Beim Sommerfest haben Paten mit ihren Kindern gemeinsam gemalt und gespielt. Christina Kempf, Koordinatorin des Projekts „Chancenschenker“, freut sich mit. Foto: Kinderstiftung Esslingen-Nürtingen

Die Zahl der Anträge auf Einzelfallhilfe bei der Kinderstiftung Esslingen-Nürtingen steigt schneller als das Spendenaufkommen. Derzeit leben knapp 5500 Mädchen und Jungen im Kreis unterhalb der Armutsgrenze. Die Stiftung setzt sich für sie ein.

Kreis Esslingen - Wer zu wenig Geld hat, muss häufig auf Freizeitangebote verzichten und kann Bildungsangebote nicht wahrnehmen. Ausgrenzung und Perspektivlosigkeit sind die Folge. Gerade Kindern werden durch Armut Zukunftschancen verbaut. Dagegen kämpft die Kinderstiftung Esslingen-Nürtingen der Caritas mit Einzelfallhilfen und ehrenamtlicher Unterstützung an. Der Bedarf ist auch im Kreis Esslingen erheblich. Die Zahl der eingereichten Anträge wächst.

Im Landkreis gibt es knapp 10 000 Alleinerziehende

Zehn Hilfsanträge sind bei Norbert Kindler, der für die Kinderstiftung ehrenamtlich arbeitet, an einem Vormittag eingegangen. Laut einer Statistik der Bundesagentur für Arbeit leben auch im insgesamt wohlhabenden Landkreis Esslingen 5468 Kinder in Armut. Besonders gefährdet sind die Kinder von Alleinerziehenden, von denen es im Kreis knapp 10 000 gibt. Norbert Kindler zufolge wurden in diesem Jahr bereits 195 Anträge gestellt, im Vergleich zum Jahr 2016 sei die Zahl der Anträge um 100 Prozent gestiegen.

Die Arbeit der Kinderstiftung beruht auf mehreren Säulen. Zum einen gibt es die Einzelfallhilfen, mit denen direkte finanzielle Unterstützung in den Bereichen Sport, Kultur, Soziales und Bildung gewährt wird. Denn längst ist erwiesen, dass Förderung im frühkindlichen Alter – etwa Musikunterricht – auf die spätere Entwicklung des Kindes großen Einfluss hat. Fußball oder Flöte spielen, tanzen oder schauspielern, gemeinsam den Wald erkunden oder ein Flugzeug bauen: all das kostet Geld. In den fünf Jahren seit der Gründung hat die Kinderstiftung Esslingen-Nürtingen 1050 Einzelfall-Anträge erhalten und bisher knapp 75 000 Euro an Einzelfallhilfen ausgeschüttet, berichtet die Geschäftsführerin der Stiftung, Olivia Longin.

Pate und Patenkind treffen sich einmal pro Woche

Im vergangenen Jahr hatten so 15 Kinder die Chance, ein Instrument zu erlernen, 204 Kinder wurden im Sportbereich unterstützt, und weitere 19 Kinder konnten Ferienangebote wahrnehmen. Außerdem hat die Kinderstiftung Esslingen-Nürtingen 22 Kindern in der schulischen Förderung unter die Arme gegriffen.

Die zweite Säule neben der Einzelfallhilfe ist „Chancenschenker“. In diesem Projekt begleiten ehrenamtliche Paten Kinder aus einkommensschwachen Haushalten. Pate und Patenkind treffen sich wöchentlich und unternehmen Ausflüge, üben Deutsch und Mathe oder auch Schwimmen im Hallenbad. Für Katja Hofmann vom Kuratorium der Stiftung hat „Chancenschenker“ für beide Seiten etwas „extrem Gewinnbringendes“. Die Mädchen und Jungen profitieren sehr von dem Tandem, und für Paten ist die Arbeit mit den Kindern erfüllend.

Das Stiftungskapital ist auf 120 000 Euro angewachsen

Laut Olivia Longin steigt die Hilfsbedürftigkeit im Kreis Esslingen. „Die Armut nimmt zu“, sagt die Geschäftsführerin und fügt hinzu: „Armut ist versteckt, die Betroffenen schämen sich dafür.“ Als armutsgefährdet gelten Kinder in Familien, die weniger als 60 Prozent des des mittleren Einkommens von aktuell 2100 Euro zur Verfügung haben. Wer Hilfe beantragt, muss bereits staatliche Hilfe beziehen. Die Kinderstiftung unterstützt die Familien dann zusätzlich.

Gestärkt worden ist die Stiftung in den vergangenen Jahren durch zahlreiche Spenden und Zustiftungen. Das Stiftungskapital wuchs von 50 000 auf knapp 120 000 Euro. Dabei hofft Olivia Longin auf weitere Unterstützer. Denn: „Die Anträge auf Einzelfallhilfe steigen schneller als das Spendenaufkommen.“

Kinder entscheiden selber über Förderanträge

Eine Besonderheit der Stiftung ist der Kinderbeirat. Mit dieser dritten Säule reden Kinder und Jugendliche nicht nur mit – im Beirat bestimmen sie zwei Mal pro Jahr selbst über Förderanträge, die von sozialen Hilfsprojekten gestellt werden. Die Mitglieder des Kinderbeirats kommen aus dem Landkreis Esslingen, gehen auf verschiedene Schulen und sind zwischen neun und 17 Jahre alt.

Die Erlebnisberichte einzelner Kinder veranschaulichen, wie die Stiftung konkret Unterstützung leistet. Louisa lebt in einer Kommune im Kreis Esslingen. Sie ist zwölf Jahre alt und will Klavier lernen. Doch ihre Familie hat wenig Geld für den Unterricht. Ihre Mutter kümmert sich allein um vier Kinder und hat keine Arbeit. Zum Glück hat sie eine Klavierlehrerin gefunden, die etwas weniger kostet als der Unterricht an einer Musikschule. Doch wo kann Louisa in Ruhe üben, wenn zuhause die drei Geschwister umherwirbeln? Gut, dass es Corinna gibt. Sie macht ehrenamtlich beim Projekt „Chancenschenker“ mit und trifft sich wöchentlich mit Louisa in der Grundschule. Dort steht ein Klavier, und die beiden üben zusammen Tonleitern, Taktgefühl und Musikstücke. Louisa kann ihr Talent entfalten und wird immer besser.

Patin Martina gibt der Mutter von Lukas Verschnaufpausen

Ein weiteres Beispiel ist Lukas (5), der seit seiner Geburt eine geistige und körperliche Behinderung hat. Seine Patin Martina unternimmt mit ihm Ausflüge auf den Spielplatz oder in den Wald. Das sind kleine Verschnaufpausen für Lukas’ alleinerziehende Mutter, der zwischen der Arbeit im Supermarkt und der Erziehung ihres Sohnes wenig Zeit für sich bleibt. Die Kosten für die Betreuung ihres Sohnes konnte die Mutter bisher kaum aufbringen.

Ein Beispiel für die Einzelfallhilfe ist Familie S., die mit ihren drei Kindern vor zehn Jahren hier eingewandert ist. Herr S. arbeitet als Lastwagenfahrer, dennoch reicht sein Verdienst nicht für die Familie. Anschaffungen und Freizeitaktivitäten der Kinder sind unter diesen Voraussetzungen nicht zu finanzieren. Die Kinderstiftung unterstützt die Familie mit der Sportausrüstung für die Kinder und ermöglicht ihnen die Teilhabe im Sportverein