Milizenchef Ignace Murwanashyaka: Wieviel Einfluss hatte er auf die Kämpfer im Ostkongo? Foto: dpa

Im 6000 Kilometer entfernten Kongo sollen sie Kriegsverbrechen begangen haben – von Baden-Württemberg aus. Für den Führer der Miliz FDLR und seinen Vize fordert die Anklage nach einem vierjährigen Prozess nun lange Haftstrafen.

Stuttgart - Busurungi, ein kleines Dorf mit ein paar Tausend Einwohnern inmitten von bewaldeten Hügeln. Die Siedlung liegt in der Provinz Nord-Kivu im Osten der Demokratischen Republik Kongo. Mitten in der Nacht fallen Hunderte Soldaten der Rebellenmiliz FDLR, der Demokratischen Kräfte zur Befreiung Ruandas, im Schutz der Dunkelheit ein. Sie gehen von Haus zu Haus und töten die Bewohner. Häuser, die verschlossen sind, werden systematisch niedergebrannt, die einfachen Hütten aus Lehm, Holz und Stroh brennen im Nu lichterloh.

Am nächsten Morgen ist das Dorf dem Erdboden gleichgemacht, nur noch die rauchenden Aschehaufen lassen erahnen, wo vorher Häuser standen. Dazwischen liegen unzählige Leichen – die Menschen wurden verbrannt, enthauptet, erstochen, zerstückelt, massakriert. Mindestens 96 Zivilisten metzeln die FDLR-Kämpfer in jener Nacht vom 9. auf den 10. Mai 2009 nieder, darunter 23 Frauen und 25 Kinder. Rund 700 Kämpfer sind an diesem Massaker beteiligt, das als der schwerste Angriff der Hutu-Rebellenmiliz auf die kongolesische Zivilbevölkerung gilt. Nicht minder schlimm war ein Übergriff der kongolesischen Armee wenige Tage zuvor auf ein Dorf von der FDLR nahestehenden Hutu-Flüchtlingen gewesen; dafür übten die Rebellen in Busurungi Rache.

Per Satellitentelefon, SMS und E-Mail die Rebellen gesteuert

„Wir haben in Busurungi gute Ergebnisse erzielt“, schreibt Sylvestre Mudacumura, der Kommandeur des bewaffneten Flügels der FDLR, wenige Tage später per SMS nach Mannheim. Empfänger der Kurznachricht ist Ignace Murwanashyaka, der Präsident der Rebellenorganisation. Solche und ähnliche Kurznachrichten, E-Mails und Telefonate haben ihn und seinen Stellvertreter an der Spitze der FDLR, den in Neuffen (Kreis Esslingen) lebenden Straton Musoni, auf die Anklagebank des Stuttgarter Oberlandesgerichts gebracht. Die Kommunikation soll belegen, dass die beiden FDLR-Funktionäre von Baden-Württemberg aus per Satellitentelefon, SMS und E-Mail die Rebellengruppe im Ostkongo gesteuert haben.

Seit dem Mai 2011 müssen sich die beiden wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie Rädelsführerschaft und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vor dem 5. Strafsenat verantworten – im längsten Strafprozess in der Geschichte des Stuttgarter Oberlandesgerichts.

In ihrem gut siebenstündigen Plädoyer schildert die Bundesanwaltschaft am Mittwoch noch einmal nachdrücklich, warum sie beide für schuldig hält. Für den Hauptangeklagten Murwanashyaka fordert Bundesanwalt Christian Ritscher eine lebenslange Freiheitsstrafe. Geht es nach dem Anklagevertreter, soll eine besondere Schwere der Schuld festgestellt werden, so dass es nicht möglich ist, die Strafe nach 15 Jahren zur Bewährung auszusetzen.

Morde, Verstümmelungen, Vergewaltigungen und Brandschatzungen

Ignace Murwanashyaka habe eine herausragende Stellung innerhalb der Hutu-Miliz eingenommen; die Verbrechen, die deren Kämpfer in Ostkongo verübten, seien deshalb ihm zuzuweisen, „als hätte er sie selbst begangen“, sagt Ritscher. Als formaler, aber auch faktischer politischer und militärischer Oberbefehlshaber habe er von seiner Macht, die Gräueltaten seiner Truppen zu verhindern, keinen Gebrauch gemacht. Daher seien ihm Morde, Verstümmelungen, Vergewaltigungen und Brandschatzungen nach dem Völkerstrafgesetzbuch anzulasten.

Erklärtes Ziel der FDLR war es ursprünglich, das nach dem Völkermord von 1994 gestürzte Hutu-Regime in Ruanda wieder zu errichten. Dafür habe sich die FDLR eine Machtbasis im Ostkongo aufgebaut, so Oberstaatsanwalt Jasper Klinge. Aus Rache für Angriffe der kongolesischen Armee sei die Zivilbevölkerung mit „Strafoperationen“ attackiert worden. „Die FDLR wollte gezielt Leid anrichten, um es als politisches Druckmittel zu instrumentalisieren.“

Das Stuttgarter Verfahren ist der erste deutsche Prozess nach dem 2002 eingeführten Völkerstrafgesetzbuch. Dieses ermöglicht deutschen Gerichten, Kriegsverbrechen selbst dann zu ahnden, wenn sie im Ausland begangen wurden. Laut Völkerstrafgesetzbuch sind Vorgesetzte für die Taten ihrer Untergebenen verantwortlich, nicht nur wenn sie diese befohlen, sondern auch wenn sie diese nicht unterbunden haben. Aber hätte der in Mannheim lebende Murwanashyaka tatsächlich die Gräuel im kongolesischen Dschungel verhindern können? „Ja“, sagt Ritscher und betont Murwanashyakas enge Bande zu dem Kommandeur des militärische Arms der Miliz, Mudacumura. „Aber er hat nichts getan, um dem Treiben seiner Miliz im Ostkongo ein Ende zu bereiten. Er wollte dies auch gar nicht, weil er zufrieden war mit dem, was sich dort abspielte.“

Der 52-Jährige, der seit 1989 in Deutschland lebt, in Bonn Volkswirtschaftslehre studierte und in Köln in Wirtschafts- und Sozialwissenschaften promovierte, sei als Präsident für die „perfide, menschenverachtende Gesamtstrategie der FDLR“ verantwortlich. Die Anklage legt dem Vater zweier zwölf und 23 Jahre alter Kinder, der in Deutschland von Sozialleistungen lebte, daher die volle Verantwortung für fünf Massaker im Jahr 2009 mit insgesamt mindestens 200 getöteten Zivilisten zur Last.

„Murwanashyaka war keineswegs nur ein Möchtegern-Feldherr, der sich daheim auf dem Sofa in Mannheim einbildete, ein großer militärischer Führer zu sein“, stellt Bundesanwalt Ritscher fest. Er sei der unangefochtene Oberbefehlshaber gewesen, wie auch seine Wiederwahl als FDLR-Präsident selbst nach fünfjähriger Inhaftierung Ende 2014 belege: „Ein Warlord, ein Kriegsherr – mitten in Mannheim.“

Ein Geständnis, das Einsicht und Reue zeigen würde, fehle. Seine Frömmigkeit – er trägt im Gerichtssaal stets einen Rosenkranz um den Hals – sei nichts als Fassade. Statt von Brüderlichkeit und Nächstenliebe sei sein Denken von Fanatismus, Rassismus und Hass geprägt. Ritscher bezeichnet den ihn als „Archetyp des Überzeugungstäters“.

Für seinen mitangeklagten Stellvertreter Straton Musoni fordert die Bundesanwaltschaft zwölf Jahre Haft. Er muss sich nur noch wegen Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung verantworten, nachdem der Senat Zweifel geäußert hatte, ob der 54-Jährige tatsächlich Vorgesetztengewalt über den militärischen Arm hatte. Gleichwohl hält der Erste Staatsanwalt Holger Schneider-Glockzin fest, dass Musoni kein „idealistischer Politiker“ sei, wie er glauben machen wolle.