Ignazio Cassis, Bundespräsident der Schweiz, sieht die Zeit für harte Sanktionen seines Landes gegen Russland nicht gekommen. Foto: dpa/Alessandro Della Valle

Das Land ist ein Zentrum für den russischen Rohstoffhandel. Nicht alle Politiker in Bern sind mit der zurückhaltenden Reaktion des Bundesrates zufrieden.

Brüssel - Die Schweiz ist ein diskretes Land. Das gilt nicht nur für Bankgeschäfte, sondern auch für die Diplomatie. Dennoch war es überraschend, wie der Bundesrat am Mittwochabend die eigenen Maßnahmen in Sachen Sanktionen gegen Russland in der Ukraine-Krise veröffentlichte. Trotz des sich abzeichnenden Krieges sah Bundespräsident und Außenminister Ignazio Cassis keine Notwendigkeit, persönlich aufzutreten, sondern verschickte lediglich ein Kommuniqué.

Darin war zu lesen, dass sich die Schweiz den Sanktionen der EU und vieler anderer Staaten gegen Russland nicht anschließt. Sie wolle aber alles tun, damit die Schweiz nicht „als Umgehungsplattform für die von der EU erlassenen Sanktionen benutzt werden kann“, wie es in der Mitteilung heißt. Genauso hatte sich die Schweiz schon nach der russischen Annexion der Krim 2014 verhalten.

Die Schweiz pocht auf ihre Neutralität

Auch in diesem Fall pocht die Schweiz auf ihre Neutralität bei zwischenstaatlichen Konflikten. Dies beinhaltet nach Angaben des Außenministeriums unter anderem, dass die Schweiz nicht an Kriegen teilnimmt und alle Kriegsparteien im Hinblick auf den Export von Rüstungsgütern gleich behandelt. Gleichwohl hat die Regierung die russische Anerkennung der Separatistenregionen Donezk und Luhansk in der Ukraine verurteilt. Es handele sich um einen völkerrechtswidrigen Akt.

Der Bundesrat will nun die Sanktionen der EU analysieren und danach entscheiden, was allerdings geraume Zeit in Anspruch nehmen könnte. Beobachter halten diese Aussage für reichlich verwunderlich, da in den vergangenen Tagen genügend Spielraum gewesen sei, solche Analysen anzustellen. Kritiker monieren auch, dass die zahnlosen Sanktionen der Schweiz gerade so weit gehen würde, dass das Land nicht als Krisengewinnler dastehe.

Pressekonferenz mit ausweichenden Antworten

Am Donnerstagnachmittag, nach dem Beginn des Krieges in der Ukraine, wurde vom Schweizer Bundesrat eine außerordentliche Sitzung einberufen. Danach äußerte sich Ignazio Cassis zu der Entwicklung und Experten beantworteten Fragen der wartenden Journalisten. Immer wieder wird nach einer einfachen Zusammenfassung der beschlossenen Maßnahmen verlangt. Die Antworten bleiben aber im Ungefähren. Nach Angaben der Schweizer Zeitung „Tagesanzeiger“ habe der „Bürokraten-Slang der Fachexperten“ die Journalisten allerdings zunehmend zur Verzweiflung getrieben.

Besonders viele Nachfragen provoziert der semantische Unterschied zwischen „Sanktionen“ und „Maßnahmen zur Umgehung von Sanktionen“. Wenig befriedigende Antworten gab es auch zu den russischen Personen, die in der EU auf der Sanktionsliste stehen, in der Schweiz aber weiterhin frei über ihr Geld verfügen können. Hingewiesen wurde darauf, dass der Bundesrat durchaus die Möglichkeit hätte, die Gelder russischer Personen einzufrieren. Dafür gibt es ein im Embargo-Gesetz verankertes Notrecht. Die Antwort darauf war, dass der Bundesrat entschieden habe, einen anderen Weg zu gehen.

Die Schweiz ist ein zentraler Bankenplatz

Angesichts der Schweiz als internationale Drehscheibe für Finanzgeschäfte und Umschlagplatz für den Rohstoffhandel, würden harte Sanktionen die Machthaber im Kreml schwer treffen. Nach offiziellen Angaben laufen rund 80 Prozent des russischen Rohstoffhandels über Schweizer Finanzdienstleistungszentren in Genf, Zug Lugano und Zürich. Die wichtigen russischen Unternehmen und Banken haben in der Schweiz große Niederlassungen. Zudem transferieren reiche Russen in kein anderes Land der Welt mehr Geld, als in die Schweiz. Diese Kapitalbewegung habe sich seit den internationalen Sanktionen gegen Russland nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim im Jahr 2014 noch vervielfacht.

Kritik an der Entscheidung des Bundesrates

Enttäuscht auf die Mitteilung des Bundesrates reagierten die Politiker der Schweizer Grünen und der Sozialdemokratischen Partei (SP). „Schweigen und Nichtstun im Angesicht des Krieges ist kein Zeichen von Neutralität, sondern von schändlicher Feigheit und von Opportunismus“, empörte sich Juso-Präsidentin Ronja Jansen am Mittwoch bei einer Demonstration vor der russischen Botschaft in Bern. Ihre Forderung: „Die Schweiz muss sich den europäischen Sanktionen gegen die russische Elite anschließen.“ Im Gegensatz dazu unterstützen führende bürgerliche Politiker die Haltung des Bundesrates. So lobte die konservative SVP in einer Mitteilung, dass die Schweizer Regierung das antirussische Vorgehen der EU und der USA „nicht blindlings unterstützt“.