Bei VW toben eine Krise und ein Verteilungskampf Foto: dpa

Während der VW-Konzern in einer bedrohlichen Notlage steckt, sichern sich die einzelnen Interessengruppen ihre Pfründe

Stuttgart/Wolfsburg - Als der Stuttgarter Sportwagenhersteller Porsche noch versuchte, den Autogiganten Volkswagen zu übernehmen, sprang Berthold Huber den Wolfsburgern entschlossen bei. Huber, seinerzeit noch Chef der Gewerkschaft IG Metall, machte 2008 seinem Unmut darüber Luft, dass VW in der Debatte wie ein normales Unternehmen behandelt werde. „Solche Aussagen sind erschreckend, denn sie zeugen von einer historischen Ahnungslosigkeit, die nachdenklich macht.“ Schließlich stammten die Mittel zum Aufbau des Volkswagenwerks aus Gewerkschaftsvermögen, das von den Nazis 1937 enteignet wurde. „Jedem, der Anteile an diesem Unternehmen erwirbt, muss bewusst sein, er übernimmt auch eine historische Verantwortung“, die in einer erweiterten Mitbestimmung ihren Niederschlag finde.

Längst ist die Übernahme gescheitert, stattdessen gehört der Sportwagenhersteller seit Jahren zu VW. Und von Normalität kann in dem Unternehmen in der Tat keine Rede sein. Das lässt sich gerade jetzt beobachten, da VW von dem beispiellosen Abgasskandal heimgesucht worden ist. Rund 11 Millionen Autos wurden über Jahre hinweg mit einer Software ausgestattet, die dafür sorgte, dass die Motoren bei Tests nur ganz wenig giftige Stickoxide ausstießen, während die Werte in der Natur bis zu 40-mal höher waren.

Deshalb muss der Konzern nun vor allem in den USA mit gigantischen Strafzahlungen rechnen – dazu mit Klagen von Aktionären, Kunden. Zudem drängen die Behörden massiv auf die Nachbesserung jedes einzelnen Autos. Ob das Ganze den Konzern 10, 25 oder 90 Milliarden kostet, ist im Moment ziemlich unklar – klar ist nur, dass es ans Eingemachte gehen wird und die Zeit für eine Lösung immer knapper wird.

Wer will als erster den Gürtel enger schnallen?

Möglicherweise wäre dies eine gute Gelegenheit, um zusammenzurücken und nach Wegen zu suchen, diese existenzbedrohende Krise zu überwinden. Diesen Gedanken dürfte der neue VW-Chef Matthias Müller im Sinn gehabt haben, als er unmittelbar vor Weihnachten Einsparungen bei den Bonuszahlungen forderte, die bei VW traditionell eher großzügig ausfallen. „Es ist klar, dass wir den Gürtel enger schnallen müssen, auf allen Ebenen, vom Vorstand bis zum Tarifmitarbeiter“, sagte Müller damals. Das gelte auch für die Töchter Audi und Porsche.

Das war ein grober Schnitzer, denn Müller hatte die Rechnung ohne die Betriebsräte gemacht. Als Erster erhob Porsche-Betriebsratschef Uwe Hück die Stimme. „Diese Weihnachtsbotschaft von Herrn Müller ist zutiefst demotivierend und unnötig wie ein Kropf“, sagte Hück in der Heiligabend-Ausgabe unserer Zeitung. „Ich würde mit Einsparungen bei denen anfangen, die die heutige Lage verursacht haben“, fügte er hinzu.

Diese harschen Worte stammten zwar vom Betriebsratschef einer Tochtergesellschaft, die sich mit ihren satten Gewinnen einen dicken Bonus sogar leisten kann. Doch Klartextredner Hück prägte mit dieser kantigen Ansage zugleich den weiteren Verlauf der Debatte im gesamten Konzern. Nun fordert auch der Konzernbetriebsrat von Volkswagen eine Gewinnbeteiligung für die 120 000 Beschäftigten dieser Automarke. Und zwar – anders als bei Porsche – eine, die es auch ohne Gewinn gibt und die deshalb „Anerkennungsprämie“ heißen soll.

Winterkorns Bonus-Ansprüche wirken in diesen Zeiten fehl am Platze

Großzügige Prämien sind bei Volkswagen durchaus verbreitet. In guten Zeiten war Konzernchef Martin Winterkorn mit einem Jahresgehalt von unglaublichen 16 Millionen Euro der bestbezahlte Manager aller deutschen Dax-Konzerne – allenfalls übertroffen vom früheren Porsche-Chef Wendelin Wiedeking, der es dank seiner ganz persönlichen Gewinnbeteiligung auf ein Jahressalär von bis zu 100 Millionen Euro brachte.

Als Winterkorn nach dem Bekanntwerden der Manipulationen zurücktrat, erklärte er nicht etwa, dass er damit die Konsequenzen aus den unglaublichen Betrügereien ziehe, die ihm hätten auffallen müssen. Nein, er sagte vielmehr, er mache den Weg frei, „obwohl ich mir keines Fehlverhaltens bewusst bin“. Das ist ein großer Unterschied, denn damit erhob er unausgesprochen den Anspruch auf eine Fortzahlung seiner Bezüge für die gesamte Dauer seines Vertrags, der erst im Dezember dieses Jahres enden wird. Und, noch besser für Winterkorn: Ihm steht nicht nur das Grundgehalt zu, sondern auch ein millionenschwerer Bonus aus vergangenen Jahren.

Denn bei VW werden – wie bei anderen Unternehmen auch – nicht alle Bonuszahlungen gleich im Folgejahr gewährt, sondern ein Teil erst nach bis zu vier Jahren. Diese Idee soll dazu führen, dass Manager auch am längerfristigen Erfolg ihrer Firma interessiert sind. Bei Winterkorn führt sie aber dazu, dass ihm selbst in einem Jahr, in dem der Konzern sich in einer existenzbedrohenden Krise befindet, ein satter Bonus zusteht.

Auch der Aufsichtsratschef sichert sich Extrazahlungen

Wenn bereits die Belegschaft und der Ex-Chef auf Sonderzahlungen pochen, wollen andere nicht hintanstehen. Nun kam heraus, dass auch Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch die Hand weit aufgehalten hat. Als der bisherige Finanzvorstand im vergangenen Jahr den schlechter bezahlten Posten des Aufsichtsratschefs übernahm, ließ er sich den Wechsel mit einer Prämie in zweistelliger Millionenhöhe versüßen. Der Fall Pötsch ist ein besonderer, denn in einem normalen Unternehmen wäre der Aufsichtsratsvorsitzende in einer solchen Lage die moralische Instanz, die den Beteiligten ins Gewissen redet. Doch für diese Rolle fällt Pötsch definitiv aus – ließ er sich doch nicht einmal in einer Krisensitzung des Aufsichtsratspräsidiums am Montag erweichen, durch eigenen Verzicht ein Signal zu setzen.

Stattdessen setzte er ein Signal, das die Arbeitnehmervertreter ermutigt, beim Kampf um eine Gewinnbeteiligung ohne Gewinn hart zu bleiben. Zumal sie – anders als Pötsch – mit dem Argument aufwarten können, auf die Abgasaffäre keinerlei Einfluss gehabt zu haben.

Es ist ein bisschen wie in der Politik

Man kann diese Verhaltensweisen, über die in der VW-Führung offenbar hart gerungen wird, als Ausdruck einer Selbstbedienungsmentalität der verschiedenen Interessengruppen betrachten, man kann sie aber auch mit Mechanismen vergleichen, die in der Politik gar nicht so selten sind.

Weil die SPD die Frührentner mit der Rente mit 63 beschenken wollte, spendierte die CDU den Müttern Milliarden für die Mütterrente. Am Ende hatten beide Seiten, was sie wollten – die Rechnung ging an die Beitragszahler, die für beides aufkommen müssen. Doch anders als die Rentenversicherung hat VW keine Beitragszahler, die man auspressen könnte. VW hat nur Kunden, und davon gibt es angesichts des Skandals viel zu wenige. Aus den laufenden Umsätzen lässt sich das Bonus-Geld somit kaum aufbringen.

Auch die Gewinnrücklagen fallen weitgehend aus, denn diese sind für VW die Lebensversicherung für die Zeit, in der die Rechnungen für die Abgasaffäre fällig werden. Geht das Eigenkapital zur Neige, geht es an die Existenz.

Die Frage ist, woher das Geld kommen soll

Daher plant der Konzern nun Kürzungen bei den Investitionen. Das klingt vergleichsweise harmlos, doch wenn es konkret wird, ist auch dies schmerzhaft. Schon das Aus für den erfolglosen Luxuswagen Phaeton hat gezeigt, dass dabei auch Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen. Ans Eingemachte würde es gehen, wenn VW durch einen Sparkurs bei technologischen Entwicklungen wie dem autonomen Fahren, dem vernetzten Auto und der Elektromobilität ins Hintertreffen geriete. Schon jetzt ist der Konzern, der sich so gern mit sich selbst beschäftigt, hier alles andere als ein Vorreiter. Und der Wettbewerb nimmt keine Rücksicht auf die VW-Krise. Würde VW hier sparen, würde man die eigene Zukunft aufs Spiel setzen. Auch das ist keine verantwortbare Option.

Bliebe noch die Möglichkeit, im laufenden Geschäft zu sparen, um die Marke Volkswagen ertragsstärker zu machen. Das wäre ohnehin keine schlechte Idee, dümpelt die Marke doch seit Jahren vor sich hin – vielleicht auch, weil Einsparungen aufgrund der eingespielten Verhaltensweisen hier schwerer durchzusetzen sind als in anderen, normaleren Unternehmen.

Doch VW-Markenchef und Technikexperte Herbert Diess, erst vor Kurzem von BMW geholt, bekam vom Betriebsrat sogleich einen Schnellkurs in Sachen VW-Mitbestimmung mit auf den Weg. Der Betriebsrat sah in Diess‘ Sparbemühungen den unzulässigen Versuch, die Abgasaffäre für Personalabbau zu missbrauchen. „Wir hatten in den vergangenen Wochen und Monaten oft den Eindruck, dass es aufseiten des Markenvorstands deutlichen Nachholbedarf gibt, wenn es um Verlässlichkeit und Verbindlichkeit geht“, schrieb Betriebsratschef Osterloh an die Belegschaft. Es gebe ein „gravierendes Vertrauensproblem zwischen dem Vorstand der Marke Volkswagen und dem Gesamtbetriebsrat“.

Der neue Markenchef wird zurechtgestutzt

Diess hatte etwas getan, das andere VW-Topmanager bereits mit ihrem Job bezahlt hatten – etwa der frühere VW-Chef Bernd Pischetsrieder oder der Ex-Markenchef Wolfgang Bernhard, der heute Daimlers Nutzfahrzeugsparte führt: Er hatte sich den Ärger des Betriebsrats zugezogen. Doch die Rückendeckung der obersten Führung blieb weitgehend aus. Sie besteht vor allem darin, dass Diess im Amt bleiben darf. Die volle Rückendeckung bekommt dagegen Osterloh. Ihm bescheinigt Müller, eine Initiative gestartet zu haben, „die Zukunft im konstruktiven Dialog gemeinsam gestalten zu wollen“. Kein Wort zu Osterlohs „Vertrauensproblem“ – der Zwist soll wirken wie weggeblasen, obwohl er nicht gelöst ist.

Auch Osterloh selbst kommt ausführlich zu Wort und darf erklären, er freue sich, dass „Konzernchef Matthias Müller den Zukunftsprozess gemeinsam mit dem Vorstand der Marke Volkswagen begleiten wird“ – wobei Osterloh es vermeidet, den Namen Diess auch nur in den Mund zu nehmen.

Nur einer kommt in dieser Abschlusserklärung überhaupt nicht zu Wort: Diess selbst, der die Gespräche doch angeblich leiten soll. Somit wäre für jeden sichtbar klargestellt, wer in Wolfsburg etwas zu sagen hat und wer besser den Mund hält. „Man muss die Strukturen in Wolfsburg verstehen, sonst hat man keine Chance“, sagte Aufsichtsratsmitglied Wolfgang Porsche einmal.

Die alten Machtverhältnisse sind somit bestätigt, und das Einzige, das jetzt noch stört, ist der Abgasskandal. Aber auch der wirkt in diesen Tagen wie weggeblasen. Auf der Wolfsburger Titanic kann man sich auch bestens mit sich selbst beschäftigen.