Sieht aus wie bei einem Grünen-Parteitag: Kretschmanns Grundsatzrede an der Tongji-Universität von Shanghai. Foto: dpa

Wenn es um Geschäfte geht, spielt die Musik inzwischen immer mehr in China. Südwest-Ministerpräsident Kretschmann war mit einer Delegation dort und hat ein paar grüne Lieder beigesteuert. Seiner Frau ist bei der Reise aufgefallen, welches schwäbische Spitzenprodukt es im Reich der Mitte noch nicht gibt: einen guten Kartoffelsalat.

Peking/Schanghai - Zu welcher Delegation gehören Sie? Man muss aufpassen, wenn man als Delegationsreisender China besucht, dass man nicht irgendwann mal in den falschen Bus steigt. Das Reich der Mitte ist vor allem bei westeuropäischen Politikern und Wirtschaftsvertretern als Reiseziel sehr beliebt. Die gesättigten westlichen Gesellschaften brauchen neue Absatzmärkte, um ihren Lebensstandard zu halten und die steigenden Sozialabgaben wenigstens einigermaßen noch bezahlen zu können.

Das gilt insbesondere für Deutschland. Jedes dritte Auto deutscher Hersteller wird inzwischen in China verkauft. Der deutsche Wohlstand – er hängt stärker denn je an dem fremden und fernen 1,4-Milliarden-Volk, und so kann es nicht schaden, sich dort öfter mal blicken zu lassen.

Kanzlerin Angela Merkel wird am Mittwoch mit einer Delegation in Peking erwartet. Und vor acht Tagen flogen zufällig gleich zwei Delegationen aus Deutschland in der Hauptstadt Peking ein. Die eine wurde angeführt vom Umweltminister Sachsens, die andere von Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und Wirtschaftsminister Nils Schmid (SPD). In beiden Fällen ging es um Umweltschutz – ein Thema, das in China buchstäblich in der Luft liegt. In den Städten macht den Chinesen die stark verschmutzte Luft zu schaffen.

Der tägliche Smog wird nicht mehr einfach so akzeptiert

Und die Chinesen sind nicht mehr einfach so bereit, dies als Preis ihres Wirtschaftswunders zu akzeptieren. Mittlerweile hat jeder der 500 Millionen Smartphone-Besitzer in China eine App auf dem Handy, die ihm die Feinstaubwerte anzeigt. Bereits an guten Tagen zeigt diese App Werte an, bei denen deutsche Umweltschützer Schnappatmung bekommen würden. An schlechten Tagen zieht man besser gleich einen Atemschutz übers Gesicht.

Chinas Politiker, so heißt es, hätten das Problem erkannt: Mofas werden in den Städten nur noch mit Elektroantrieb zugelassen, E-Autos massiv subventioniert. Angesichts dessen hofft man in Baden-Württemberg, verstärkt saubere Technologien nach China verkaufen zu können.

Viel ist auf der Reise die Rede davon, was Baden-Württemberg den Chinesen anzubieten hat. Einmal aber wird Kretschmann auch gefragt, was er denn gern aus China mit zurücknehmen würde. Kretschmann – noch ganz unter dem Eindruck eines Schulbesuchs vom Vortag – schwärmt daraufhin von der Konzentration und Disziplin junger Chinesen beim Lernen. In Deutschland müsse ja ein Lehrer heutzutage die Hälfte der Unterrichtszeit damit zubringen, die Schüler zum Lernen zu motivieren. Die hohe Lernbereitschaft der Chinesen und ihr Leistungswille – „da eine Portion mitzunehmen, das wäre nicht schlecht“, meint Kretschmann.

Überholen uns die Chinesen?

In der Tat steht bei der Reise auch die Frage im Raum, wohin die Aufholjagd Chinas noch führen wird. Werden die Kindeskinder der Deutschen einmal die kleinen Spielzeuge fürs Überraschungsei zusammenfummeln – während die Enkel der Chinesen stolz die S-Klasse fertigen? So drastisch würde das Kretschmann nie ausdrücken, aber was er sagt, geht ein bisschen in die Richtung. Wer nur halb so viel büffelt, muss nach seiner Überzeugung mindestens doppelt so kreativ sein – „sonst geht das auf Dauer nicht gut“, sagt er. Kreativ sind die Chinesen bislang vor allem beim Nachbau westlicher Produkte gewesen. Und obwohl westliche Politiker seit Jahren die chinesische Staatsführung darum bitten, das geistige Eigentum stärker zu schützen, gibt es nur überschaubare Fortschritte. In der Millionenmetropole Shenyang, der zweiten Station auf Kretschmanns Reise, soll es mittlerweile sogar einen nachgemachten dm-Drogeriemarkt geben.

Auch Rechtssicherheit ist in China nur eingeschränkt gegeben. Grund und Boden zum Beispiel kann man nicht kaufen, man kann nur für höchstens 50 Jahre Nutzungsrechte erwerben. Das Reich der Mitte ist also eigentlich ein Reich der Miete – für Firmen, die zum Teil Hunderte Millionen Euro in ein chinesisches Werk investieren, ist das durchaus ein Problem.

„Es ist hart, in China zu sein“, lautet einer der Sprüche, die die Delegation vor Ort von Deutschen zu hören bekommt. „Aber es ist noch härter, nicht in China zu sein.“ Kein größeres Unternehmen komme mehr an der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt vorbei, sagt Kretschmann. China sei trotz eines mittlerweile gebremsten Wachstums immer noch sehr attraktiv, sagt Schmid. Der Wirtschaftsminister erzählt von Fortschritten, die ihm deutsche Firmen berichtet hätten. So sei zum Beispiel das mit den Plagiaten besser geworden. Die Behörden würden mittlerweile auf entsprechende Klagen reagieren. „Das geht bis hin zu Fabrikschließungen“, sagt er.

Daimler holt auf

Rund 1300 Firmen aus Baden-Württemberg machen mit China Geschäfte, 175 von ihnen haben inzwischen eine Niederlassung dort. Zu den größten zählt Mercedes-Benz, das in der Nähe von Peking mittlerweile ein riesiges Werk hat, dessen Fläche so groß ist wie die der Werke in Sindelfingen und Untertürkheim zusammen. Mercedes hatte zunächst den rasanten Aufstieg Chinas zum weltgrößten Automarkt verschlafen. Nun holen die Stuttgarter auf, was den Ministerpräsidenten „beglückt“. Den Satz zu Beginn seiner Amtszeit, demzufolge weniger Autos besser wären als mehr, wiederholt Kretschmann in China nicht. In erster Linie geht es bei der Reise ums Geschäft. „Ich bin nicht hier, um grüne Lieder zu singen“, sagt er.

Ein paar grüne Lieder stimmt Kretschmann aber dann doch an. An der Tongji-Universität in Schanghai hält er eine Grundsatzrede, in der oft das Wort „Nachhaltigkeit“ vorkommt. Für eine grün-rote Regierung ist China auch wirklich eigentlich eine Zumutung: nicht nur, dass die Luft verschmutzt und die Böden verseucht sind. Auch in sozialer Hinsicht liegt einiges im Argen. Chinas Kommunisten betreiben im Grunde eine neoliberale Politik – mit Massenentlassungen und vielen rechtlosen Billigarbeitern. „Man hat den Eindruck, die Kommunistische Partei steht in Sachen Klassenkampf auf der falschen Seite der Barrikaden“, sagt Sozialdemokrat Schmid.

Die Gründung einer sozialdemokratischen Partei in China zieht Schmid dennoch nicht in Erwägung. Auch wenn Kritik in China erlaubt ist – wenn sich die sogenannten Kommunisten in ihrer Macht bedroht fühlen, landet man schnell im Gefängnis.

Eine neoliberale Politik, die funktioniert

Kretschmann hat in einem Vier-Augen-Gespräch mit einem Parteihierarchen zwei Menschenrechtsfälle mit Deutschland-Bezug angesprochen. Die lapidare Antwort: „Die Fälle sind uns bekannt.“

Anderseits hat China mit seiner kapitalistischen Politik 400 Millionen seiner Einwohner aus der extremen Armut geholt. Während die Armut in Deutschland nur noch verwaltet oder herbeigeredet wird, wird sie dort Schritt für Schritt beseitigt.

Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass die Chinesen vieles können – außer Kartoffelsalat, wie die Frau des Ministerpräsidenten, Gerlinde Kretschmann, trefflich feststellte.

Am Samstag flog Wirtschaftsminister Schmid noch für ein paar Tage weiter nach Singapur, für den Rest der Delegation war die Fahrt zum Flughafen der erste Schritt auf dem weiten Weg nach Hause. Und alle sind in den richtigen Bus eingestiegen.