Mittels digitaler Technik verändern sich die Arbeitsabläufe in den Firmen grundlegend. Foto: dpa-tmn

Kleine und mittelständische Unternehmen lassen sich am Herman-Hollerith-Zentrum in Böblingen über neue Betriebs- und Geschäftsmodelle informieren und rüsten sich für die Zukunft – so wie der Werbeagenturchef Marcel Seyther.

Böblingen - Marcel Seyther hat bereits eine Vorahnung davon, dass es nicht mehr so weitergehen wird wie bisher. Der 44 Jahre alte Chef einer Renninger Werbeagentur besuchte einen Workshop des Projektes Digitale Transformation (Digitrans), das vom Herman-Hollerith-Zentrum (HHZ) in Böblingen und Petra Newrly, der Projektleiterin Digitale Kultur der Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg, veranstaltet wurde. „Es wird nicht mehr so sein, dass ein Kunde bei uns anruft, wir einen Gesprächstermin ausmachen und dann ein paar Tage später zusammen einen Kaffee trinken gehen“, sagt Marcel Seyther. Künftig müsse alles viel schneller gehen. Und was das Werbegeschäft insgesamt angehe, werde von ihm noch viel mehr Flexibilität verlangt.

„Wir können uns nicht mehr auf die Bürozeiten von 10 bis 18 Uhr berufen“, hat der Werbechef längst begriffen. Die Angebotspalette mitsamt den Konditionen müsse digital abrufbar sein. „Der Kunde will auch um Mitternacht Kontakt aufnehmen können und den Preis einer Leistung erfahren“, erklärt der 44-Jährige, der das Corporate Design von Firmen entwickelt, das gestalterische Aussehen der Produkte und das Erscheinungsbild. Bald werde ihn kaum jemand mehr anrufen. Die Seythersche Werbeagentur zählt kleine und große Firmen zu ihren Geschäftspartnern. Eine Metzgerei und ein Industriebetrieb gehören dazu, aber auch die Firma Siemens oder der Flughafen Stuttgart.

Kunden kaufen eine Idee

Für Druckaufträge wie etwa von Visiten- oder Einladungskarten braucht man eine Agentur nicht mehr. Entsprechende Gestaltungsvorschläge findet man auf Internetportalen. Noch dazu zu einem viel günstigeren Preis als von einem Grafiker. Die digitalen Möglichkeiten wird auch Seyther in Zukunft mehr nutzen: „Ich muss mir überlegen, ob ich anstelle eines Grafikers doch besser einen Programmierer beschäftigen werde.“ Überhaupt werde er für sein bisher fünfköpfiges Büro kaum einen sechsten Mitarbeiter einstellen. Vielmehr könnten freie Mitarbeiter oder Geschäftspartner zum Zuge kommen, wenn es darum geht, spezielle Kundenwünsche zu erfüllen.

Seyther will und muss sich spezialisieren. Er nennt die Beispiele Messeauftritte oder Neujahrsempfänge. Wenn ein Kunde etwa aus der IT-Branche zu ihm kommt, „verkaufe ich ihm eine Komplettlösung mit flippigen Texten, laufenden Robotern und netten jungen Damen“. Er suche für ihn die Geschäftspartner, den passenden Künstler bis hin zum Catering-Service. „Der künftige Kunde kauft bei mir vor allem eine Idee, wenn er keine hat. Er kann sie auch selbst umsetzen, wenn er die Kontakte hat. Das gehört zur Flexibilität dazu, die ich an den Tag legen muss“, sagt Seyther.

Einzelhandel muss neue Geschäftsmodelle entwickeln

„Wir versuchen, mit kleinen und mittelständischen Firmen neue Geschäftsmodelle zu entwickeln“, sagt der Digitrans-Koordinator am HHZ, Dieter Hertweck. Großen Bedarf habe etwa der Einzelhandel, der ebenfalls Teilnehmer zu Workshops schickte. Schließlich sei der Online-Versandhandel zu einer enormen Konkurrenz geworden, sagt Hertweck. Aber auch die Automobilbranche mit den zahlreichen Zuliefererbetrieben im Kreis stehe vor großen Herausforderungen.

Das Digitrans-Projekt, das in diesem Juni ausläuft, ist im Übrigen ein europaweites und wird von der Europäischen Union in Böblingen mit 70 000 Euro gefördert. Es ist aber erst der Anfang. Weitere Trainingsangebote und Schulungen für Firmenvertreter sollen im Zentrum für Digitalisierung am HHZ stattfinden, das demnächst eröffnet wird. „Wir müssen schauen, wohin die Reise künftig geht. Jeder versucht zurzeit, das Thema zu begreifen und zu konkretisieren“, fasst Marcel Seyther für sich und seine Projektkollegen zusammen.