Kripomann Willi Pietsch geht nach über 30 Jahren in den Ruhestand Foto: Leif Piechowski

Denn sie wissen nicht, was sie tun: Böse Jugendbanden, rabiate Fußballrowdys und betrunkene Nachtschwärmer beschäftigen Willi Pietsch seit Jahrzehnten. Jetzt ist der Erste Kriminalhauptkommissar zu alt dafür. Nach über 30 Jahren geht er in den Ruhestand.

Denn sie wissen nicht, was sie tun: Böse Jugendbanden, rabiate Fußballrowdys und betrunkene Nachtschwärmer beschäftigen Willi Pietsch seit Jahrzehnten. Jetzt ist der Erste Kriminalhauptkommissar zu alt dafür. Nach über 30 Jahren geht er in den Ruhestand.
 
Stuttgart – Denn sie wissen nicht, was sie tun: Böse Jugendbanden, rabiate Fußballrowdys und betrunkene Nachtschwärmer beschäftigen Willi Pietsch seit Jahrzehnten. Jetzt ist der Erste Kriminalhauptkommissar zu alt dafür. -
Herr Pietsch, auf einem alten Foto sitzen Sie in einem Büro mit Wurfsternen, Würgehölzern, Baseballschlägern – und jetzt sehe ich in Ihrem Dienstzimmer nur Bilder mit Dalí-Motiven.
Da müssen Sie nur ein Zimmer weiter. Die Waffen hängen jetzt in unserem Besprechungsraum. Ausgelagert zu Schulungszwecken. Diese Dalís waren vom Vormieter übrig. Hundertwasser wäre mir allerdings lieber gewesen.
Nichts Jugendkulturelles?
Hätte man auch machen können, aber nicht müssen.
Wenn wir auf Dalís berühmte zerfließende Uhren schauen, drängt sich die Frage auf: Wie hat sich in Ihrer langen Dienstzeit seit 1982 der Typus des bösen Jugendlichen geändert?
Die Brutalisierung der Jugendszene, die ich anfangs prognostiziert habe, ist im Grunde so eingetreten. Erschreckend ist vor allem die Motivlosigkeit. Viele brauchen keinen Grund, um zuzuschlagen.
Hat man mit zunehmendem Alter von all der Gewalt nicht irgendwann, Pardon, die Schnauze voll?
Warum die Schnauze voll haben? Wir haben alle eine professionelle Einstellung zu unserem Beruf, und wenn man in diesem Jugendbereich arbeitet, dann tut man auch sehr Sinnvolles. Man kann bei der Prävention von Jugendkriminalität noch was bewirken.
Aber sich immer nur mit Jugendbanden herumschlagen – für einen Kripomann gibt’s doch auch anderes.
Wenn sich mein Dezernat nicht über all die Jahre weiterentwickelt hätte, wäre ich ihm nicht so lange treu geblieben. Anfangs war das eine kleine Dienststelle für Subkulturen, mit sechs Leuten. Dann ging es Schritt für Schritt weiter, da war kein Jahr wie das andere. Heute gibt es eine breite Aufgabenpalette: Hooligans, Intensivtäterprogramm, Haus des Jugendrechts, Vermisstenstelle. Jetzt haben wir über 30 Beamte.
Können Sie mir sagen, was die Cliquen von damals, etwa Heslach Power oder Rio Raitelsberg, von den Cliquen heute unterscheidet?
Ja, was glauben Sie denn, was soll die unterscheiden? Außer Äußerlichkeiten hat sich wenig geändert. Aber wenn ich noch mal drüber nachdenke: Vielleicht sind die heutigen noch unnahbarer geworden, aggressiver bei Vernehmungen. Der Respekt hat deutlich nachgelassen.
Vielleicht liegt’s ja an Ihrem Alter?
Das hat damit nichts zu tun. Ein Polizist repräsentiert eben den Staat, die Ordnungsmacht. Da ist’s dem Gegenüber egal, ob Sie 25, 40 oder 60 sind.
Deshalb hatten Sie verlängert und gehen jetzt mit 63 in Pension . . .
Vor drei Jahren wäre das für mich zu früh gewesen.
Die Hells Angels sind auch ins Alter gekommen. Sie treten in einem Dokumentarfilm über Lutz Schelhorn, den Präsidenten der Hells Angels Stuttgart, auf. Der Streifen über die Rocker kommt im Oktober in die Kinos. Eine Annäherung an die andere Seite?
Moment, was heißt andere Seite? Für mich ist der auf der anderen Seite, der das Recht bricht. Da kann einer anziehen, was er will, kann sich geben, wie er will, heute heißen sie Gelbe Hüte und morgen Blaue Kappen – wenn einer das Recht nicht bricht, ist er für die Polizei nicht auf der anderen Seite.
Ihr Auftritt in dem Hells-Angels-Film „Unter Brüdern“ von Regisseur Marcel Wehn ist also nicht so was wie eine Verbrüderung?
Das Verhältnis zum Hells-Angels-Präsidenten und Fotografen Lutz Schelhorn beruht auf Akzeptanz und Rollenklarheit. Meine Rolle ist die des Polizisten, und damit ist auch schon alles gesagt. Da gibt’s keine Verbrüderung – wofür auch?
Sie fahren auch Motorrad?
Naah – wir fangen nicht alles an. Nein.
Dafür haben Sie, als Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Jugendkriminalität, was anderes angefangen: Sozialarbeiter und Polizei gemeinsam gegen Alkoholexzesse in der nächtlichen Partyszene.
Ein voller Erfolg, das kam bei den Jugendlichen richtig gut an. Ein hoher Anteil der jungen Leute kommt von außerhalb, viel mehr als früher. Das hat sich über die Jahre tatsächlich verändert: Stuttgart hat unheimlich an Attraktivität gewonnen und sich brutal gewandelt. Ich bin damals noch mit dem Käfer durch die Königstraße gefahren und hab’ beim Union, dem heutigen Kaufhof, geparkt. Heute fährt die S-Bahn teilweise rund um die Uhr. Für die Jungen wird viel gemacht.
Aber das Projekt der mobilen Jugendarbeit läuft nicht mehr weiter. Die Stadt wollte keine 200 000 Euro für eine Fortsetzung beisteuern.
Der Gemeinderat hat andere Prioritäten gesetzt. Man muss auch Kindergartenplätze finanzieren.
Also kein Streetwork mehr in der City?
Wie auch? Man muss die Leute halt auch zahlen!
Sie haben da ja noch eine Party anderer Art. Fußball. Als Polizist hatten Sie schon immer mit Krawallmachern zu tun, mit Hooligans.
Auch dieser Typus des Gewalttäters hat sich deutlich gewandelt. Früher waren noch Spielverläufe für die Auseinandersetzung entscheidend. In den 80ern änderte sich dann das Auftreten, martialisch, weg vom reinen Fußballinteresse, sogar weg von Vereinsabzeichen. Dem Hooligan sehen Sie nicht an, ob er aus Bielefeld kommt oder Münster. In den 90ern kam aus Italien das Ultra-Phänomen auf, das hatten wir anfangs gar nicht so beachtet.
Die Ultras sehen sich als die wahren Fans, machen im Stadion tolle Choreografien . . .
Das machen die auch. Manches ist richtig genial. Auf der anderen Seite aber gibt es Auseinandersetzungen mit anderen. Und ich hab’ was dagegen, wenn man die Gesundheit anderer beschädigt – es sei denn, ich muss meine Familie oder mein Land beschützen. Nur weil ich Fan von A bin und der andere Fan von B – da ist jeder Tropfen Schweiß und Blut fehl am Platze. Da geht’s um nichts.
Sie sind kein VfB-Fan?
Na, hören Sie mal, ich bin Lokalpatriot, im Stuttgarter Westen aufgewachsen! Sozialisiert durch meinen Vater, einen eingefleischten Fußballfan, war ich schon mit fünf im Neckarstadion. Als Jugendlicher hab’ ich das Stadionblättle verteilt.
Dann sind Sie sicher froh, dass der VfB nicht abgestiegen ist. Da hätte es wieder Fehden mit dem KSC gegeben . . .
Sicherlich. Es gibt noch viele alte Hooligans, flott auf 50 zugehend oder älter, seit 30 Jahren in dem Metier auffällig. Die kommen zwar nicht mehr so oft wie früher. Aber bei Karlsruhe würden die ganzen Alten nicht fehlen . . .
Sie gehen auch privat ins Stadion?
Ja, wenn ein geiles Spiel stattfindet, natürlich.
Aber letzte Saison gab es ja keines . . .
Da sehen Sie mal . . . Man hat ja noch andere Interessen. Wenn Samstag ein geniales Wetter ist, gehen wir gerne wandern. Da würden Sie uns nur zu zweit sehen, meist hoch hinauf.
Ihre drei Kinder sind nicht dabei, die sind längst erwachsen. Einer ist 38 und auch wohlgeraten, ein Polizist. Haben Sie eine Erklärung, warum Erziehung manchmal gelingt und manchmal nicht?
Man muss sich um seine Kinder kümmern, muss vorleben, Beispiel geben. Zuhören, Zuwendung, da sein, miteinander was machen, miteinander leben. Alles goldene Regeln. Man muss für Kinder nachvollziehbar sein und konsequent. Das ist doch wie im Beruf: Ordne nichts an und fordere nichts, was du nicht durchsetzen kannst. Wenn man dem Kind sagt, lass das bleiben, und es sagt, ich mach’s aber doch, und man es dabei belässt – dann wird’s nichts!