Willi Reiners befragt Jürgen Windeler, Else Heidemann und Hans Junkermann (von links) zum Thema Krebsvorsorge. Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Wer gesund bleiben will, geht zur Krebsfrüherkennung. Jedes Jahr tun dies mehr als 25 Millionen Deutsche. Doch aktuelle Studien zeigen: der Schaden kann bei einigen Tumorerkrankungen größer sein als der Nutzen.

Stuttgart - In einer Sache sind sich die drei Experten einig: Einfache Antworten gibt es nicht, wenn es darum geht, wie sinnvoll Krebsvorsorge ist. Deshalb, und auch da herrscht Einigkeit, müssen Patienten sorgfältig aufgeklärt werden. „Doch dafür haben die Ärzte einfach nicht genug Zeit“, kritisiert Else Heidemann, Leiterin des Onkologischen Schwerpunkts Stuttgart. Dieser ist ein Zusammenschluss von Krebsstationen Stuttgarter Krankenhäuser mit dem Ziel, Patienten abgestimmter und somit besser zu behandeln.

Dass die Frage „Wie sinnvoll ist Krebsvorsorge?“ viele Menschen umtreibt, zeigt die große Resonanz auf die Veranstaltung unserer Zeitung am Montagabend im Diakonieklinikum: Mehr als 250 Zuhörer sind zum Forum Gesundheit gekommen, das Willi Reiners, stellvertretender Ressortleiter Politik, moderiert.

Die Erkenntnisse, auf die sich die Diskussion stützt, sind nicht neu, betont Jürgen Windeler, Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). „Neu ist, dass es eine andere Einstellung zur Medizin gibt. Man ist allgemein kritischer gegenüber dem, was die Ärzte tun“, sagt Hans Junkermann, Senior Consultant in der Sektion Senologie der Universitätsfrauenklinik Heidelberg. Konkret geht es unter anderem um Studien zur Sterblichkeitsrate bei Brustkrebs. Dazu gibt es verschiedene Ergebnisse. Eine große Untersuchung sagt, dass von 1000 Frauen, die regelmäßig die Brust röntgen lassen, eine Frau über einen Zeitraum von zehn Jahren weniger stirbt als in der Vergleichsgruppe ohne Früherkennung. „Die Effekte sind klein. Es ist sehr schwierig, aus diesen Studien den Nutzen des Brustkrebsscreenings abzulesen“, konstatiert Windeler. Junkermann hingegen verweist auf deutlichere Ergebnisse: „Gute, noch länger angelegte Studien kommen auf Werte von sechs oder gar acht geretteten Frauen pro 1000.“ Dennoch: „Die Früherkennung hat eine begrenzte Wirkung“, so der Arzt.

Für Else Heidemann stehen die Zahlen weniger im Vordergrund, denn so oder so müsse sich die Frau entscheiden: „Will ich einen Überlebensgewinn haben – den keiner bestreitet – und dafür eine Zeit lang mit der Krankheit leben oder lieber nichts wissen?“ Denn wenn man bei der Krebsfrüherkennung etwas Verdächtiges entdeckt, gilt der Professorin zufolge: „Es muss therapiert werden.“ Man könne schließlich nicht wissen, wie schnell und in welche Richtung sich ein Tumor entwickelt. So kommt es zu „Überdiagnosen“: Tumoren werden behandelt, obwohl sie der Patientin vielleicht niemals Probleme bereitet hätten.

Andererseits: „Wenn wir bestimmte Tumoren frühzeitig erkennen, brauchen wir weniger Chemotherapie. Das ist ein Vorteil“, erklärt Junkermann. Heidemann schränkt ein: „Das gilt aber nicht für alle. Es gibt kleine, aber sehr bösartige Tumoren.“ Deshalb bedeute eine früh erkannte Krebserkrankung nicht zwangsläufig weniger Therapie.

Der Leiter des IQWiG rät Patienten vor diesem Hintergrund Folgendes: „Man kann sich Zeit lassen mit der Entscheidung. Man kann sich ausführlich über den jeweiligen Tumor informieren.“ Zum Beispiel durch Broschüren der Deutschen Krebshilfe. Dann gelte es abzuwägen, was man selbst durch die Früherkennung gewinnen kann und was der Preis dafür ist. Eine solche Untersuchung liefere nur eine Momentaufnahme und könne keine absolute Sicherheit geben. „Wie Sie sich auch entscheiden – Sie brauchen kein schlechtes Gewissen zu haben. Nicht hinzugehen ist eine reale Option“, findet Windeler. Allerdings: „Frauen, die eine familiäre Belastung haben, müssen zur Früherkennung gehen“, betont Heidemann.

Das Verhältnis von Schaden und Nutzen der Früherkennungsmaßnahmen ist unterschiedlich, wie die Expertendiskussion zeigt – etwa beim Thema Darmkrebs: „Hier scheint der positive Effekt eindrücklich zu sein“, so Windeler auf die Frage, zu welcher Früherkennung er selbst gehen würde. Werden bei einer Darmspiegelung Krebsvorstufen entdeckt, könne man diese in der Regel ohne großen Aufwand entfernen und die Sterblichkeit erheblich reduzieren.

Anders sieht es hingegen bei Eierstockkrebs aus: „Hier ist die Ultraschalluntersuchung zur Früherkennung von Nachteil“, warnt Windeler. Auch Heidemann sieht in diesem Fall mehr Schaden als Nutzen für die Patientin – denn im schlimmsten Fall wird ein Eierstock unnötig entfernt. Ähnliches gilt für den PSA-Test zur Früherkennung von Prostatakrebs. Er wird in Deutschland derzeit als so genannte Individuelle Gesundheitsleistung (IGeL) angeboten, die die Patienten selbst bezahlen. Bieten Ärzte die Untersuchung also vielleicht hauptsächlich aus finanziellen Interessen an? „Bei einer IGeL-Leistung könnte das so sein“, so Junkermann. „Das kann man nie ausschließen.“

Früherkennung ja oder nein – diese Entscheidung muss jeder Mensch selbst treffen. Ungeachtet dessen gibt es Maßnahmen, die man ergreifen kann, um einer Krebserkrankung vorzubeugen: „Bewegung, kein Übergewicht, ausgewogen essen, nicht rauchen, kein Alkohol“, rät Ärztin Heidemann.