Die Kinderkulturwerkstatt in der Alten Seegrasspinnerei in Nürtingen ist Patin für ein Projekt, das elf Flugstunden entfernt liegt.
Westafrika und Nürtingen sind voneinander rund elf Flugstunden entfernt, aber gleichzeitig durch einen Verein in wichtigen Fragen eng verbunden, berichtet Fatou N`Diaye-Pangsy. Die Unterensingerin, die in Dakar, der Hauptstadt des Senegal geboren wurde, hat den Verein Namél vor zwölf Jahren in Nürtingen gegründet. Namél bedeutet Hoffnung – und dieser Name ist Programm.
„Ich wünsche mir Perspektiven für die jungen Menschen dort, damit sie nicht fliehen müssen“, erklärt Fatou N`Diaye-Pangsy, deren Familie mütterlicherseits aus Gambia stammt. Gambia ist ein Land mit einer sehr jungen Bevölkerung. N`Diaye-Pangsy setzt sich für Projekte ein, die Kinder und Jugendliche in Gambia stärken, dazu gehört auch, dass sie als Erwachsene in ihrer Heimat Arbeit finden sollen.
Die Probleme zeigen sich wie in einem Brennglas
Dem kleinen Gambia mit knapp drei Millionen Einwohnern gilt die Aufmerksamkeit des Vereins Namél besonders. Denn Gambia zeige wie in einem Brennglas, welche Probleme die innerafrikanischen Fluchtbewegungen und die Versuche der Menschen, nach Europa zu gelangen, auslösen. Davon berichten auch Julia Rieger, Geschäftsführerin des Nürtinger Trägerverein Freies Kinderhaus und Partner Pit Lohse, langjähriger Gemeinderat in der Fraktion NT14, die mit N`Diaye-Pangsy freundschaftlich verbunden sind.
Wer auf der Flucht in Westafrika strandet, dem droht Armut
Das Gespräch in der Kulturkantine, der guten Stube der Alten Seegrasspinnerei Nürtingen, in der N`Diaye-Pangsy als Fachkraft im Gastgewerbe arbeitet, dreht sich auf einmal um die Entwurzelung der Menschen, die auf der Flucht in Gambia stranden, wo Familienbande zerbröseln, sich die Erwachsenen als Tagelöhner verdingen und die Armut sogar Kinderprostitution fördert.
Tatsächlich möchte der Verein bei den Jüngsten in Gambia ansetzen, das ist der zweifachen Mutter wichtig. Und Rieger und Lohse, die unter dem Dach des Trägervereins Freies Kinderhaus Nürtingen unter anderem die über den Kreis Esslingen hinaus bekannte Kinder-Kulturwerkstatt in dem ökologisch-sozialen und kulturellen Zentrum Alte Seegrasspinnerei aufgebaut haben, tragen dies aus Überzeugung mit.
Versalzene Felder: dramatische Folge des Klimawandels
„Fatou hat uns neugierig auf Gambia gemacht“, erinnert sich Pit Lohse an die letzten Reisen nach Westafrika. Bakoteh, eine Stadt südlich der Hauptstadt Banjul, wo Verwandte von N`Diaye-Pangsy leben, habe man als ein übervölkertes Moloch erlebt, in dem beispielsweise versalzene Felder die Folgen des Klimawandels zeitigten.
Die Kinderkulturwerkstatt Nürtingen dient als Blaupause
„Wir wollten das tun, was wir am besten können“, erinnert sich Julia Rieger und berichtet vom Engagement des Vereins Namél, der mit Hilfe von Spenden ein Haus in Bakotheh nach dem Nürtinger Vorbild der Kinderkulturwerkstatt für die kulturpädagogische Arbeit mit Schulkindern ausgebaut hat. Entstanden sind dort Werkstätten, Experimentier- und Spielräume.
Eine freie Gesellschaft und Demokratie auf Basis selbstbestimmten Tuns
Kinder sollen dort ihre sozialen, kognitiven und handwerklichen Fähigkeiten schulen können. Und für Rieger steht fest, dass dieses selbstwirksame Tun eine freiheitliche Gesellschaft und letztlich Demokratie fördern könne. Für dieses Zentrum mit dem Namen Children’s Cultural Center (CCC) hat Fatou N`Diaye-Pangsy dann das Personal eingestellt und im März 2021 fand die Eröffnung statt.
Außerdem sind bei der Sanierung des Hauses Gästezimmer für Touristen und Praktikanten aus Deutschland sowie eine Wohnung entstanden. Und in Bakoteh hat sich die gemeinnützige Organisation Namél Foundation gegründet, die inzwischen das CCC betreibt und in dem gambischen Fischerdorf Tanji ein Schülercafé als Schülerfirma aufbaut.
Aus dem Kreis Esslingen für ein Praktikum nach Gambia
Die Nürtinger Akteure um Fatou N`Diaye-Pangsy organisieren auch Praktika für junge Deutsche in Bakoteh. Zu einer der Gruppen gehörte 2022 auch die Nürtingerin Clara Schweitzer, die nach ihrem Gambiaaufenthalt auf Basis ihrer Erkenntnisse zu den Folgen des Klimawandels wie der Versalzung des Gambia Rivers und der Felder durch den ansteigenden Meeresspiegel, die Klima Taskforce Nürtingen gründete.
Von Klimakrise, Gartenbau und Permakultur
Entstanden ist inzwischen ein Klima-Netzwerk, dem auch das Studium Generale und die „Future.Box“ der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen angehören und die interkontinentale Webinare zu den Themen Klimakrise und Klimagerechtigkeit unterstützen. Außerdem werden Workshops zu Gartenbau und Permakultur angeboten und im Projekt Women’s Garden unter Anleitung der Nürtinger Landschaftsarchitektin und Landschaftsgärtnerin Sabine März praktisch umgesetzt. März unterrichtet in Gambia außerdem, wie Saatgut für einen vielfältigen Gemüseanbau gewonnen wird.
Die Afrikatage Nürtingen boten die Initialzündung
Der interkulturelle Austausch ist auch in Nürtingen längst auf fruchtbaren Boden gefallen. Seit Jahren veranstalten Fatou N`Diaye-Pangsy, ihr Ehemann Thomas, Unterstützer und das äthiopische Restaurant Abessina in der Alten Seegrasspinnerei die jährlichen Afrikatage. Die waren so erfolgreich, dass daraus schließlich der Verein Namél entstand mit inzwischen 45 Mitgliedern.
Der Verein hat sich nicht nur zum Treffpunkt für Menschen mit afrikanischen Wurzeln entwickelt, sondern er möchte auch afrikanische Traditionen wie beispielsweise die Erzählkunst bewahren, berichtet N`Diaye-Pangsy. Gelegenheit bot dazu unlängst das Festival „Youth Matters!“ gegen Kinderarmut, das am Waldheim im Nürtinger Stadtteil Roßdorf stattfand.
Das Erzählen ist Teil der Kultur
Kultur
Das Geschichtenerzählen ist das Projekt des afrikanischen Kulturvereins Namél in Nürtingen, das die Integrationsoffensive Baden-Württemberg fördert. Dieses Erzählen ist ein wichtiger Bestandteil der Erziehungskultur, nicht nur in Afrika.
Beispiel
Gelegenheit, den heiligen Stoff Dze Ndouop zu erleben, der ein wichtiger Bestandteil kamerunischer Kultur und mit tiefen kulturellen Bedeutungen verbunden ist, bietet ein Workshop während der Eine-Welt-Tage und Friedenswochen am 22. Oktober. Francine Feune wird erzählen. Dabei soll auch über Slow und Fast Fashion gesprochen werden und wie nachhaltige Mode aus verschiedenen Teilen der Welt wieder an Bedeutung gewinnen kann.