Grafik: Kruljac

Bald beginnen die Weihnachtsmärkte. Darf man dort die rote Wurst oder das Schinkenbrötchen noch essen? Die Studie der Weltgesundheitsorganisation WHO, wonach Krebsgefahr besteht, sorgt für große Unruhe.

Stuttgart - Winfried Kretschmann liebt die Heimat. Wenn er mit seiner Frau Gerlinde auf der Schwäbischen Alb wandert und seinen Rucksack dabeihat. Oder wenn er in gemütlicher Runde seine geliebten Kässpätzle essen kann, dazu ein kühles Bier oder ein Viertel guten Wein. Und wie hält es der Ministerpräsident mit Fleisch und Wurst? Da orientiere er sich am Arzt Paracelsus, der einmal gesagt habe: „Alles ist Gift, nur die Dosis entscheidet über die Wirkung.“

Mit diesen Worten hat der Regierungschef am Dienstag auf die Analyse der Weltgesundheitsorganisation WHO reagiert, wonach der Konsum von Wurst und Schinken das Risiko erhöhe, an Darmkrebs zu erkranken. Die WHO hatte nach Auswertung mehrerer Studien dazu geraten, den Konsum von Fleisch zu reduzieren. Ein Hinweis, der eine regelrechte Flut an kritischen Reaktionen ausgelöst hat. Nicht nur Kretschmann will weiterhin guten Gewissens sein Wurstweckle essen und hat trotz der WHO-Warnung „keine Angst vor Schwarzwälder Schinken“.

Schinkenhersteller wehren sich

Der Schutzverband Schwarzwälder Schinkenhersteller reagierte am Dienstag wütend. Die WHO sorge für eine „Verunsicherung der Verbraucher“, sagte Verbandschef Hans Schnekenburger. Die WHO habe ihre Behauptungen nicht mit Zahlen belegt, die Debatte sei „ideologisch gefärbt“. Die Fleischverarbeitung in Deutschland finde „unter strengen Kontrollen und Vorschriften“ statt. „Der Schwarzwälder Schinken gilt zu Recht als Delikatesse. Niemand wird von ihm krank.“ Seit Jahren verzeichne man steigende Verkaufszahlen, „und das trotz der diversen Lebensmittelskandale“.

Nach Angaben des Verbandes ist der Schwarzwälder Schinken der meistverkaufte Rohschinken Deutschlands und der absatzstärkste geräucherte Rohschinken Europas. 2014 hätten die Produzenten 8,9 Millionen Stück des Lebensmittels abgesetzt und damit einen neuen Verkaufsrekord erzielt.

Kritik an der WHO kam am Dienstag auch von Hannelore Schröder-Wagner, Präsidentin des Landesverbands der Schausteller und Marktkaufleute. Was da geschehe, sei „branchenschädigend“. Bald beginnen die Weihnachtsmärkte – und Fleisch und Wurst sind für Imbissinhaber auf den Märkten eine wichtige Einnahmequelle. Die Verbandspräsidentin betreibt selbst drei fahrende Imbisse, unter anderem auf dem Heilbronner Weihnachtsmarkt. Rund 80 Prozent ihres Gesamtumsatzes kommen aus dem Fleisch- und Wurstverkauf, schätzt sie.

Trend zu vegetarischen Alternativen

Laut einer Umfrage des Bundesverbands Deutscher Schausteller und Marktkaufleute besteht rund ein Viertel des Angebots auf deutschen Weihnachtsmärkten aus Imbissbuden. Zwar habe sich das Angebot an vegetarischen Alternativen zur Wurst in den letzten Jahren erweitert, beobachtet Schröder-Wagner. „Die Alternativen sind aber kein großer Umsatzbringer.“ Die meisten Anbieter hätten sie im Angebot, um keine Kunden zu verprellen. „Einer in der Familie möchte fast immer etwas anderes als Wurst.“

Auf dem Stuttgarter Weihnachtsmarkt, nach Besucherzahlen dem viertgrößten Deutschlands, gibt es neun Imbissstände mit einem Hauptaugenmerk auf Wurst und Fleisch sowie elf Spezialitätenstände. Diese Zahl sei seit Jahren unverändert, sagt der Sprecher des Veranstalters . In Ludwigsburg hingegen beobachtet Martin Boy, Veranstaltungsleiter der Stadt, dass sich die Nachfrage verändert. Auch ohne WHO-Studie seien vegetarische Alternativen in den letzten Jahren beliebter geworden. Deshalb habe die Stadt in den letzten Jahren ausschließlich Stände mit vegetarischen und allergiegerechten Speisen neu für den Markt aufgenommen. Verbandspräsidentin Schröder-Wagner warnt wie Kretschmann vor Panikmache: „Dass man alle Lebensmittel mit Maß genießen sollte, weiß doch auch so jeder intelligente Mensch.“