Der Prozess wegen Kindesmissbrauchs im Kreis Esslingen wird fortgesetzt. Foto: ZB/Britta Pedersen

Im Prozess gegen einen 39-Jährigen wegen schweren sexuellen Kindesmissbrauchs darf der Staatsanwalt sein Plädoyer nicht beenden. Er wird nun als Zeuge geladen. In dem Fall war bereits 2022 ein Urteil ergangen, das der Bundesgerichtshof aufgehoben hat.

Eine Richterin, die den Staatsanwalt mitten in seinem Schlussvortrag unterbricht und ihn in den Zeugenstand verweist – das dürfte in einem Strafprozess eher selten vorkommen. So geschehen am Mittwoch vor der 17. Strafkammer des Stuttgarter Landgerichts. Seit Mitte März muss sich dort ein 39-Jähriger aus dem Kreis Göppingen wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern verantworten. Er soll sich zwischen 2007 und 2010 in Wohnungen in Köngen, in Schwimmbädern in Nürtingen und Wendlingen und in Proberäumen dutzendfach an der Schwester seiner damaligen Partnerin vergangen haben.

 

Das Mädchen war damals zwischen sieben und elf Jahre alt. 2022 wurde er deshalb von einer anderen Kammer des Landgerichts zu vier Jahren und neun Monaten Gefängnis verurteilt. Die Strafe musste der Mann, der alle Vorwürfe abstreitet, aber nicht antreten. Der Bundesgerichtshof hob die Entscheidung auf und bemängelte unter anderem eine unzureichende Begründung in dem Urteil.

Ersatz für den Staatsanwalt gesucht

Ausgerechnet der Staatsanwalt aus dem Verfahren von 2022 sollte am Mittwoch für eine verhinderte Kollegin das Plädoyer der Anklage halten. Rechtlich ist das kein Problem. Dass er in seinem Schlusswort ausdrücklich erwähnte, wie er selbst die Geschädigte im Prozess vor drei Jahren erlebt habe, ging der Vorsitzenden Richterin Jasmin Neher-Klein aber zu weit. Seine Andeutungen seien die eines Zeugen, so die Richterin. „Ein Zeuge kann aber nicht gleichzeitig Staatsanwalt sein“, sagte sie.

Die Verhandlung wurde unterbrochen. Der Staatsanwalt musste den Saal verlassen und – wie für Zeugen formell vorgeschrieben – draußen warten. Eine junge Kollegin, die schnell herbeitelefoniert wurde, nahm seinen Platz als Vertreterin der Staatsanwaltschaft ein. Fortgesetzt wurde der Prozess aber nur noch, um das weitere Vorgehen zu klären.

Wie glaubhaft die Aussagen des Opfers sind, sollte ein Gutachten feststellen. Foto: dpa

Frau ist schwer traumatisiert

Am Vormittag hatte die forensische Psychologin Carmen Bargel vorgetragen, für wie glaubhaft sie die Aussagen des mutmaßlichen Opfers hält. Grundlage waren schriftliche Dokumente wie Vernehmungen, aber auch Gedichte. Die Frau wollte sich nicht erneut psychiatrisch untersuchen lassen. Ihre Mandantin leide unter einer sehr schweren posttraumatischen Belastungsstörung und sei gesundheitlich dazu nicht in der Lage, hatte dies die Anwältin begründet, die die 25-Jährige als Nebenklägerin in dem Prozess vertritt.

Gutachten: Wie glaubhaft ist das Opfer?

Fast eineinhalb Stunden dauerten die Ausführungen der Gutachterin. Sie stellte unter anderem fest, dass die Zahl der Tatorte und auch die mutmaßlichen sexuellen Handlungen, von denen die Frau sprach, im Verlauf der Zeit zunahmen und drastischer wurden. Die Gutachterin führte das auf Autosuggestion zurück, das Opfer habe Nachfragen und Vermutungen stimmig zusammengefügt. Gleichwohl kommt die Gutachterin zu dem Ergebnis, dass ein Teil auf Erlebnissen basiert. So hält sie die Aussagen der Frau für glaubhaft, dass der Angeklagte sich als Frauenarzt ausgab, um sie bei einer vermeintlichen Untersuchung zu missbrauchen. „Es ist eine Mischung aus Erfindung und zutreffenden Aussagen“, so das Fazit von Carmen Bargel. Absichtliche Falschaussagen der Frau könne sie anhand der Daten nicht ableiten.

Verteidiger zweifelte Aussagen des Opfers an

Der Verteidiger des 39-Jährigen hatte 2022 auf Freispruch plädiert. Für ihre schweren psychischen Probleme habe die Frau nach einem Grund gesucht und diesen in dem Angeklagten gefunden, sagte er damals. Der Prozess wird am 2. Mai fortgesetzt. Unter anderem wird dann der Staatsanwalt als Zeuge gehört.