zeit wird er für den Neuanfang allerdings erst einmal nicht haben.

Kaiserau - Normal, das war so etwas wie das Lieblingswort des Joachim Löw am Sonntagmittag in Kaiserau, dort also, wo die Nationalelf vor dem Spiel in der Nations League gegen die Niederlande in Gelsenkirchen an diesem Montag (20.45 Uhr/ARD) im Sportzentrum wohnt. Wer weiß, vielleicht hat sich Löw vom eher schlicht und sportlich gehaltenen Ambiente der Unterkunft inspirieren lassen – schon der große, überdimensionale Fußball draußen am Eingangsbereich zeigt, um was es hier knapp 45 Kilometer östlich von der Schalker Arena gehen soll: um den Sport, und um nichts anderes.

Alles wirkte also irgendwie normal – für Löw auch im übergeordneten Sinne. Es war Zeit, um Bilanz zu ziehen vor dem letzten Länderspiel des Jahres. Und Löw gab mal wieder den in sich ruhenden Mann, der über den Dingen steht und an dem jeder Buddha wohl seine helle Freude hätte: „Dass es nach acht, neun oder zehn Jahren, in denen wir an der Spitze waren, ein Jahr gibt, in dem nichts zusammen geht, war für mich normal“, sagte er. Wenn man sich Nationen wie Brasilien, Argentinien, Frankreich oder England ansieht, so Löw weiter, „dann ging es denen genauso“. Dass man einmal in eine Umbruchphase kommt, ergänzte Löw, sei genau dies: „Ganz normal.“

Joachim Löw verweist auf Krisen anderer Fußballnationen

Das blamable WM-Aus im Sommer in Russland scheint für Löw schon wieder so etwas wie ein Ereignis aus einer fernen Zeit zu sein, und wer weiß, vielleicht läuft die WM, wenn sie bei Löw in ruhigen Minuten vor dem geistigen Auge noch mal abläuft, schon in Schwarz-Weiß, wie ein Film vor 100 Jahren. Ein bisschen skurril mutete seine Argumentation vom Sonntag schon an – denn der Verweis auf die anderen Nationen, bei denen es auch mal nicht gelaufen ist, den gab es schon einmal in diesem Jahr.

Es gab kaum einen Tag im WM-Trainingslager Ende Mai in Südtirol, an dem ein Vertreter der Nationalelf nicht betonte, dass man ganz sicher nicht wie andere frühere amtierenden Weltmeister bei der nächsten WM in der Vorrunde ausscheide. Jetzt also nutzt Löw die vergangenen Schwächen großer Fußballnationen als Argument, was an sich ja schon nicht sehr stichhaltig ist. Die anderen haben auch mal geschwächelt, jetzt dürfen wir es auch – das ist Löws Sicht auf die Dinge. „Es läuft nicht immer so, wie man es sich wünscht“, sagte er am Sonntag noch: „Wir waren in den letzten zehn Jahren die konstanteste Nation. Jetzt haben wir eine richtige Ohrfeige kassiert. Aber es geht weiter.“

Neuausrichtung mit jungem Personal und viel Tempo

Das tut es, und zwar mit Löw. Mit jenem Mann also, der mit seinem personellen und taktischen Umbruch im Oktober beim Nations-League-Spiel in Paris in Frankreich (1:2) seine wohl letzte Chance genutzt hat, um im Amt zu bleiben. Die Neuausrichtung mit jungem Personal, mit viel Tempo und Rochaden im Spiel und einer flexiblen Dreierkette in der Abwehr fand am vergangenen Donnerstag ihre Fortsetzung bei 3:0 gegen Russland in Leipzig – im neuen Jahr will Löw das fortführen. „Wir müssen jetzt aus dem für uns enttäuschenden Jahr die richtigen Lehren ziehen und Maßnahmen ergreifen“, sagte er: „Bei der WM haben wir gesehen, dass in unserem Spiel Dynamik und der Killerinstinkt fehlte. Das Spiel war zu sehr in die Breite angelegt. Das Spiel muss wieder zielstrebiger in Richtung gegnerisches Tor stattfinden.“

Diese Erkenntnis wiederum ist nicht neu, auch für Löw nicht, für den ein denkwürdiges Fußballjahr zu Ende geht – ein denkwürdig schlechtes. Bei der WM in Russland waren er und sein Team, die Weltmeister von 2014, grandios gescheitert – mit ihrer selbstgefälligen Haltung, dass das Weltmeistersein schon irgendwie ausreichen werde, um nach schwieriger Vorbereitung während des Turniers in die Spur zu finden. Es folgte das Theater um den Rücktritt von Mesut Özil.

Nur zwei Länderspiele im ersten Halbjahr 2019

Löw tauchte nach dem WM-Aus erst acht Wochen lang ab und ging dann bei seiner Analyse Ende August in München hart mit sich selbst ins Gericht. Löw bezeichnete die taktische Ausrichtung als seinen „allergrößten Fehler“. Es sei das Vorhaben gewesen, mit dominantem Ballbesitzfußball durch die Vorrunde zu kommen: „Ich wollte das auf die Spitze treiben, das perfektionieren. Da war ich fast arrogant. Da gibt es nichts zu beschönigen“, sagte er damals.

Einen großen personellen und taktischen Umbruch gab es in der Folge jedoch nicht. Der Coach setzte nach wie vor auf seine Weltmeister von 2014 – und eher weniger auf die jüngeren, nachrückenden Spieler wie Leroy Sané. Es brauchte erst die krachende 0:3-Niederlage im Oktober gegen die Niederlande, dass bei Löw ein Umdenken stattfand. Aus dem Umbrüchle wurde ein Umbruch – ohne den Löw bei weiteren schwachen Auftritten und Ergebnissen nicht mehr tragbar gewesen wäre, da war sich die Spitze des DFB dem Vernehmen nach einig. Jetzt scheint Löw willens, den Neuanfang im nächsten Jahr wirklich voranzutreiben – er hat es verstanden, dass es keinen anderen Weg mehr gibt.

Fakt ist: Wirklich viel Zeit für seinen Umbruch wird Löw erst mal nicht zur Verfügung haben. Denn erst im März steigen die nächsten Länderspiele, und danach geht es – abhängig von der Auslosung der EM-Qualifikationsgruppen – erst im Sommer oder Herbst weiter. Heißt konkret: Es wird im ersten Halbjahr 2019 nur zwei Länderspiele geben. Der Umbruch des Joachim Löw wird allein schon deshalb ein längerfristig angelegtes Projekt sein.