Theresa May bekommt im Streit um ihr Abkommen zum EU-Austritt nun auch Rückendeckung von Brexit-Befürwortern – was für Erleichterung im Regierungssitz sorgt. Foto: AFP

Der historische Abschluss des Brexit-Entwurfs hat die britische Regierung in eine tiefe Krise gestürzt. Gegner der Regierungschefin Theresa May tun alles in ihrer Macht stehende, sie zu stürzen. Dies könnte schon bald gelingen.

London - Der Freitag begann schlecht für die Premierministerin. Ihr früherer Kulturminister John Whittingdale schrieb ihr, leider habe er „keine Alternative zu einem Misstrauensantrag“ mehr gesehen. Whittingdales Parteikollege Mark Francois ließ Theresa May wissen, sie habe „nicht hören“ wollen – nun müsse sie fühlen. „Dumm und dämlich“ habe man sich geredet, um May von ihrem Brexit-Deal mit der EU abzuhalten. Aber genützt habe es letztlich nichts.

Gegner müssen 48 Briefe sammeln, um May zu stürzen

Schon vor Whittingdale und Francois hatte der Führer der Brexit-Hardliner bei den Konservativen, Jacob Rees-Mogg, zum Aufstand gegen die Partei- und Regierungschefin gerufen. Was May mit der EU ausgehandelt habe, sei „gar kein Brexit“: Darum müsse sie jetzt gehen. An Nachfolge-Talent fehle es der Partei ja nicht, fand Rees-Mogg. 48 Briefe mit Misstrauens-Bekundungen sind nach den Regeln der Tory-Partei nötig, um eine entsprechende Abstimmung zu erzwingen. Einer nach dem anderen tröpfelte gestern beim zuständigen Koordinator der Fraktion, Sir Graham Brady, ein. Und das waren nur Briefe von Schreibern, die sich offen zu einem „Wachwechsel“ bekannten. Gerüchte darüber, dass es nächste Woche zur Abstimmung über May kommen könnte, schwirrten den ganzen Tag durch Westminster, durchs britische Parlament.

Die parlamentarischen Geschäftsführer der Regierungspartei wurden zeitweise angewiesen, sich zur Verfügung zu halten, obwohl normalerweise freitags alle Abgeordneten fürs Wochenende in ihre Wahlkreise abziehen. Kurz vor zwölf Uhr mittags gestern jubelten Hardliner, dass sie die nötige Zahl überschritten hätten. Ein freudig erwarteter „High Noon“ im „Tory-Corral“ schien für sie nun unausweichlich zu sein. Dagegen warnten andere Brexiteers, eine solche Abstimmung könne „das Falsche bewirken“. Wieder andere Tories fanden die Aktion „einfach fatal“.

Die Regierung rüstet sich für eine Machtprobe

Rees-Mogg und seine Leute, schimpfte der Tory-Veteran und Churchill-Enkel Nicholas Soames, seien „schon seit Jahren dabei, unsere Partei zu ruinieren“. Der frühere Vize-Premier Lord Heseltine, ein leidenschaftlicher Pro-Europäer, meinte grimmig, Leute wie Boris Johnson und Ex-Brexit-Minister David Davis hätten zwei Jahre lang das Sagen gehabt und „totalen Mist gebaut“. Nun suchten diese Hardliner den Unmut zu nähren, der „ein direktes Resultat ihrer Inkompetenz“ sei.

In No 10 Downing Street, der Regierungszentrale, will man sich jedenfalls für eine Kraftprobe mit der Parteirechten rüsten. Die Berater Mays gehen davon aus, dass die Amtsinhaberin die Vertrauensfrage gewinnen kann, wenn es dazu kommt. Aber selbst wenn sie unterlägen, könnten Mays Gegner ihr mit gutem Abschneiden schaden. Theresa May, meinte ein BBC-Kommentator gestern achselzuckend, habe „die Kontrolle verloren“ und sei „den Ereignissen ausgeliefert, die nun ablaufen rund um sie herum“.

Dabei hatte May am selben Tag Atem geschöpft, als einige der für sie wichtigen Minister ankündigten, sie würden erst einmal nicht zurück treten, sondern im Kabinett verbleiben. Nach dem Rücktritt des Brexit-Ministers Dominic Raab am Donnerstag hatte May befürchten müssen, dass ihre Regierung ganz zerfallen könnte. Zusammen mit Raab trat aber nur Arbeitsministerin Esther McVey ab, die eh „auf der Kippe“ stand. „Wankende“ Kabinettsmitglieder wie die fürs Parlament zuständige Ministerin Andrea Leadsom, Entwicklungsministerin Penny Mordaunt oder Außenhandelsminister Liam Fox erklärten dagegen, sie wollten May in ihrer schwierigen Lage „helfen“.

Nur ein Minister seit dem Brexit-Votum ist May geblieben

Fox erklärte mit unverhohlenem Respekt für May: „Sie geht uns voran mit Selbstvertrauen und mit großer Unbeirrbarkeit, muss ich sagen.“ Und zu Mays großer Erleichterung entschied sich auch die inzwischen zentrale Figur des Kabinetts, Umweltminister Michael Gove, für den Verbleib „bei der Truppe“. Gove ist, seit Boris Johnson ausschied, die letzte in Mays Regierung verbliebene ursprüngliche Führungsfigur vom Brexit-Referendum von 2016. Ihm bot May die Rolle des neuen Brexit-Ministers an. Aber nach einer schlaflosen Nacht lehnte Gove dankend ab: Weil May sich weigerte, ihn einen „besseren Deal“ mit der EU aushandeln zu lassen, auf den er noch immer hofft.

Die von Fox gepriesene „Unbeirrbarkeit“ Mays, in dieser schweren Krise, hat in der Tat Rivalen, Gegner und loyale Gefolgsleute gleichsam überrascht und beeindruckt in den letzten Tagen. Ihr Kabinett hatte Theresa May in einem mehr als fünfstündigen Gefecht zur Zustimmung zum Vertrag mit der EU gebracht, ohne einen Massenausmarsch auszulösen. Im Unterhaus hatte sie „ihren“ Deal drei Stunden lang gegen gnadenloses Feuer von allen Seiten verteidigt. In einer Pressekonferenz, bei der es wenig Gutes mitzuteilen gab, hatte sie trotzig erklärt, sie werde „durchhalten“ und für ihre Sache „weiter kämpfen“. Und am Freitag beantwortete sie bei einem Radio-Phone-In ausgesprochen feindselige Hörer-Fragen äußerst geduldig. Sie werde versuchen, erklärte sie ein ums andere Mal, „zuallererst meine Parteifreunde zu überzeugen“. Danach wolle sie aber gern „jedem einzelnen Abgeordneten“ begreiflich machen, „dass ich glaube, dass dies der beste Deal fürs Vereinigte Königreich ist“.

May bleibt unerschütterlich

Chancen für weitere Zugeständnisse der EU an London, etwa in der „Irischen Frage“, sieht May nicht – mag auch die Ministergruppe um Gove auf „Nachbesserungen“ bestehen und bereits fürs Wochenende ein Verschwörertreffen planen. Für May gibt es keinen anderen als „ihren“ Deal. In typisch ungerührter Weise, und beharrlich die immer gleichen Formeln wiederholend, sucht die Premierministerin alle Kritik an der Vereinbarung und an ihrer Person abzuweisen. Und politisch zu überleben von Stunde zu Stunde, von Tag zu Tag. Hier stehe sie nun mal, sie könne nicht (mehr) anders, ist das Credo der englischen Pfarrerstochter, die nur einfach ihrer „enormen Verantwortung“ als Premierministerin gerecht werden möchte.

Dabei weiß auch die Realistin in May natürlich, dass ihre Lage weiter äußerst prekär ist. Sie selbst hat sich eine „schwierige“ Zeit voraus gesagt. Was stimmt. Denn als gesichert kann ihr Kabinetts-Friede nicht mal bis in die nächste Woche hinein gelten. Und in ihrer Partei herrscht weiter bitterster Streit über ihre Zukunft und ihren Kurs. Kurz vor dem nun angesetzten EU-Sondergipfel weiß man in London noch immer nicht, was der nächste Tag bringt. Wie soll May da nach Brüssel reisen? Vor allem zeichnet sich im britischen Parlament für ihren Brexit-Deal keine Mehrheit ab.