Unbekannte Täter haben diesen Geldautomaten in der SB-Filiale der Deutschen Bank im hessischen Rodgau gesprengt und das Gebäude dabei schwer beschädigt. Foto: dpa

Die Zahl der gesprengten Geldautomaten in Deutschland hat 2018 einen neuen Höchststand erreicht. Schwerpunkt der vor allem aus den Niederlanden agierenden Diebesbanden ist Nordrhein-Westfalen. In Baden-Württemberg dagegen stagnieren die Fallzahlen.

Stuttgart - Im vergangenen Jahr verging kaum eine Woche, in der nicht irgendwo in Deutschland ein Geldautomat in die Luft geflogen oder eine Sprengung von Kriminellen zumindest versucht worden ist. „Nach einem Rückgang im Jahr 2017 auf 268 Fälle (2016: 318 Fälle) rechnen wir für das Jahr 2018 mit einem neuen Höchststand und mindestens 350 Fällen“, teilte das Bundeskriminalamt (BKA) in Wiesbaden jetzt mit.

Von Januar bis Oktober zählte das BKA insgesamt 311 Taten, wobei die Diebe nur in 122 Fällen erfolgreich Beute machen konnten. Die meisten Delikte wurden in Nordrhein-Westfalen (rund 100) verübt, gefolgt von Niedersachsen, Hessen, Rheinland-Pfalz sowie Berlin.

Die meisten Sprengversuche enden erfolglos

In Baden-Württemberg stagnierte hingegen die Zahl der Automatensprengungen in den vergangenen Jahren. 2018 verzeichnete das Landeskriminalamt (LKA) in Stuttgart 22 Fälle (18 versuchte, vier gelungene Sprengungen) – genauso viele wie im Jahr 2016. 2017 waren es 18 Fälle (davon acht vergebliche und zehn erfolgreiche Einbrüche).

Wenn ein Diebstahl erfolgreich verläuft, handelt es sich dem Bundeslagebild „Angriffe auf Geldautomaten“ des BKA für 2017 zufolge aber um „teils beträchtliche Geldbeträge“. Personenschäden gab es sowohl 2017 wie auch 2018 demnach keine.

Das Vorgehen der Kriminellen ähnelt sich: Sie suchen sich Automaten aus, die verkehrsgünstig gelegen sind. So können sie schnell über nahegelegene Bundesstraßen oder Autobahnen fliehen. Das tun die Täter gerne mit hochmotorisierten und getunten Wagen, die oft gestohlen sind, und rücksichtsloser Fahrweise, wie Ulrich Heffner, Sprecher des LKA in Stuttgart berichtet.

Organisierte Banden am Werk

Die Fahnder des BKA und LKA gehen davon aus, dass die Diebe „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ zur organisierten Kriminalität gehören. Ein Großteil agiert bandenmäßig, arbeitsteilig und sehr professionell. Aber auch ortsansässige Kriminelle sind demnach aktiv. Was die Ermittlungen außerdem schwierig macht: Durch die Explosionen werden häufig Spuren vernichtet und es fehlen Zeugen, sagt Jörg Reinemer vom Polizeipräsidium Mittelhessen.

Gleichwohl gehen die Diebe ein großes Risiko ein: Für ihre Taten nutzen sie meist ein Gasgemisch, dass sie in den Automaten eingeben und per Fernsteuerung entflammen. Da die Sprengkraft nur schwer zu kalkulieren ist, verlaufe „die Sprengung oft nicht wie erhofft“, erklärt Reinemer. Dann reicht die Kraft nicht, um den Automaten aufzuknacken. Oder die Wucht der Detonation ist so groß, dass sie nicht nur das Gerät zerstört, sondern auch das Gebäude in Mitleidenschaft zieht. Mitunter entstehen Sachschäden in siebenstelliger Höhe.

„Die durch die Straftaten verursachten Sachschäden übersteigen die Beuteschäden in vielen Fällen deutlich“, heißt es im Bundeslagebild „Angriffe auf Geldautomaten“ des BKA für 2017. Wie aus einer Antwort des Innenministeriums auf eine Anfrage der Linken-Bundestagsfraktion von 2016 hervorgeht, lag der Sachschaden in den vergangenen Jahren zwischen 500 und etwa 380 000 Euro.

So entstand beispielsweise bei der Sprengung eines Geldautomaten im Rathaus von Schlaitdorf (Kreis Esslingen) ein Schaden von rund 100 000 Euro.

Reisende Täter mit marokkanischen Migrationshintergrund aus den Niederlanden

Die Diebe nehmen oftmals weite Wege in Kauf, um ihre Taten zu begehen: Die meisten Verdächtigen reisen aus dem europäischen Ausland ein, was die Ermittlungen erschwert. Nach BKA-Angaben handelt es sich in den meisten Fällen um „reisende Täter“ mit marokkanischen Migrationshintergrund aus den Niederlanden. Andere Tatverdächtige kommen aus Bulgarien und Polen. Im vergangenen Jahr hat das BKA hierzulande 93 Täter identifiziert, die entweder in Zusammenhang mit einer Sprengung stehen oder dringend tatverdächtig sind.

Dass seit Jahren die Zahl der Delikte in Deutschland steigt – 2008 gab es noch 33 Fälle, davon 14 Versuche –, hat laut BKA auch mit der Präventionsarbeit in den Nachbarländern zu tun: „Der deutliche Anstieg ab dem Jahr 2016 ist insbesondere auf einen Verdrängungseffekt aus den Niederlanden und dortiger technischer Sicherungsmaßnahmen zurückzuführen“.

Sprengstoff statt Gasgemisch

Ein neuer gefährlicher Trend kommt aus den Niederlanden, wo die Täter inzwischen nicht mehr Gas aus Flaschen in die Automaten einleiten und zünden, sondern bei besser gesicherten Geldautomaten zu Sprengstoff griffen, um an das Bargeld zu kommen. Der Grund für diese explosive Aufrüstung: Geldautomaten der neuen Generation verfügen zum Beispiel über eine Technik zur Gas-Neutralisierung und färben das Geld bei einer Sprengung ein. In Deutschland sind nach Polizeiangaben aber noch viele ältere Automaten im Einsatz.

In manchen Bankfilialen verhindern spezielle Nebelanlagen, dass die Täter den Automaten sprengen. Sobald die Kriminellen die Zugangstür zur Bank aufhebeln, lösen sie einen speziellen Alarm aus. Eine Nebelanlage hüllt den Raum innerhalb kürzester Zeit ein, so dass die Diebe sich nahezu blind ins Freie tasten müssen. Ohne Beute flüchten sie dann vom Tatort.

Wie sich die Geldinstitute schützen

Banken und Sparkassen betreiben in Deutschland rund 58 000 Geldautomaten. Auf Anfrage teilte die Deutsche Kreditwirtschaft (DK) in Berlin mit, dass es eine Reihe von Präventiv- und Sicherheitsmaßnahmen gibt: Videoüberwachungssysteme, Einbruchmeldeanlagen, Erschütterungsmelder sowie Systeme zur Gas-Neutralisierung. „Welche Vorkehrungen in welcher Kombination aus dem zur Verfügung stehenden Maßnahmenkatalog getroffen werden, hängt stets von der jeweiligen Risiko- und Gefährdungssituation des Standortes ab.“

Ziel sei eine „höchstmögliche Prävention und Vermeidung von Tatanreizen“, erklärte die Deutsche Kreditwirtschaft. Tendenziell beobachte man, dass es eine hohe „Dynamik“ bei den Angriffsszenarien gebe – wie etwa der erhöhte Einsatz von Sprengstoff. „Daher werden auch Schutzmaßnahmen regelmäßig überprüft und bei veränderter Risikolage angepasst.“

Einige Geldinstitute bauen Farbpatronen in die Automaten ein. Sprengen die Diebe das Gerät, werden die Geldscheine bunt eingefärbt. Die Täter können mit dem Bargeld also nirgendwo bezahlen.