Die Linde auf dem Weilerhau wurde zur Erinnerung an den Frieden von Frankfurt 1871 gepflanzt. Foto: /Stadtarchiv Filderstadt

Die Freundschaft mit Frankreich ist heute Selbstverständlich. Vor 150 Jahren führten Deutsche und Franzosen einen erbitterten Krieg. Daran erinnert eine besondere Linde in Filderstadt-Plattenhardt.

Filderstadt - Die deutsch-französische Freundschaft spiegelt sich unter anderem in Städtepartnerschaften. Filderstadt hat sie mit La Souterraine und mit Dombasle-sur-Meurthe geschlossen. Dass der Frieden zwischen den beiden Staaten keine Selbstverständlichkeit ist, wird im Plattenhardt sichtbar. Wer auf der Römerstraße hinauf zum Weilerhau fährt, der stößt auf die fast 150 Jahre alte Friedenslinde, die auf die Zeit verweist, in der nicht von Freundschaft, sondern von Erbfeindschaft die Rede war. Der Baum wurde zum Andenken an den Friedensschluss des Deutsch-Französischen Kriegs von 1870/71 gepflanzt.

In diesem Krieg musste Frankreich an das neugegründete deutsche Kaiserreich große Teile des Elsass und Lothringens abtreten und außerdem die damals schwindelerregend hohe Summe von fünf Milliarden Goldfrancs bezahlen, wovon im Deutschen Reich der Wirtschaftsboom der Gründerzeit angetrieben wurde.

Mit den gnadenlosen Reparationen, die Deutschland Frankreich auferlegte, war die Grundlage für die sogenannte deutsch-französische Erbfeindschaft gefestigt, und Frankreich revanchierte sich 1918 mit den Bedingungen im Versailler Vertrag, welcher wiederum deutschen Nationalisten Gelegenheit bot, Hass zu predigen. Die Spirale der Gewalt setzte sich fort, bis nach dem Zweiten Weltkrieg Charles de Gaulle dem deutschen Bundeskanzler Konrad Adenauer die Hand zu Versöhnung reichte – und die deutsch-französische Verständigung begann.

Spielt die Tradition der Gerichtslinden eine Rolle?

Über die genauen Umstände der Pflanzung der Plattenhardter Friedenslinde ist nichts mehr zu erfahren, denn die Filderbewohner hatten 1871 noch nicht das Glück, durch den Neuen Filderboten, den Vorläufer der Filder-Zeitung, informiert worden zu sein, denn die Zeitung erschien erstmals 1872. Dies ist einer der Gründe, warum auch Nikolaus Back, Filderstadts Stadtarchivar, das Datum der Baumpflanzung nicht kennt. Hinter dem Umstand, dass es keine Eichen oder Buchen waren, die als Erinnerungsbäume gepflanzt wurden, vermutet er die Tradition der Gerichtslinden, unter denen vom Mittelalter an bis in die Neuzeit hinein auf dem Land die Dorfgerichte tagten.

Laut Nikolaus Back steht fest, dass in vier der fünf heutigen Ortsteile Filderstadts Friedenslinden standen. „In Bernhausen stand eine solche Linde. Anfang der 1990er Jahre musste sie gefällt werden. Heute erinnert noch das Gasthaus Linde an sie“, sagt der Stadtarchivar. Harthausen habe drei Linden ins Ortswappen aufgenommen. „Sie stehen eigentlich auf Sielminger Markung, wurden von den Harthausenern vereinnahmt.“

Am schönsten Punkt der Filder

Diese drei Linden, „am schönsten Punkt der Filder“, sollten am 1. September 1872 Treffpunkt einer Sedans-Feier werden. Gedacht werden sollte der Schlacht von Sedan, die am 2. September 1870 zur Kapitulation des französischen Kaisers Napoleon III. geführt hatte. Im Neuen Filderboten riefen dazu in einer ganzseitigen Anzeige nicht nur die Schultheissen von Bernhausen, Bonlanden, Plattenhardt, Untersielmingen, Hohenheim, Plieningen und Echterdingen auf, sondern neben Pfarrern und Lehrern auch Honoratioren wie Professoren und Forsträte. Eine der drei Linden, sagt Nikolaus Back, habe der Orkan Lothar zu Fall gebracht. „Es kann sein, dass auch diese Bäume vor 150 Jahren gepflanzt wurden, von ihrer Größe her betrachtet, könnte das passen“, sagt er. Eine weitere Linde sei in Bonlanden gestanden. Der dortige Gasthof zur Linde existiere nicht mehr, aber die Altenwohnanlage Lindle verweise auf sie.

Der Krieg von 1870/71 hat sich auf auf Plattenhardt ausgewirkt. In der zur 750-Jahr-Feier des Ortsteils erschienen Ortsgeschichte verweist Nikolaus Back im Abschnitt über die Kaiserzeit auf einen Bericht des Schultheißen Schlecht. Dieser habe bemängelt, dass der Gemeinde Geld fehlte, weil „die Einzahlungen an die öffentlichen Cassen plötzlich aufgehört“ hätten. Weil die Gemeinde mit der Einquartierung von Militär rechnete, stellte eine Kommission aus Schultheiß, Lehrer und Gemeinderäten eine Quartierliste zusammen. In der Gemeinde, berichtet Back, sei auch für verwundete Soldaten und den Sanitätsverein gesammelt worden. Das Ergebnis sei aber mager ausgefallen, weshalb der Gemeinderat beschlossen habe, einen Zuschuss aus der Gemeindekasse zu zahlen und dass jeder einberufene Soldat fünf Florinth von der Gemeinde bekommen solle.

Militarisierung der Gesellschaft

Was sich ebenfalls in der Folge des Krieges auf den Fildern und in Plattenhardt niederschlug, war der Wirtschaftsboom. Durch die Industrialisierung und das florierende Baugewerbe verdienten viele Menschen auf der Filderebene ihr Geld nicht mehr in der Landwirtschaft, sondern als Maurer im prosperierenden Stuttgart. Außerdem war die Militarisierung der Gesellschaft zu beobachten. Der Sieg über Frankreich bescherte dem Militär unerhörtes Prestige. „Neben dem Gesangverein war der Kriegerverein auf dem Land der verbreitetste Vereinstyp“, sagt Nikolaus Back. 1872 oder 1873 hätten Veteranen des Krieges von 1870/71 den „Militärverein Plattenhardt“ gegründet, und in den anderen heutigen Filderstädter Stadtteilen seien weitere entstanden. Die Veteranen hätten der Kriege von 1866 und 1870/71 gedacht und bedürftige Kameraden und Hinterbliebene der Gefallenen unterstützt. „Vermutlich steht dieser Verein auch im Zusammenhang mit der Pflanzung der Friedenslinde auf dem Weilerhau“, sagt Back. Als Traditionspflege seien dort der Sedanstag oder die Geburtstage des deutschen Kaisers und des württembergischen Königs gefeiert worden.

Ab 1890, sagt Back, hätten in den Kriegervereinen militärische Themen und nationale Symbole an Bedeutung gewonnen: „1899 schlossen sich die Landesverbände, darunter der Württembergische Kriegerbund, zum Kyffhäuserbund zusammen. Letzterer unterstützte den neu-wilhelminischen Militarismus, der Deutschland zur Weltmacht machen wollte.“ Der Kyffhäuserbund habe Außenpolitik als Kampf ums Dasein begriffen, in dem sich der Stärkere durchsetze und in dem die Hoffnung auf Frieden eine Illusion sei.