Viele Städte suchen nach Rezepten, um mehr Menschen in ihre Zentren zu locken. Im Fokus stand dabei lange der Einzelhandel – doch nun rücken vielerorts verstärkt konsumfreie Möglichkeiten der Innenstadtbelebung in den Blick.
Traditionsgeschäfte schließen, Ladenlokale stehen leer, Kunden bleiben aus: Der Strukturwandel ist in vielen Kommunen unübersehbar. Seit sich die Entwicklung im Zuge der Coronapandemie und angesichts der Konkurrenz durch den Onlinehandel verschärft hat, wird viel darüber diskutiert, wie die Innenstädte stärker belebt werden können. Lange standen dabei vor allem Handel und Gewerbe im Fokus – doch inzwischen sieht man vielerorts die Notwendigkeit, die Zentren mit Angeboten jenseits des Konsums zu beleben.
Laut Oliver Frey, Professor für Planung und Gesellschaft an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen, gibt es vier konsumfreie Bereiche, die unter Experten für eine Belebung von Innenstädten diskutiert werden: mehr Wohnen, mehr Kulturangebote, die attraktivere Gestaltung öffentlicher Räume sowie Aufenthaltsbereiche am Wasser. Frey ist überzeugt: „Die Innenstadt braucht neue Anreize jenseits des Konsums.“ Dabei sei bezahlbares Wohnen die Basis für eine nachhaltige Belebung. „Gleichzeitig müssen wir kulturelle und soziale Räume schaffen, die Menschen auch ohne Kaufzwang anziehen“, sagt Frey.
Feste und Kultur als Zugpferde für mehr Frequenz
Auch in vielen Städten im Kreis Esslingen ist die Belebung der Zentren ein großes Thema. Dabei setzt man nicht nur auf Einkaufserlebnisse, sondern auch auf Angebote ohne Konsumaufforderung. Vor allem öffentliche Feste und Kulturveranstaltungen werden als Zugpferde für mehr Frequenz in den Innenstädten gesehen, aber auch Parks, Spielplätze oder attraktive Sitzgelegenheiten. Für die kalten Wintermonate verweisen die Städte gern auf kostenlose und frei zugängliche Kulturangebote wie Stadtbüchereien oder Volkshochschulen. Das ist ganz im Sinne des Stadtsoziologen Oliver Frey: „Es geht darum, neue Verbindungen zu denken: Öffentlicher Raum, Mobilität und die Wiederentdeckung vergessener Räume wie Ufer oder Stadtränder sind der Schlüssel für eine lebendige Innenentwicklung.“
So setzt man in Esslingen laut der Citymanagerin Carina Killer etwa auf eine hohe Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum, um Besucher ohne Konsumzwang zum Verweilen einzuladen. Deshalb plane man unter anderem die Neugestaltung des Marktplatzes oder der Ritterstraße. Auch Veranstaltungen wie das Schwörfest, der Esslinger Frühling, das Kulturfestival Stadt im Fluss oder der Weihnachtsmarkt könnten ohne Konsumzwang besucht werden. Zudem trügen Spielplätze wie etwa auf der Maille zur Belebung bei. Sie würden auch in der Winterzeit stark genutzt, ebenso wie öffentliche Sitzgelegenheiten und die Brunnen, die ganzjährig betrieben würden. „Grundsätzlich ist eine Belebung der Innenstadt ohne Konsumzwang in den kalten Wintermonaten aber deutlich schwieriger, da der öffentliche Raum aufgrund des Wetters weniger genutzt werden kann“, gibt Killer zu bedenken.
Christoph Traub, Oberbürgermeister von Filderstadt, sagt: „Wir werden Innenstädte nur noch attraktivieren können, wenn wir sie ohne Konsumzwang begreifen.“ Man stehe vor der Herausforderung der Transformation. Laut Eva-Maria Jörg, Leiterin des Referats für Wirtschaft und Marketing, fördert die Stadt Filderstadt viele Aktivitäten, die zur Stärkung der Zentren ihrer fünf Ortsteile beitragen – etwa offenes Singen auf den Wochenmärkten, temporäre Angebote wie Spielmobile und Hüpfburgen oder ehrenamtlich organisierte Veranstaltungen. Das gelte auch für die Wintermonate, in denen mit weihnachtlicher Dekoration und Aktionen wie dem „Weihnachtswunder“ in Bernhausen zum Verweilen eingeladen werde.
Auch Ostfildern besteht aus mehreren Stadtteilen, deren Zentren laut der Pressesprecherin Tanja Eisbrenner in erster Linie der Nahversorgung dienen. Dennoch lege man Wert darauf, die Zentren auch ohne den Fokus auf Konsum lebendig und einladend zu gestalten. In der kalten Jahreszeit setze man unter anderem auf Veranstaltungen, die auch ohne Konsumzwang funktionierten, etwa auf das Drachenfest im Scharnhauser Park, auf Kirben und Weihnachtsmärkte.
In Leinfelden-Echterdingen sieht man laut dem Pressesprecher Thomas Krämer die Stadtsanierung als gutes Instrument der Innenstadtbelebung. Mit Mitteln der Städtebauförderung habe man etwa am Rande eines Gewerbegebietes in Leinfelden einen neuen innerörtlichen Freiraum mit Wohngebiet, Kita und Jugendhaus gestaltet samt Spielplätzen, Park und einer neuen Haltestelle. In Echterdingen sollten neue „Wandel- und Flanierräume“ entstehen. Im Winter seien die Angebote zwar begrenzter, aber ein neues Beleuchtungskonzept solle dennoch zum Verweilen einladen.
Clint Metzger, Sprecher der Stadt Nürtingen, hält konsumfreie Aufenthaltsangebote im Freien im Winter für schwierig, da sich bei nass-kalter Witterung nicht viele Menschen länger als nötig draußen aufhielten. Über das Jahr verteilt gebe es aber mehrere Veranstaltungen, die Menschen anzögen und bei denen konsumiert werden könne, aber nicht müsse – etwa der Maientag, der Stadtlauf oder Musik- und Vereinsangebote.
Möglichkeiten für konsumferne Stadtbelebung
Wohnen und Kultur
Laut dem Stadtsoziologen Oliver Frey kann etwa durch die Umwandlung ungenutzter Büroflächen, durch Nachverdichtung oder mithilfe von Mietpreisdeckeln dafür gesorgt werden, dass mehr bezahlbarer Wohnraum in Innenstädten entsteht. Zudem könnten niederschwellige und kostenlose Kulturveranstaltungen wie Feste, Konzerte, Ausstellungen und Theateraufführungen als Anziehungspunkte wirken. Auch die temporäre Nutzung leerer Erdgeschossräume schlägt er vor.
Grün und Wasser
Ein attraktiv gestalteter und möglichst begrünter öffentlicher Raum kann laut Frey belebend wirken, schließlich sei er gewissermaßen das Wohnzimmer der Stadt. Gerade Mobilitätsknotenpunkte könnten attraktiver gestaltet werden und so für mehr Aufenthaltsqualität sorgen – etwa als konsumfreie Bühne der Selbstdarstellung für Jugendliche. Zudem könnten Zugänge zu Wasser wie etwa Flussufer mit Bänken und anderen Elementen als Kommunikationsort dienen.