Martin Merz leitet das Kriseninterventionsteam und ist seit acht Jahren dabei. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Martin Merz leitet das Kriseninterventionsteam (Kit) der Johanniter Unfallhilfe. Das Team feiert sein 20-jähriges Bestehen. Im Interview spricht er über die Belastungen der Aufgabe und über die Fähigkeiten, die ein Ehrenamtlicher haben muss.

Stuttgart -

 

Die Ehrenamtlichen des Kriseninterventionsteams (Kit) helfen Stadtbahnführern nach Unfällen, Angehörigen nach einem Todesfall oder Augenzeugen schwerer Unfälle. Martin Merz, der Leiter des Teams, erläutert, wie die Mitarbeiter damit umgehen.

Herr Merz, Sie kommen in Extremsituationen, nach schweren Unfällen oder Todesfällen, zu den Menschen. Können Sie sagen, was das Schlimmste war, was sie erlebt haben?
Natürlich ist es für uns immer sehr schwer, wenn Kinder betroffen sind – wenn Kinder sterben oder wenn sie ihre Eltern verlieren. Das ist immer eine neue Herausforderung. Klassifizieren kann man unsere Einsätze aber nicht. Dafür ist unser Aufgabenfeld zu vielfältig, jede Situation ist anders.
In welchem Zustand sind die Menschen, zu denen Sie kommen?
Das sind sehr unterschiedliche Zustände. Natürlich sind viele schwer trauernd, wenn ein Angehöriger gestorben ist. Bei Todesfällen kommen wir, wenn der Rettungsdienst den Eindruck hat, dass die Person überfordert ist oder kein soziales Umfeld da ist. Dann muss einfach jemand anwesend sein. Da sein – das ist unser Job. Bei Verkehrsunfällen oder nach einem Suizid eines Angehörigen sprechen wir unter Umständen auch von schweren Traumatisierungen.
Wie geht man in die Situation rein?
Es ist nicht planbar. Für uns steckt immer am Anfang ein Überraschungsmoment drin. Wir haben zwar schon über die Leitstelle unsere Stichworte und wissen grob, worum es geht. Aber reagieren kann man erst, wenn man sieht, was passiert ist. Es gibt kein Patentrezept.
Was tut man dann, um in Kontakt zu kommen und Vertrauen aufzubauen?
Unsere Ausbildung ist sehr ausführlich. Da haben wir unsere Mechanismen, mit denen wir vorgehen. Wir gehen behutsam auf die Menschen zu, sagen, dass wir da sind, um uns um sie zu kümmern – im Gegensatz zum Rettungsdienst, der die Verletzten versorgt. Wir schweigen oder hören zu. Oft bieten wir erst etwas zu trinken an oder messen den Blutdruck. Das ist vielleicht nicht medizinisch notwendig, aber es vermittelt das Gefühl, dass man umsorgt ist.
Treffen Sie die Menschen, denen Sie helfen, wieder?
Das Kriseninterventionsteam versteht sich als Akuteinheit. Wir sind nur in der Notfallsituation da. Ein weiterer Kontakt ist nicht geplant. Es kann sein, man geht vom Unfallort und für einen Verletzten wird eine gute Prognose gestellt – und dann liest man am nächsten Tag in der Zeitung, dass er oder sie gestorben ist. Aber normalerweise erfahren wir nach unserem Einsatz nichts. Wir hinterlassen Adressen von Einrichtungen, an die sich die Betroffenen wenden können. Und nehmen die Unwissenheit mit, wie es ausgeht. Wir fragen nicht nach – das dürfen wir auch nicht. Das ist ein sehr schwieriger Aspekt, gerade auch für die Anfänger.
Nimmt man von den Einsätzen viel mit nach Hause?
Sicherlich. Und es hat bestimmt auch viel mit der erforderlichen Empathiefähigkeit zu tun, dass wir hier nicht mit Leuten arbeiten, die alles schnell verdrängen oder vergessen können. Unsere Aufgabe ist, mit einer schwierigen Situation umzugehen. Und dazu gehört auch, sie zu verarbeiten. Wer einfach einen Schalter umlegt und weitermacht, ist bei uns nicht richtig.