Bei Unfällen der Stadtbahn sind oft auch die Fahrer betroffen. Foto: dpa

Schon kleine Unfälle können für Stadtbahn-Fahrer eine starke Belastung sein. Wie den Fahrern konkret geholfen werden kann, darüber haben wir mit Martin Merz vom Kriseninterventionsteam Stuttgart der Johanniter-Unfall-Hilfe gesprochen.

Stuttgart - Rund 50 Unfälle passieren pro Jahr im Öffentlichen Personennahverkehr von Stuttgart, etwa bei den Stadtbahnen der SSB . Für die Stadtbahnfahrer können dabei schon kleine Unfälle eine schwere Belastung sein. In dieser Situation hilft das Kriseninterventionsteam Stuttgart der Johanniter-Unfall-Hilfe e.V. den Betroffenen noch vor Ort. Wie die Fahrer nach einem Stadtbahnunfall unterstützt werden, erklärt Teamleiter Martin Merz im Interview.

Wenn in Stuttgart eine Stadtbahn entgleist oder auf ein Auto prallt, sind neben Polizei und Notarzt auch Sie vom Kriseninterventionsteam (Johanniter-KIT) oft zur Stelle. Welche Aufgabe haben Sie genau am Unfallort?
Unsere Aufgabe ist es, etwas Ordnung und Sicherheit in das Chaos zu bringen. Wir kümmern uns also gegebenenfalls um Augenzeugen des Unfalls oder um Leute in der Stadtbahn, die eher psychisch als körperlich verletzt sind. Sobald wir an der Unfallstelle eintreffen, schauen wir aber als erstes nach dem SSB-Fahrer, der in der Regel der Hauptbetroffene ist. Damit er wegkommt vom belastenden Unfallgeschehen und nicht dem Trubel von Presse und Gaffern ausgesetzt ist, nehmen wir ihn zu uns ins Einsatzfahrzeug. So entlasten wir nicht nur die anderen Einsatzkräfte vor Ort, sondern können auch die intensivsten Stressreaktionen des Fahrers lindern helfen.
Das heißt: In welcher Verfassung treffen Sie die Fahrer an?
Das ist ganz unterschiedlich. Wie jemand reagiert, hängt weniger von der Schwere des Unfalls ab als davon, welcher Typ der Fahrer ist. Manche sind völlig gelassen und fühlen sich relativ gut. Das ist gar nicht so selten. Manche sind dagegen schwer traumatisiert und völlig verzweifelt. Sie laufen dann zum Beispiel ziellos umher, wissen nicht wohin mit sich, zittern am ganzen Körper oder haben Weinkrämpfe.
Wie können Sie den Menschen dann konkret helfen?
Je nach Schwere des Schocks messen wir Blutdruck oder den Blutzucker. Nicht nur, um gegebenenfalls weiteres medizinisches Personal hinzuzuziehen, sondern auch, damit der Fahrer körperlich spürt, dass man sich um ihn kümmert. Er soll merken: Hier ist jemand nur für mich da. Besonders wichtig ist da dann auch das Gespräch. Manche reden schon von allein wie ein Wasserfall, andere sind in sich zusammengesackt und können erst mal nicht aus sich herauskommen.
Welche Gefühle müssen in diesem Moment verarbeitet werden?
Primär geht es um Schuldgefühle; selbst dann, wenn von vornherein klar ist, dass gar keine Schuld vorhanden ist. Auch das Hinterfragen „Was wäre, wenn ich eine Bahn später gefahren wäre“ spielt eine große Rolle. Beides gehört aber dazu, wenn das Gehirn einen Unfall verarbeitet. Deshalb sagen wir den Fahrern keinesfalls: „Nein, Sie sind nicht schuld!“ Eher versuchen wir, die Fakten zum Unfall aufzugreifen und verweisen beispielsweise auf einen Fußgänger, der die Ampel missachtet hat. In jedem Fall gilt es herauszustellen, dass der Unfall unausweichlich so passiert ist und man jetzt damit umgehen muss. Was bei Fahrern oft ein Thema ist, dass sie früher einen schweren Unfall hatten und bei einem kleinen Unfall psychisch auf diesen Stand zurückgeworfen werden.
Hat es auch medizinische Gründe, warum versucht wird, dass die Fahrer noch am Unfallort die Geschehnisse verarbeiten?
Tatsächlich steigt die Chance, eine langfristige Traumatisierung zu verhindern, wenn jemand eine schnelle psychische Betreuung erhält. Und in der Regel reicht es auch aus, wenn wir im akuten Fall helfen. Das kann aber schon manchmal bis zu vier Stunden dauern.

Info: Seit 20 Jahren betreut das Kriseninterventionsteam Stuttgart (Johanniter-KIT) Menschen, die nach einem Notfall unter starken seelischen Belastungen leiden oder unter akutem psychischem Schock stehen. Für diese Arbeit ist das Johanniter-KIT auf das Engagement von Ehrenamtlichen angewiesen: mitmachen@kit-stuttgart.de