Großes Kino: Selbst quirlige Kindergartenkinder werden an Bord ganz andächtig und entdecken, dass der Blick aufs Meer viel schöner ist als jeder Trickfilm Foto: Susanne Rehm

Kreuzfahrten sind nicht nur für Rentner, das Reisen über die Meere macht auch Familien Freude.

Die Sonne ist am Horizont verschwunden, doch der Tag hat sich noch nicht verabschiedet. Irgendwo zwischen Tallinn und Sankt Petersburg sitzen Damen und Herren bei Wein und Kerzenschein und schauen auf die silbergraue Ostsee. Die Bordband trällert gegen die gedämpfte Unterhaltung mit Abba-Hits an, ein paar Unerschrockene wiegen sich im Tanzstundenschritt. Auch im Pool ist die Stimmung bestens. Zehn Kinder schlagen dort zu nächtlicher Stunde Purzelbäume. "Guck mal, was ich kann!", kräht Janne und macht einen Handstand im Wasser. Die Eltern schauen zu und müssen nicht bangen, dass man die Wasserratten zur Ruhe mahnt. Im Gegenteil: Wenn auf der Passagierliste der MS Columbus neben Studienreisenden und Senioren auch Familien stehen, dann sind Kinder die Herrscher zwischen Kombüse und Kajüte, Lachen gehört zur Bordsprache, und das Personal erfüllt den Fünf- bis 15-Jährigen jeden Wunsch. Heute Abend also langer Badespaß bis 22 Uhr.

Am Morgen ziehen Senioren wieder gelassen ihre Bahnen oder treiben Wassergymnastik. Die Kinder sind spätestens dann zur Stelle, wenn aus dem Bordlautsprecher die Abfahrt der Busse angesagt wird. Für Familien gibt es heute ein spezielles Programm, eine Landpartie mit Monika, der Kinderbetreuerin. Etwa die Hälfte der 20 Jungen und Mädchen, die sie auf der Reise zu den Häfen der Ostsee um sich schart, steigt mit ihren Eltern und Großeltern in die Barkasse und zuckelt durch die Kanallandschaft von Sankt Petersburg.

An den Extra-Touren mit kindgerechtem Programm nehmen aber nicht nur Familien teil, sondern auch viele ältere Passagiere, weil sie die Stimmung unterwegs schätzen, wie die beiden Pensionäre aus Süddeutschland mit Kreuzfahrterfahrung: "Wir wollen unseren Urlaub nicht nur unter Älteren verbringen, die am Pool rumsitzen, schlafen und essen", gesteht die Geschäftsfrau a. D. Vom Rumsitzen halten die kleinen Touristen im Familienboot tatsächlich nichts. Paul und Anna machen Faxen, und Marie schießt dazu Fotos. Wenn ihnen der Vortrag des russischen Stadtführers zu lang wird und nach all den Palästen und Brücken Bewegung gefragt ist, improvisiert Monika schnell ein paar Spiele auf dem großen Exerzierhof vor der Peter-und-Paul-Kathedrale.

Während der 15-tägigen Reise mit der Columbus haben Familien die Wahl zwischen regulären Landausflügen zu verschiedenen Themen, auf die sie ihren Anhang in Eigenregie mitnehmen können, und Kinder- oder Familientouren mit einem speziellen Programm: In Kopenhagen besuchen die Nachwuchs-Kreuzfahrer ein Experimente-Museum, auf Bornholm einen Freizeitpark, in Stockholm das Vasa-Museum und die Kinderbuchwelt Junibacken. In Riga fährt die Kindergruppe in den Zoo, und auf Rügen wartet der Rasende Roland. Nicht immer haben die Guides vor Ort ein Händchen für die Interessen der jungen Teilnehmer. Aber das stört vor allem die Großen. Die Kinder werden schnell zu einer eingeschworenen Truppe, die sich auch mal selbst beschäftigen kann und immer ein gemütliches Plätzchen findet.

"Wo stecken die Kinder?", lautet häufig die Frage auf dieser Reise. Das wissen neben Monika auch meistens die hilfsbereiten Mitarbeiter oder andere Passagiere, die das Familienprogramm begleiten, das nicht dominiert, sondern sich mit 30 bis 50 Kindern harmonisch ins Bordleben einfügt. Was auf großen Linern die Regel ist, ein ausgewiesener Kinderbereich, das fehlt auf der Columbus, einem mit maximal 420 Passagieren eher kleinen Schiff.

So touren die Kinder mit Monika zwischen Weinstube, Bibliothek, Lounge und Palmengarten hin und her, treffen sich zum Toben auf dem Hubschrauberlandeplatz. Und mehrmals am Tag ist der Pool der Mittelpunkt, wo manchmal alle Kinder auf einmal für Überfüllung, aber nie für Missstimmung sorgen. Die anderen Passagiere lassen sich weder beim Nickerchen noch beim Essen stören, schließlich gibt es genügend ruhige Liegestühle fernab des heiteren Planschens. Den Treffpunkt für die Angebote kündigt Monika allabendlich im Kinderprogramm an: vom Kennenlernen am ersten Seetag über Bilderbuchkino, Filme gucken, Spiele-Runden, gemeinsamen Abendessen, Tenderfahrt und Brücke stürmen bis hin zum opulenten Piraten-Gelage.

Jeden Abend sitzen Theresa, Vivienne, Linus, Malena, Janne und all die anderen Kinder nach dem Essen konzentriert an Tischen in einer Ecke des Palmengartens und basteln an ihrem Bordtagebuch. Seite für Seite halten sie fest, was sie erlebt haben, kleben Eintrittskarten, Vogelfedern, Bonbonpapiere, Prospekte und Ansichtskarten auf und lassen Sand zu Bildern rieseln. Am letzten Tag werden die Bücher allen Mitreisenden präsentiert und von vielen begutachtet. "Das hat mir gut gefallen, was sie da mit den Kindern gemacht haben", lautet das Resümee eines Großvaters, der nach dieser Erfahrung auch eine Kreuzfahrt mit den Enkeln plant.

Was die einen als Nachteil empfinden, stellt sich in solchen Momenten als Vorteil heraus: Auf der überschaubaren MS Columbus kann keiner verloren gehen, die Kinder sind immer im Blick und Teil der Reisegesellschaft, sie werden nicht in einem Kinderbereich wegorganisiert, sondern genießen ihr Leben an Bord mittendrin. Auch die zehn Jugendlichen gehören schnell dazu, werden charmant hofiert und lockern die Runden auf. Und meistens kommen sie mit, wenn Monika spontan zu einem Spaziergang durch die Altstadt von Tallinn einlädt, wo die Fünfjährige an der Hand der 15-Jährigen umherschlendert, gebrannte Mandeln mümmelt oder im Rathaus in einer Schatztruhe voller alter Münzen wühlt.

Beim Ausschiffen am letzten Tag fließen Tränen. Adressen werden ausgetauscht und Wiedersehensschwüre ausgesprochen. Monika steht bei den Koffern und drückt ihre Schützlinge herzlich. Gleich kommen die nächsten Familien, die in See stechen und zwischen Kombüse und Kajüte Könige sind.

Kreuzfahrt über die Ostsee

Anreise
Zum Cruise-Terminal am Kieler Hafen bietet die Reederei Hapag Lloyd für die Ein- und Ausschiffung einen Bustransfer ab Hamburg Hauptbahnhof oder Flughafen an. Kosten: Zwölf Euro pro Person, Kinder bis vier Jahre sind kostenfrei, von fünf bis 15 Jahren bezahlen sie sechs Euro.

Familienkreuzfahrten
Die Reisen mit der MS Columbus gibt es bei Hapag Lloyd Kreuzfahrten unter www.hlkf.de. Auch andere Anbieter wie Costa Kreuzfahrten (www.costkreuzfahrten.de), Aida (www.aida.de) oder Tui Cruises / Mein Schiff (www.tuicruises.com) sind auf Familien mit Kindern eingestellt.

Preise
Eine zwölftägige Familienkreuzfahrt auf der MS Columbus über die Ostsee kostet ab 1550 Euro pro Person. Ein Kind erhält bis einschließlich 15 Jahre eine Freipassage, wenn es in der Kabine mit einer oder mit zwei voll zahlenden Personen untergebracht ist. Bei Costa fahren Kinder bis 18 Jahre als dritte oder vierte Person in der Kabine kostenlos mit. Ist der Ablegehafen nur mit dem Flugzeug zu erreichen, müssen Flüge extra bezahlt werden. Selbiges gilt bei Tui Cruises bis 14 Jahre. Auf den Schiffen der Aida-Flotte sind Kinder bis 15 Jahre bei einigen Zielen kostenlos, je nach Route und Reisezeit fällt ein Pauschalbetrag an.