Annette Schavan und Winfried Kretschmann im Haus der Katholischen Kirche Foto: Lichtgut/Oliver Willikonsky

Winfried Kretschmann und Annette Schavan trafen sich im Haus der Katholischen Kirche zu einem Austausch über Kirche, Glaube und Politik. Der Grüne und die CDU-Politikerin entdecken Gemeinsamkeiten.

Stuttgart - Vor zwei Jahren sorgte Ministerpräsident Winfried Kretschmann im eigenen politischen Lager für Unruhe, als er zu Protokoll gab, jeden Tag für Kanzlerin Merkel zu beten. Dass er keineswegs ein verknöcherter Katholik ist, zeigte das Gespräch zwischen dem Landesvater und Annette Schavan, jetzt deutsche Botschafterin beim Heiligen Stuhl, im Haus der Katholischen Kirche. Der Austausch über den Stellenwert von Glaube und Kirche für Staat und Politik war von einem klaren Bekenntnis zur Wandlungsbereitschaft der Kirche geprägt.

Bibeltext immer wieder neu deutbar

„Glaube ist kein Paket, das, einmal vom Himmel gefallen ist und nun nur weitergereicht wird“, betonte Kretschmann und zitierte den jüdischen Religionswissenschaftler Pinchas Lapide: „Man kann die Bibel entweder wörtlich nehmen oder ernst.“ In der Möglichkeit zur Auslegung liege eine der Stärken des Christentums, so der einstige Oberministrant. Die Tatsache, dass das Buch der Bücher gleich vier Evangelien enthalte, sei wunderbar. Sie zeige, dass man die Texte immer wieder neu deuten könne, ja sogar müsse, ohne dass die Grundwerte dadurch erschüttert würden. Kretschmann sieht darin eine Chance für die Kirche, sich am gesellschaftlichen und politischen Diskurs zu beteiligen. Sein Ideal: eine „kooperative Trennung“ von Kirche und Staat.

„Es gibt etliche Beispiele, die zeigen, das ethische und politische Fragen nicht voneinander zu trennen sind“, hält Annette Schavan fest. Die frühere Bundesministerin für Bildung und Forschung erinnert an die hitzigen Debatten zur Stammzellenforschung oder den Kopftuchstreit anno 2010, in dem es um die Frage ging, ob eine muslimische Lehrerin mit Kopftuch unterrichten dürfe oder nicht. In ihrem Buch „Gott, der erneuert – Erfahrungen von Hoffnung und Freiheit“, dessen Titel als Motto der Veranstaltung dient, hat die studierte Theologin ihre politischen Erfahrungen reflektiert.

Papst Franziskus und der Kuss des Rings

Moderiert von Hilke Lorenz, Autorin der Stuttgarter Zeitung, ist vor allem Schavans Detailwissen über Papst Franziskus gefragt. Sie zeichnet das Bild eines Neuerers, der sich durch Bescheidenheit und Glaubensstärke auszeichnet. „Es gibt immer noch Besucher, die bei einer Audienz versuchen, seinen Ring zu küssen“, verrät Schavan. „Das ist eine echte Herausforderung, denn dem Papst ist dieser Ritus wie Spitzgras.“ Soweit möglich, verzichte Franziskus auf alles, was von der direkten Begegnung mit den Menschen ablenke, weiß die Diplomatin.

„Er ist unglaublich wach in der Gesprächsführung“ bestätigt Kretschmann. „Und er ist sehr an einem echten Dialog interessiert. Bei unserem letzten Zusammentreffen gab es Null Smalltalk.“ Darauf angesprochen, dass er damals die Audienzzeit überzogen habe, verweist der Grüne auf die gemeinsamen Positionen in ökologischen Fragen: „Franziskus hat die Schöpfungstheologie wieder stärker in den Vordergrund gerückt. Die Kirchen mussten die Bewahrung der Umwelt erst als zentrales Thema wiederentdecken. Jetzt haben wir einen grünen Papst. Das ist sehr wichtig. Die Frage ist nur: Wie tragen wir das Feuer, das er an den Tag legt, in die Politik?“

Die Kirche wandelt sich

Bliebe die Frage, ob die Öffnung der Katholischen Kirche, die Kretschmann mit dem Aufstoßen eines Fensters vergleicht, von Dauer sein kann, oder der Vatikan nach dem Pontifikat von Franziskus wieder in alte Muster verfallen wird. „Ich bin überzeugt davon, dass sich die Dinge, die er angestoßen hat, nicht so einfach ungeschehen machen lassen“, gibt sich Annette Schavan zuversichtlich. Kretschmann teilt diese Hoffnung. Sein Resümee ist unmissverständlich: „Das Wichtigste an der Kirche ist die Wandlung.“