Tobias, Annika und Kristina Welz haben ihre Mutter in ihren letzten Wochen der Krebserkrankung begleitet. Die drei Geschwister aus Bietigheim-Bissingen (Kreis Ludwigsburg) haben dabei eine Zeit voller Schmerz, aber auch voller Liebe erlebt.
Elfi Welz wollte am Ende noch tanzen, ein Bad nehmen, Erdbeeren essen. Während ihre letzten Wochen anbrachen, konzentrierte sie sich auf die Kleinigkeiten, die übrig waren. Herauszufinden beispielsweise, von wem der Satz kommt, der ihr in Erinnerung geblieben ist: „Schade, dass du gehen musst vor der Erdbeerzeit“.
Denn er trifft auf sie zu. Elfi Welz ist mit 75 Jahren an ihrer Krebs-Erkrankung gestorben, noch bevor die Erdbeerzeit begonnen hat. Ihre Kinder Tobias (53), Annika (38) und Kristina (40) Welz haben ihre Mutter in den letzten Wochen bis zu ihrem Tod gepflegt – und dabei eine Zeit voller Liebe und Schmerz erlebt.
Innerhalb von einer Woche hat sich ihr Gesundheitszustand verschlechtert
Im April 2024 nehmen die Geschwister bei einem Infoabend des Krankenpflegefördervereins in Löchgau teil. Julia Mattick, damals Koordinatorin der Hospizgruppe Bönnigheim, die mittlerweile in den Verein Hospizdienst Neckar-Stromberg übergegangen ist, ist als Referentin eingeladen und spricht über hilfreiche Kontakte und darüber, was Angehörige bei der Pflege kranker Menschen erwarten kann. „Da haben wir noch nicht dran gedacht, dass es uns so schnell betrifft“, sagt Annika Welz. Er habe sich schwergetan, zu der Veranstaltung zu gehen, sagt Tobias Welz. „Man denkt, man schubst was an, wenn man sich mit dem Tod befasst.“
Eine Woche später wenden sie sich erneut an Julia Mattick. Der Zustand ihrer Mutter hat sich innerhalb von wenigen Tagen so verschlechtert, dass aus der Frage „wie können wir eine Pflegekraft organisieren, die sich um unsere Mutter kümmert?“ ein „wie können wir uns bis zu ihrem Tod um sie kümmern?“ wird. Annika, Kristina und Tobias Welz erstellen Wochen- und Tagespläne und organisieren ihr eigenes Leben um die Pflege ihrer Mutter herum. „Wir haben für wenige Wochen kurz die Welt angehalten“, sagt Tobias Welz heute.
„Sie wollte nicht ins Hospiz, sie wollte nicht sterben“
Für die Geschwister ist schnell klar, dass ein Hospiz keine Option ist – selbst, wenn sie in der Kürze der Zeit einen Platz gefunden hätten. „Unsere Mutter hat sich auch dagegen gewehrt, sie wollte ja nicht sterben“, sagt Tobias Welz. Elfi Welz wird bis zu ihrem Tod in ihrem eigenen Bett gepflegt, die Absperrung für ein Kinderbett verhindert, dass sie herausfällt. Mit einem Badewannensitz, den Kristina Welz auf Ebay kauft, erfüllen sie ihr auch den Wunsch, noch einmal zu baden. „Das alles war sehr provisorisch, wir haben uns in kürzester Zeit selbst beholfen, aber es war ihr gewohntes Umfeld“, sagt Annika Welz.
Julia Mattick kommt immer wieder vorbei, berät und bestärkt. Drei Ehrenamtliche des Vereins bleiben zusätzlich teils für wenige Stunden tagsüber, manchmal für eine halbe Nacht. „Wenn bei ihnen ein Puzzlestück gefehlt hat, waren wir da“, beschreibt Julia Mattick. Anfangs hätten sie sich Sorgen gemacht, was ihre Mutter dazu sagt, dass plötzlich ein ehrenamtlicher Sterbehelfer, ein für sie anfangs Fremder, bei ihr ist. „Aber es war nicht komisch, sie hat mit jedem ihre eigenen Themen gehabt“, sagt Kristina Welz.
„Du wirst aus diesem Bett nicht mehr aufstehen“
Man sagt, im Sterben zieht das gesamte Leben noch einmal an einem Menschen vorbei. Elfi Welz hatte ihr Leben – ihre Kinder – bei sich. Sie saßen bei ihr, lagen neben ihr im Bett, haben ihr die Hand gehalten und wenn sie nicht sprechen konnte, für sie gesprochen. Es sei eine Zeit voller Liebe und voller Emotionen gewesen – und ein psychischer Kraftakt. „Wir haben uns schon gefragt, wie lang geht das, wie lang können wir das durchhalten und hatten dann direkt ein schlechtes Gewissen“, sagt Tobias Welz. „Weil man ein positives Ende gewöhnt ist, wenn man an seine Grenzen geht und darüber hinaus“, sagt Annika Welz. Jede der drei Geschwister habe seine Phase gehabt, in der man habe schreien wollen, und in der man gehofft habe, dass dieses Gefühl endlich zu Ende geht. „Aber man weiß auch, was das bedeutet – dass dann die Mama stirbt.“
Sie erinnert sich mit ihrem Bruder an den Sonntag vor dem Tod ihrer Mutter. Elfi Welz habe gefragt, wie sie aussehe und Annika Welz habe geantwortet: gut, super siehst du aus. „Da ich habe ich dann das Unsagbare ausgesprochen“, erzählt Tobias Welz. „Du wirst aus diesem Bett nicht mehr aufstehen.“
Am Ende ging es rasend schnell
Annika, Kristina und Tobias Welz arbeiten gegen die Zeit, stellen Anträge und bekommen Antworten, wenn die Putzhilfe schon nicht mehr gebraucht wird. „Das war so erschreckend, wir haben für jedes Problem eine Lösung gefunden und waren doch immer zu spät, weil sich am Ende alles überschlagen hat“, sagt Annika Welz.
Bei jedem Schichtwechsel verabschieden sich die Geschwister von ihrer Mutter, jedes Update über die Nacht am Morgen könnte das unausweichliche Ende markieren. „Und dann kommt man zu ihr, und sie sitzt mit meiner besten Freundin, die sie besucht, in ihrem Bett und spielt Mundharmonika“, erzählt Annika Welz. Julia Mattick beschreibt die letzten Wochen als Brücke. „Eigentlich sind sie schon recht weit weg, manchmal kommen sie noch einmal zurück, bis sie schließlich ganz gehen.“
Unterschiedlicher Umgang mit der Trauer
Wie unterschiedlich Menschen mit der Trauer umgehen, erkennt Tobias Welz an seinen zwei Söhnen. Während der eine seine Oma gesund in Erinnerung behalten möchte, will der andere sie auch nach ihrem Tod noch einmal sehen. Dafür zieht er sein gelb-blaues Ronaldo-Trikot an. Bis heute dürfen es seine Eltern nicht waschen, weil es nach Oma riecht.
Anfang Januar war die Familie in dem Haus von Elfi Welz – zur Feier ihres Geburtstags. „Ich denke nicht mehr über das Sterben nach seit ihrem Tod, sondern mehr über das Leben – und wie man es richtig lebt“, sagt Tobias Welz. „Es ist greifbarer geworden, dass das Leben endlich ist.“ Elfi Welz starb am 10. Mai 2024. Auf der Traueranzeige sind ein Engel und die Worte von Reinhard Mey abgedruckt: „Schade, dass du gehen musst vor der Erdbeerzeit.“
Sterbebegleitung
Ehrenamt
Der Hospizdienst Neckar-Stromberg bildet Sterbegleiter selbst aus. Mittlerweile sind es 20 Ehrenamtliche, die schwerkranke, sterbende Menschen und deren Angehörige begleiten und entlasten. „Wir wissen das unfassbar zu schätzen, wie viel Ehrenamtliche bereit sind für Fremde zu geben“, sagt Annika Welz.
Begleitung
Gerade bei einer schnell voranschreitenden Krankheit ist es häufig schwierig, einen Hospiz-Platz oder eine Kurzpflegeplatz in der Nähe zu bekommen. Der Hospizdienst begleitet in Bönnigheim, Erligheim, Kirchheim, Gemmrigheim, Walheim, Mundelsheim, Besigheim, Löchgau, Freudental, Ottmarsheim und Hessigheim und ist unter der Telefonnummer 0152 / 036 040 67 oder per E-Mail an info@hospiz-neckar-stromberg.de erreichbar.