In der Krawallnacht im Juni 2020 ziehen Randalierer durch die City. Foto: dpa/Julian Rettig

Viele Verfahren gegen Beteiligte an den Ausschreitungen im Juni vergangenen Jahres sind bereits entschieden. Doch nun soll noch ein Täter-Opfer-Ausgleich folgen. Was erwartet die Beteiligten dabei?

Stuttgart - Was genau in jener Nacht den Initialfunken für den Gewaltausbruch gab, die sie zur Krawallnacht machte, darüber können viele Experten auch nach mehr als zehn Monaten nur rätseln. Was sie mit den Beteiligten gemacht hat, und wie eine Gesellschaft damit umgeht, das wird sich in den kommenden Wochen zeigen. Am Mittwoch ist die erste Wiedergutmachungskonferenz in Sachen Krawallnacht angesetzt. Ein Treffen, das es in sich hat: Täter und Opfer kommen zusammen und sprechen darüber, was sie erlebten, wie sie sich dabei fühlten und wie die Täter das den Opfern gegenüber wiedergutmachen können. Auf den Weg gebracht hat diese Begegnungen die Fachstelle Täter-Opfer-Ausgleich der Stadt Stuttgart. Bei den rund 140 bislang ermittelten Tatverdächtigen sind laut der Polizei schon mehr als 60 Urteile in den Strafverfahren gefallen.

 

Polizisten, Händler und Täter kommen zusammen

Am Anfang stand ein Brief. Den schickte ein Jugendlicher, der an den Ausschreitungen in der Nacht vom 20. auf den 21. Juni des vergangenen Jahres beteiligt war, an den Polizeipräsidenten. Der gab ihn weiter an die Ermittlungsgruppe Eckensee, damit er zu den Beamten kommen sollte, die in jener Nacht auch im Einsatz waren. Nun sollen sich die Täter und die Betroffenen – die jugendlichen und jungen Erwachsenen auf der einen Seite, Polizeibeamte und Händler, deren Läden zerstört wurden, auf der anderen Seite – persönlich kennenlernen. „Bei einem normalen Ladendiebstahl sind wir nicht eingeschaltet. Aber bei der Wucht, die dieses Ereignis hat, haben wir gesagt, wir machen das“, sagt Wolfgang Schlupp-Hauck von der Fachstelle Täter-Opfer-Ausgleich.

„Unser Grundsatz ist: Jederzeit für jeden und überall“, sagt Schlupp-Hauck. Überall, das sei noch nicht ganz gewährleistet, denn nicht alle Landkreise im Land hätten entsprechende Angebote. Jederzeit bedeute, dass es zu jedem Zeitpunkt eines Verfahrens zu einem Gespräch in Sachen Täter-Opfer-Ausgleich kommen kann. „Die Voraussetzung ist, dass der Sachverhalt ausermittelt ist und der Täter diesen einräumt“, sagt Wolfgang Schlupp-Hauck. Grundsätzlich müssen immer beide Seiten einverstanden sein, betont er.

Mehrere Treffen sind geplant

Pro Wiedergutmachungskonferenz zum Thema Krawallnacht sollen drei oder vier Täter, zwei bis drei Polizistinnen und Polizisten und zwei Ladenbetreiber an den Runden teilnehmen. „Dann läuft das ganz klassisch, wie bei allen anderen Straftaten“, erläutert der Fachmann. Zunächst würden die Beteiligten die Nacht aus ihrer Perspektive schildern. Dann käme der Teil, in dem alle darüber sprechen, welche Gefühle das Geschehen bei ihnen ausgelöst oder hinterlassen habe. Schließlich komme man zum „Kern der Sache“, der Frage nach der Wiedergutmachung. Neben dem materiellen Ausgleich soll auch besprochen werden, ob man etwas für die Gesellschaft tun könne. Dabei seien schon Ideen wie eine Aufräumaktion rund um den Eckensee aufgetaucht, oder Beiträge für den Jahrestag. Denn am Samstag, 19. Juni, ein Jahr nach den Ausschreitungen, soll ein positiv besetztes Event – soweit es die Coronalage zulässt – stattfinden. Ideen wie ein Klimmzugwettbewerb mit Jugendlichen und Polizisten seien schon aufgekommen, weitere sollen nun entstehen.