Die Energiepreise schnellen in die Höhe. Am Aktienmarkt kommt es zu heftigen Verwerfungen. Experten raten aber von Verkäufen ab.
Frankfurt - Diskussionen über einen Importstopp für russische Energielieferungen haben am Montag heftige Turbulenzen an den Börsen ausgelöst. Die Preise für Öl und Erdgas schnellten in die Höhe, der Deutsche Aktienindex (Dax) fiel vorübergehend um fünf Prozent. Die Bundesregierung sprach sich gegen ein Embargo aus. Danach konnte der Dax seine Verluste eingrenzen und schloss letztlich zwei Prozent im Minus.
Warum explodieren die Energiepreise?
Rund ein Zehntel der weltweiten Ölexporte stammen aus Russland, das damit auf dem zweiten Platz hinter Saudi-Arabien liegt. Für Deutschland und die EU ist Russland der wichtigste Öl- und Erdgaslieferant. Wegen der von US-Außenminister Antony Blinken angekündigten Embargodiskussion stieg der für den europäischen Markt maßgebliche Börsenpreis für Erdgas am Montag zeitweise auf ein Rekordhoch von mehr als 330 Euro pro Megawattstunde. Der Preis für die Rohölsorte Brent aus der Nordsee erreichte in der Spitze 139 Dollar je Barrel (159 Liter), das war der höchste Stand seit 2008.
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Was bedeutet das für den Aktienmarkt?
Je höher die Energiepreise, desto weniger Geld bleibt Verbrauchern für andere Ausgaben. Das schmälert die Nachfrage. Obendrein können viele Unternehmen steigende Energiekosten nicht vollständig an ihre Kunden weitergeben, was ihre Gewinnmarge belastet. Viele Ökonomen befürchten für den Fall eines russischen Energielieferstopps eine Rezession. Wie nervös Investoren schon vor der Embargodiskussion waren, zeigte am Montag das Konjunkturbarometer Sentix: Der Indikator, der auf einer Umfrage unter 1200 Finanzmarktteilnehmern im Euroraum beruht, fiel um 24 auf 7 Punkte – den niedrigsten Stand seit November 2020.
Sollten Anleger verkaufen?
„Jetzt Aktien zu verkaufen, ist aus meiner Sicht nicht sinnvoll“, sagt der Chefanlagestratege der Privatbank Berenberg, Bernd Meyer. „Das Kurs-Gewinn-Verhältnis europäischer Aktien liegt jetzt im Schnitt bei 13, deutlich unter dem langjährigen Mittelwert von 14,6. Das bedeutet: Selbst wenn die Unternehmensgewinne weniger hoch ausfallen sollten als vor dem Ukraine-Krieg erwartet, sind die Bewertungen attraktiv.“ Ähnlich sieht es Marcel Müller, Leiter des Portfoliomanagements bei HQ Trust: „Für einen langfristig orientierten Investor macht es absolut keinen Sinn, jetzt Aktien zu verkaufen.“ Der Analyst Markus Reinwand von der hessisch-thüringischen Landesbank Helaba empfiehlt sogar, bei weiteren Kursrückgängen „vorsichtig Aktien zuzukaufen“.
Und wenn die Aktienkurse weiter fallen?
Das ist durchaus möglich. „Aber auf Sicht von drei Monaten erwarten wir eine Stabilisierung der Lage, weil wir nicht glauben, dass Russland einen langen Krieg durchhält. Die Sanktionen treffen die russische Elite und auch die gesamte Bevölkerung hart“, sagt Berenberg-Chefanlagestratege Meyer. Natürlich seien Prognosen aktuell sehr schwierig. „Gerade deshalb ist ein ausbalanciertes Portfolio besser als finanzielle Wetten auf ein bestimmtes Szenario.“ Wichtig sei eine regionale Differenzierung: „Aktien aus China oder Lateinamerika beispielsweise sind vom Krieg weniger stark betroffen als der europäische und der US-amerikanische Markt.“ Auch Müller betont: „Globale Aktienindizes wie der MSCI All Country World stehen viel besser da als der Dax. Geld weltweit zu streuen löst schon einige Probleme.“
Wie wäre es stattdessen mit Anleihen?
Die Renditen von Staatsanleihen sind bis Kriegsbeginn gestiegen, liegen aber weit unterhalb der Inflationsrate. Obwohl die US-Notenbank im März ihren Leitzins erhöhen dürfte, sei das Aufwärtspotenzial begrenzt, meint Müller: „Wir werden eine Belastung für die globale Konjunktur sehen durch die steigenden Energiepreise und steigende Staatsschulden. Die Zentralbanken haben deshalb keinen großen Spielraum, die Zinsen im Kampf gegen die Inflation deutlich anzuheben.“ Das spreche für „Sachwerte wie Aktien, Immobilien und Private Equity, also Unternehmensbeteiligungen“.
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Können Anleger vom Anstieg der Rohstoffpreise profitieren?
Hier gehen die Meinungen der Experten auseinander. Meyer empfiehlt fürs Depot grundsätzlich einen Rohstoffanteil von zehn bis 15 Prozent, inklusive Gold. Allerdings sind Rohstoffe derzeit eben sehr teuer. „Wer jetzt noch einstiegen will, sollte sich genau überlegen, welche Rohstoffe über die Krise hinaus noch von einem Aufwärtstrend profitieren könnten. Dazu zählen Metalle, die für den Ausbau der erneuerbaren Energien und die Elektrifizierung des Verkehrs gebraucht werden, zum Beispiel Kupfer, Aluminium, Nickel oder Palladium.“ HQ-Trust-Experte Müller dagegen meint: „Gold ist eine super Krisenwährung. Ansonsten würde ich als langfristiger Investor nicht in Rohstoffe investieren, wenn sie schon so teuer sind.“
Sind Absicherungsinstrumente sinnvoll?
Das hat seinen Preis: „Man kann sein Aktienportfolio über Derivate gegen Verluste absichern. Aber wie bei jeder Versicherung kostet das Geld – und in der aktuellen Situation sind die Absicherungsinstrumente sehr teuer“, sagt Müller. Sein Resümee: „Das Beste ist, im Markt zu bleiben und global zu investieren, auch in US-Aktien und Schwellenländer-Aktien.“
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