Um häusliche Gewalt geht es auch bei den Frauenwochen in Weil der Stadt. Foto: Simon Granville

2011 wurde das Frauenhaus in Sindelfingen aus finanziellen Gründen geschlossen. Der Landkreis wartet weiter auf eine Finanzierungszusage für einen Neubau.

In Sachen Frauenhaus ist der Kreis Böblingen ein weißer Fleck. Während es ringsum in der Region solche Einrichtungen für Frauen gibt, die Schutz vor häuslicher Gewalt suchen, ist dies hier seit zwölf Jahren nicht mehr möglich. Frauen – und je nach Situation auch ihre Kinder – müssen in akuten Notsituationen in die Einrichtungen im Umland ausweichen.

Seimer: Kreis schlecht aufgestellt bei schneller Unterbringung

Zwar gibt es ein Konzept und einen Standort für ein neues Haus mit bis zu 16 Plätzen. Das konnte bisher aber nicht realisiert werden, weil die Finanzierung nicht geklärt ist und der Landkreis auf Zusagen für Fördermittel wartet. Peter Seimer, Landtagsabgeordneter von Bündnis90/Die Grünen, macht jetzt mit Veranstaltungen in seinem Wahlkreis Leonberg-Herrenberg auf diese Situation aufmerksam.

Nur wenige Zuhörerinnen und Zuhörer kamen in den Bürgertreff in Weil der Stadt, um sich über häusliche Gewalt zu informieren. Dabei sei Gewalt gegen Frauen nicht nur ein globales Thema.

Ein Blick in die Kriminalstatistik zeige, dass auch hierzulande Frauen in allen gesellschaftlichen Schichten und Kulturkreisen betroffen sind, sagte Peter Seimer, der im Rahmen der Frauenwochen nach Weil der Stadt kam. Der Staat habe die Pflicht, Betroffenen als erstem Schritt schnell Schutz zu bieten, etwa durch Unterbringung in einem Frauenhaus. „Hier sind wir im Kreis schlecht aufgestellt, obwohl wir zu den wirtschaftlich stärksten Kreisen gehören“, kritisierte Seimer. Man müsse jetzt alles dafür tun, dass sich das bald ändere.

Landkreis Böblingen verfügt über Baugrundstück

Dabei verfügt der Landkreis seit zwei Jahren über ein Grundstück in Herrenberg, auf dem er bauen will. Die gemeinnützige Waldhaus Jugendhilfe ist bereit, den Betrieb des „sicheren Frauen- und Kinderschutzhauses“ zu übernehmen. Der Verein Frauen helfen Frauen Kreis Böblingen soll in das neuartige Konzept zur Verzahnung von ambulanten und stationären Angeboten eingebunden sein. 30 Jahre betrieb der Verein Frauen helfen Frauen Kreis Böblingen in Sindelfingen ein Frauenhaus mit 22 Plätzen. 2011 musste es aus finanziellen Gründen schließen, doch Hilfe und Beratung wird weiter angeboten. Schon seit den 1990er-Jahren gibt es mit Thamar eine Beratungsstelle gegen sexualisierte Gewalt gegen Frauen und Kinder. 2013 hat der Verein zusätzlich die Beratungsstelle gegen häusliche Gewalt, Amila, eingerichtet.

Marie Beddies und Lydia Müller berichteten über ihre Tätigkeit bei Amila, in deren Zentrum betroffene Frauen und ihre Kinder stehen, aber auch weitere Bezugspersonen oder Fachkräfte. Finanziert wird die Arbeit vom Landkreis, dem Land und auch durch Spenden. Gemäß der Istanbul-Konvention zum Schutz vor Gewalt verstehe man unter häuslicher Gewalt sowohl körperliche und sexuelle Gewalt als auch psychische, wirtschaftliche und soziale Gewalt. Die psychische Gewalt sei nach Aussage vieler betroffener Frauen die schlimmste Form. Dazu gehört etwa das Verächtlichmachen und Beschimpfen („Du bist nichts wert und du kannst nichts“).

Im Jahr 2021 wurden bei Amila 184 von Gewalt betroffene Frauen beraten. 2022 waren es bis August schon 202 Frauen. Der deutliche Anstieg sei auch vor dem Hintergrund der Coronasituation mit all ihren Begleiterscheinungen zu sehen.

Uwe Seitz von der Waldhaus Jugendhilfe Hildrizhausen berät Männer, die durch häusliche Gewalt auffallen. 43 Klienten hatte er im Jahr 2022. Davon seien 26 über die Gerichtshilfe gekommen, die eine Beratung als Auflage für eine Verfahrenseinstellung machte. Neun Männer haben sich freiwillig beraten lassen. Die seien oft am motiviertesten, ihr Verhalten zu ändern, etwa weil die Partnerin mit Trennung drohe. Uwe Seitz erklärte, dass es auch Gewalt gegen Männer gebe, die noch mehr tabuisiert sei.

Finanzierung unabhängig von Belegung machen

„Wir wollen jetzt auf Landes- und Bundesebene erreichen, dass ein Frauenhaus auch finanziert werden kann, wenn es nicht voll belegt ist“, sagte der Abgeordnete Seimer zur laufenden Initiative für ein Frauenhaus. Das Ziel solle eine von der Belegung unabhängige Finanzierung sein, die sich pauschal nach der Einwohnerzahl richte.

Auf Nachfrage zum aktuellen Stand des Projekts Frauenhaus hieß es vom Landratsamt, dass sich der Kreis Böblingen mit dem Bund „im Rahmen des mehrstufigen Förderverfahrens in konstruktiven Gesprächen“ befinde und zuversichtlich sei, in eine Projektförderung einzumünden. Auch das Land stehe hinter dem Konzept für das Frauenhaus des Kreises. „Spruchreife Entscheidungen gibt es zum jetzigen Stand jedoch nicht“, so Pressesprecher Benjamin Lutsch.