Katarina Barley (links) und Andrea Nahles: die SPD sucht ihre Richtung Foto: dpa

Nach der historischen Wahlschlappe herrscht in der SPD Ratlosigkeit. Parteichefin Nahles will auf einer Krisensitzung der Parteiführung nächste Woche Fehler analysieren. Kritiker befürchten, dass sich danach nichts ändert – wieder einmal.

Berlin - Am Tag nach der Wahlkatastrophe geht es der SPD und ihrer Vorsitzenden noch kein bisschen besser. „Gut geschlafen habe ich nicht“, berichtete Parteichefin Andrea Nahles. So sei es sicherlich vielen Sozialdemokraten gegangen, schließlich sei das Ergebnis eine „Zäsur“ gewesen. „Und das fühlt sich auch so an.“ In die Enttäuschung und die Müdigkeit mischt sich bei der SPD eine große Ratlosigkeit, wie es mit der Partei weitergehen soll.

Diese Gefühlslage ließ sich am Montag exemplarisch am Gesicht der Spitzenkandidatin Katarina Barley ablesen. Zusammen mit Nahles und dem Co-Spitzenkandidaten Udo Bullmann trat sie vor die Presse, offensichtlich noch immer ganz unter dem Eindruck des historisch schlechten Ergebnisses. Barley war blass und äußerte sich nur kurz. Während Nahles und Bullmann sprachen, starrte sie mit ausdruckslosen Augen über die Journalisten hinweg in die Ferne.

Zuvor beriet die Parteispitze hinter verschlossenen Türen, wie mit dem demütigenden Ergebnis von rund 15 Prozent bei der Europawahl und der Niederlage bei der Bürgerschaftswahl in Bremen umzugehen sei. Es habe „sehr, sehr viele Wortmeldungen“ gegeben, hieß es am Rande der Vorstandssitzung im Willy-Brandt-Haus. Dabei habe „alles auf dem Tisch“ gelegen.

SPD-Linke: Wir haben mit der Union keinen Abo-Vertrag geschlossen

Teilnehmer forderten etwa, die mit der Union vereinbarte Halbzeitbilanz zur Mitte der Legislaturperiode im Herbst vorzuziehen. Die Mehrheit der Runde habe das aber „eher skeptisch eingeschätzt“, sagte Nahles. Die Kritiker des Bündnisses mit der Union sehen den zur Halbzeit vereinbarten Kassensturz als Möglichkeit, die Koalition zu beenden. Die Parteivorsitzende will die Beteiligung an der Regierung fortsetzen. Die Zukunft der Groko dürfte auch bei einem Treffen der Koalitionäre am Nachmittag im Kanzleramt zur Sprache gekommen sein.

Durch die Wahlschlappe vom Sonntag wird die Koalition mit CDU und CSU in der SPD wieder massiv infrage gestellt. „Wir haben mit der Union keinen Abo-Vertrag geschlossen“, argumentierten SPD-Vize Ralf Stegner, Juso-Chef Kevin Kühnert und der Chef der Parlamentarischen Linken, Matthias Miersch, in einem am Morgen bekannt gewordenen Positionspapier. „Die Große Koalition hat ein Enddatum: Allerspätestens September 2021, und notfalls eben auch früher.“

Nahles bemüht sich nun darum, dass die Frustration in der SPD nicht die Oberhand gewinnt. Sie will einen geordneten Prozess einleiten, um die Partei neu aufzustellen – wieder mal. Der SPD-Vorstand kommt deswegen am kommenden Montag zu einer Krisensitzung zusammen, um über die „nicht genügende Strategiefähigkeit“ der Sozialdemokraten zu beraten. Zudem soll es um die Frage gehen, wie die SPD in der großen Koalition ihr Profil schärft.

Die SPD analysiert Fehler – mal wieder

Ähnliche Fragen wurden allerdings schon nach der letzten Bundestagswahl diskutiert und analysiert, wie auch Nahles einräumte. In der Diskussion des Parteivorstandes sei aber mehrfach der Satz gefallen: „Die 15 Prozent, die wir jetzt haben, sind in den letzten 15 Jahren entstanden.“ Mit anderen Worten: Die Probleme sind so groß und so alt, die lassen sich nicht so einfach lösen. Sie sollen jetzt aber mit „neuer Dringlichkeit“ diskutiert werden, versprach Nahles.

In der SPD befürchten nicht wenige, dass die Nahles-Taktik dazu führt, dass sich am Ende wieder nichts ändert. „Wir können nicht einfach zum Tagesgeschäft übergehen“, sagte etwa der nordrhein-westfälische Bundestagsabgeordnete Michael Groß. Er hat deswegen einen Brief an Nahles in ihrer Funktion als Fraktionsvorsitzende und an den Parlamentarischen Geschäftsführer Carsten Schneider geschrieben, in dem er eine Sondersitzung der Bundestagsabgeordneten fordert.

Sondersitzung mit Abstimmung über Nahles gefordert

„Nach den sehr bedauerlichen und desaströsen Ergebnissen der SPD bei den Wahlen, muss klargestellt werden, ob die SPD-Bundestagsfraktion hinter unserer Fraktionsvorsitzenden steht oder nicht“, fordert Groß. „Entweder wir stützen dich breit oder nicht. Den Spekulationen muss ein Ende gesetzt werden.“ Ihm gehe es angesichts der schon vor der Wahl kursierenden Putsch-Gerüchte allein um eine Klärung, er wolle Nahles nicht absägen, beteuerte Groß. Er fürchtet einen weiteren Tiefpunkt bei den drei Landtagswahlen im Osten, wenn sich nichts ändert.

Für Nahles ist das Rumoren in den eigenen Reihen längst mehr als ein Warnsignal, auch wenn sie noch niemand öffentlich herausfordert. „Der Ernst der Lage ist allen vollkommen klar“, hob sie deswegen am Montag hervor, die Frage nach Konsequenzen müsse „sehr ernst“ diskutiert werden. Ihre persönliche Zukunft sieht sie davon aber ausgenommen. „Die Verantwortung, die ich habe, die spüre ich, die will ich aber auch ausfüllen“, betonte Nahles.