Leere Liegen – der Strand von Antalya ist in diesem Jahr außergewöhnlich unbevölkert. Foto: dpa

Eine Weile lang kursierte das Wort vom „anatolischen Tiger“, weil die türkische Wirtschaft zeitweise gar die Wachtumsraten Chinas übertraf. Doch Wirtschaftsbeziehungen sind empfindliche Pflänzchen.

Istanbul - Der türkische Premierminister Binali Yildirim verbreitet Optimismus: „Unsere Wirtschaft ist immer noch so solide wie ein Fels“, versicherte der Regierungschef am Montagabend vor der Presse in Ankara. „Wir haben nicht einmal einen kleinen ökonomischen Schock erlebt.“ Auf gleicher Wellenlänge twittert der für Wirtschaft und Finanzen zuständige Vizepremier Mehmet Simsek: „Die makroökonomischen Fundamente unseres Landes sind solide“, versicherte Simsek zwei Tage nach dem gescheiterten Putschversuch. Doch nicht alle Experten teilen diese Zuversicht. Am Montag stufte die Ratingagentur Standard & Poor’s die Türkei als „Hochrisiko“-Land ein. Bereits fünf Tage nach dem Putschversuch hatte die Agentur die Kreditwürdigkeit des Landes um eine Note gesenkt und den Ausblick auf „negativ“ gesetzt, was eine weitere Rückstufung erwarten lässt. Die Polarisierung der politischen Landschaft habe die Gewaltenteilung weiter untergraben, schrieb die Agentur zur Begründung.

Damit könnte eine wirtschaftliche Erfolgsgeschichte zu Ende gehen. Im ersten Jahrzehnt nach dem Wahlsieg der islamisch-konservativen Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP) 2002 erlebte die Türkei eine bis dahin nicht gekannte Ära politischer Stabilität und ökonomischer Blüte. Das Pro-Kopf-Einkommen verdreifachte sich. Zeitweilig übertraf die Türkei beim Wirtschaftswachstum sogar China. Das Wort vom „anatolischen Tiger“ machte die Runde. Auch immer mehr deutsche Unternehmer entdeckten die Türkei, nicht nur als Absatzmarkt, sondern als Produktionsstandort. Gab es Mitte der 1990er Jahre in der Türkei nur rund 500 Firmen mit deutscher Kapitalbeteiligung, sind es inzwischen mehr als 6000.

Erdogan löst Verunsicherung aus

Aber jetzt setzt Erdogan sein Wirtschaftswunder auf Spiel. Mit der Verhängung des Ausnahmezustandes, der rücksichtslosen Verfolgung politischer Gegner und den Massenentlassungen zehntausender Staatsdiener löst er Verunsicherung aus. Anleger und Investoren suchen Stabilität und Rechtssicherheit. Beides hat die Türkei im Moment nicht zu bieten. Abzulesen ist das Misstrauen am Absturz der Aktienkurse am Bosporus und den heftigen Kursverlusten der türkischen Lira. 

Die innenpolitische Krise trifft die Wirtschaft zu einem besonders kritischen Zeitpunkt. Durch die Bürgerkriege in den Nachbarländern und die Unruhen in Nordafrika haben die türkischen Exporteure wichtige Absatzmärkte verloren. Dann brach wegen der Welle von Terroranschlägen und der Spannungen mit Russland auch noch der Tourismus ein. Zwischen Januar und Mai kamen 35 Prozent weniger ausländische Gäste, im Juni gab es einen Rückgang um 41 Prozent, im Juli dürfte das Minus sogar 47 Prozent betragen haben. Der Tourismus steht nicht nur für sechs Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung und drei Millionen Arbeitsplätze. Er ist auch als Devisenbringer für den Ausgleich der Leistungsbilanz wichtig. Bleiben nun auch noch Investitionen aus, und ziehen Anleger weitere Gelder aus der Türkei ab, wird die Leistungsbilanz noch tiefer ins Defizit rutschen.

Seit 2013 verliert das Wirtschaftswachstum an Schwung

Die türkische Wirtschaft kämpft seit geraumer Zeit mit Strukturproblemen, die vor allem an der tiefroten Leistungsbilanz abzulesen  sind. Das Land ist in hohem Maß auf Importe angewiesen, während in der Exportstatistik immer noch arbeitsintensive Erzeugnisse mit geringer Wertschöpfung dominieren. Wegen der wachsenden innenpolitischen Spannungen seit den Massenprotesten gegen Erdogan vor drei Jahren, der daraus resultierenden Zurückhaltung der Investoren und des Abflusses von Risikokapital verliert das Wirtschaftswachstum schon seit 2013 an Schwung.

Neben der hohen Abhängigkeit von ausländischen Kapitalzuflüssen ist der Reformstau eine Achillesferse der Wirtschaft. So kritisiert die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die Türkei investiere zu wenig in Bildung und Forschung. Vor diesem Hintergrund wirken die jetzt von Erdogan angeordneten Massenentlassungen von Lehrern und Hochschulprofessoren kontraproduktiv. Auch die Suspendierungen tausender Richter werfen Fragen zum für Investoren wichtigen Thema Rechtssicherheit auf. Die politische Ungewissheit seit dem Putschversuch dämpft auch die Stimmung deutscher Investoren.

Der Kapitalabfluss hat bereits eingesetzt

„Die Ereignisse erhöhen die Unsicherheit bei den Unternehmen“, sagt Eric Schweitzer, der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK). Ein Abfluss des Kapitals habe bereits eingesetzt, neue Geschäftsdeals seien bedroht, so Schweitzer. Deutschland ist nicht nur der größte ausländische Investor in der Türkei, sondern auch der wichtigste Handelspartner für das Land. Vor diesem Hintergrund bekommen die jüngsten politischen Spannungen zwischen Ankara und Berlin, die mit der Armenier-Resolution des Bundestages im Juni begannen und sich jetzt anlässlich  der „Säuberungswellen“ sowie des Streits um die Solidaritätskundgebung für Erdogan in Köln noch einmal verschärfen, auch eine brisante wirtschaftliche Dimension.