Vor Kurzem prüfte ein bergmännischer Sachverständiger Foto: Schutzbauten Stuttgart e.V.

Auf einem Grundstück an der Kameralamtsstraße tat sich vor Kurzem ein Loch auf: Ein alter Luftschutzstollen aus dem Zweiten Weltkrieg musste teilweise neu verfüllt werden.

Stammheim - Ein ungewohnter Anblick bot sich vor einigen Tagen auf dem Grundstück an der Kameralamtsstraße 33. Dort tat sich auf einer Wiese wie von Geisterhand die Erde auf und gab den Blick in ein circa ein Meter tiefes Loch frei. Nachdem die Polizei angerückt war, stellte sich schnell heraus, dass nicht etwa über- oder unterirdische Mächte ihre Hand im Spiel hatten. Die Erklärung ist weitaus profaner und reicht zurück in den Zweiten Weltkrieg: Ende 1944 war dort ein Luftschutzstollen in die Erde getrieben worden, nun entstand ein so genannter „Tagesbruch“. Die Polizei sperrte das Areal ab, das städtische Tiefbauamt und die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) in Bonn wurden informiert.

Keine Gefahr für die Öffentlichkeit

„Eine Gefahr für die Öffentlichkeit bestand nicht“, heißt es seitens der Bundesanstalt. Das Gelände sei umgehend durch Polizei und Tiefbauamt gesichert worden. Im März rückte dann ein vom Bund beauftragter bergtechnischer Sachverständiger an und stellte fest, dass in der Nähe des mittleren Eingangs des Stollens ein Bereich von etwa zwei Meter nicht ordentlich verfüllt ist. Dieses Loch wurde dann vom Tiefbauamt mit einem speziellen Baustoff aufgefüllt. Weitere Maßnahmen sind laut BImA nicht erforderlich. Bereits 1978 war der Stollen aufgefüllt worden, das damals verwendete Material hatte aber im Vergleich zu den heutigen Substanzen eine geringere Fließeigenschaft. Deshalb entstand keine homogene Füllung. Im Laufe der Jahre brach dann immer mehr Erde ein, Ergebnis war schließlich das Loch an der Oberfläche.

Dass die BImA eingeschaltet werden musste ergibt sich aus den Statuten des Allgemeinen Kriegsfolgengesetztes (AKG). Darin ist geregelt, dass der Bund dann aktiv werden muss, wenn von ehemaligen Luftschutzanlagen, die im Auftrag und auf Rechnung des Dritten Reiches erbaut wurden, Gefahren ausgehen. Und das war hier der Fall: Gegraben wurde der Stollen 1944. Er war rund 195 Meter lang, zwei Meter hoch und zwischen 1,20 und 1,40 Meter breit. Bis zu 200 Personen konnten darin Schutz finden. Die Anlage, offiziell als Pionierstollen 168 registriert, hatte drei Eingänge.

Wie bedrückend und gefährlich die Situation in den Luftschutzstollen während des Krieges war, schildert der Stammheimer Horst Schweizer. „So etwas vergisst man nicht, das sitzt tief in einem drin“, erzählt der 84-Jährige. Als kleiner Junge suchte er Zuflucht im Stollen seines Nachbarn, rund 30 Meter entfernt vom eigenen Zuhause an der Seitenstraße (heute Imkerstraße). Beim Bau hatte er selbst mitgeholfen: „Der Stollen war 50 bis 60 Meter lang, hatte links und rechts Quergänge, in denen Stockbetten standen, und war mit Holzdielen verschalt.“ Im Sommer 1944 erlebte er dort seinen ersten schweren Angriff: „Das erste Mal in meinem jungen Leben hatte ich Todesangst.“ Das Heulen der Sirenen, das Bellen der Flak und das Beben der Erde bei Bombeneinschlägen haben sich bis heute unvergesslich bei ihm eingeprägt.

Zwangsarbeiter durften nicht in den Schutzraum

Wer Platz in einem Bunker und Stollen fand, konnte sich damals glücklich schätzen. Zwangsarbeiter beispielsweise hatten dort normalerweise keinen Zutritt. Den meisten anderen Bürgern blieb im Notfall wenigstens der eigene Keller. So war es auch bei Horst Schweizer am 28. Januar 1945. Während des schlimmsten Angriffs auf Stammheim (er forderte 84 Menschenleben) hatte er nicht mehr genug Zeit, zum Stollen zu rennen und musste den Bombenhagel im Keller über sich ergehen lassen. Glücklicherweise blieben seine Familie und er unverletzt – das Haus hingegen hatte einen Treffer abbekommen und „sah aus wie im Rohbau“.

Laut der BImA ist ein vergleichbarer Fall wie in Stammheim in Stuttgart bislang noch nicht aufgetreten. Während des Zweiten Weltkrieges gab es in Stuttgart rund 300 öffentliche Pionierstollen und eine unbekannte Zahl von Privat- und Firmenstollen.