Von den rund 500 000 Bundesbürgern, die pro Jahr die Diagnose Krebs erhalten, sind knapp 45 Prozent noch im erwerbsfähigen Alter unter 67 Jahre. Sie kämpfen meist nicht nur mit der Angst um die eigene Gesundheit, sondern auch mit Zukunftssorgen: Was wird mit meiner Arbeit, kann ich weiter für meine Familie sorgen? Foto: Fotolia/© Matthias Buehner

Die Diagnose Krebs bringt Berufstätigen nicht nur die Sorge nach der Gesundheit, sondern auch nach ihrer beruflichen Zukunft. Erste Unternehmen unterstützen ihre Mitarbeiter in der Krebstherapie.

Stuttgart - Von einem Tag auf den anderen bleibt der Schreibtisch leer. Der Kollege sei bis auf Weiteres krankgeschrieben, heißt es. Er habe Krebs.

Es ist ein Szenario, das sich statistisch gesehen in jedem zweiten Unternehmen in Deutschland abspielen könnte: Demnach sind von den rund 500 000 Bundesbürgern, die pro Jahr die Diagnose Krebs erhalten, knapp 45 Prozent noch im erwerbsfähigen Alter unter 67 Jahre. Sie kämpfen meist nicht nur mit der Angst um die eigene Gesundheit, sondern auch mit Zukunftssorgen: Was wird mit meiner Arbeit, kann ich weiter für meine Familie sorgen?

Jürgen Walther, Leiter des Sozialdienstes am Nationales Centrum für Tumorerkrankungen Heidelberg, ein den Beratungen, unter welchen Druck Betroffene geraten können: „Studien zeigen, dass die beruflich-finanziellen Sorgen den Patienten häufig ähnlich belasten wie Tumorangst und körperliche Belastungen.“

Krebskranke Mitarbeiter des Konzerns bekommen eine kostenlose Genanalyse

Es gibt noch nicht viele Unternehmen, die aktiv dagegen angehen: In Stuttgart hat nun die Robert Bosch GmbH ein „Bündnis gegen Krebs“ gegründet – mit der Bosch Stiftung und dem Robert-Bosch-Krankenhaus, in Kooperation mit dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ). In Folge dieses Zusammenschlusses bekommen krebskranke Mitarbeiter des Konzerns nun eine kostenlose Genanalyse. Das als „OncoCure“ bezeichnete Programm umfasst zunächst die Analyse des Erbguts des Tumors und gesunder Zellen. Deren Ergebnisse werden nicht nur bewertet, sondern „OncoCure“ berücksichtigt neben Standardtherapien auch aktuelle Ergebnisse klinischer Studien. Der behandelnde Arzt bekommt so eine Therapieempfehlung an die Hand. Dafür stellt das Unternehmen jährlich eine Million Euro bereit. Eine solche Tumoranalyse wird nicht immer von Krankenkassen übernommen. „Über die Präzisionsdiagnostik wollen wir die Chance für eine erfolgreiche Krebstherapie verbessern“, sagt Volkmar Denner, Vorsitzender der Bosch-Geschäftsführung. Das helfe den betroffenen Mitarbeitern, ihren Familien und den Kollegen am Arbeitsplatz. Tatsächlich gibt es bereits einige Mitarbeiter, die „OncoCure“ in Anspruch nehmen.

Die Bosch-Gruppe gehört zu den Vorreitern auf diesem Feld – wie auch SAP, das schon 2014 ein Programm ins Leben gerufen hat. Dieses bietet in Zusammenarbeit mit der Firma Molecular Health SAP-Mitarbeitern in Deutschland und den USA eine kostenfreie Tumordatenanalyse und -interpretation. Dies tut auch das US-amerikanische IT-Unternehmen EMC, das Speichersysteme für Firmen herstellt. Der Laserspezialist Trumpf aus Ditzingen wiederum ist hierbei die Kooperation mit den Unternehmen CeGat eingegangen. „Wir bieten jedem Mitarbeiter, der an Krebs erkrankt ist, die Möglichkeit zur Tumoranalyse“, sagt Heidi-Melanie Maier, Sprecherin bei Trumpf.

Mit der Krankheit Krebs müssen sich Unternehmen künftig stärker auseinandersetzen

„Das Thema Krebs wird seitens der Arbeitsmedizin immer wichtiger“, sagt Hans Drexler, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Arbeits- und Umweltmedizin. Aufgrund des demografischen Wandels und der Tatsache, dass Krebs im Alter häufiger auftritt, werden sich Unternehmen verstärkt mit der Erkrankung von Angestellten auseinandersetzen müssen. „Das ist emotional belastend – und jeder Mitarbeiter, der aufgrund einer chronischen Erkrankung fehlt, bringt auch einen wirtschaftlichen Schaden“, sagt der Sozia- und Arbeitsmediziner Drexler.

Welch hohe Kosten auf die Unternehmen dabei zukommen können, wenn Angestellte aufgrund einer Krebserkrankung ausfallen, verdeutlicht die betriebliche Gesundheitsfürsorge des Chemiekonzerns BASF, der seine Mitarbeiter am Standort Ludwigshafen jährlich zur internen Darmkrebsfrüherkennung einlädt – und das seit 2003. Ziel der Aktion ist es, dass eventuelle Vorstufen entdeckt und sogleich entfernt werden können, bevor sich ein Krebs entwickelt. Sabrina van der Puetten von BASF spricht von einem Return on Investment von 1:10. „Dieser ergibt sich aus der Rechnung, bei der wir den Kostenaufwand gegen die ersparten Arbeitsausfalltage rechnen.“

Die betriebliche Gesundheitsfürsorge bietet auch einen Wettbewerbsvorteil

Eine „Win-Win“-Situation nennt dies der Sozialmediziner Hans Drexler. So behalten die Unternehmen langjährige und spezialisierte Fachleute, denn die Suche nach gleichwertig qualifizierten Mitarbeitern werde immer schwerer. Gleichzeitig bietet eine solche betriebliche Gesundheitsförderung auch Imagevorteile auf der Suche nach neuen Kräften. So argumentiert Thomas Olbrecht, Leiter der Markt- und Sozialforschung bei EuPD, das alljährlich das Corporate Health Jahrbuch veröffentlicht. Das Werk gibt einen Überblick über das betriebliche Gesundheitsmanagement in Deutschland. Fazit: Für die Unternehmen, die sich in diesem Bereich stark engagieren, steht der Wettbewerb um gute Mitarbeiter im Vordergrund.

Bislang leisten sich vor allem Großkonzerne diesen Vorsprung. Der Sozialdienst am NCT in Heidelberg startet gerade ein Beratungsprojekt für Patienten, die im Erwerbsleben stehen. Ziel dieses Projektes ist unter anderem die Zusammenarbeit mit Leistungsträgern wie Krankenkassen und Rentenversicherungen sowie Arbeitgebern zu verbessern. So soll Krebspatienten auch bei eingeschränktem Leistungsvermögen einen längeren Verbleib im Arbeitsleben ermöglicht werden. „Die Behandlungsmöglichkeiten bei Krebserkrankungen und die Arbeitswelt haben sich verändert, darauf müssen Arbeitgeber und Leistungsträger reagieren und auch neue Modelle der Beschäftigung in Kombination mit dem Bezug von Sozialleistungen anbieten“, sagt der Heidelberger Experte Jürgen Walther. Denn die Unternehmen und der Staat würden es sich nicht mehr lange leisten können, chronisch Kranke in Frührente zu schicken und vorhandenes Leistungspotenzial brach liegen zu lassen.

Hilfe bei sozialrechtlichen Fragen

Wo Arbeitnehmer mit Krebs Hilfe erhalten

Hausarzt/Facharzt/Klinik: Erste Ansprechpartner – auch für sozialrechtliche Fragen – sind die behandelnden Ärzte. Für viele Pflegemaßnahmen oder die Reha benötigen Patienten ein Rezept durch den Arzt.

Kliniksozialdienste: Die Kliniksozialdienste sind Ansprechpartner für Fragen zur Krankenversicherung und zu Reha-Anträgen sowie bei der Versorgung zu Hause. Sie helfen auch, wenn Patienten befürchten, in eine finanzielle Notlage zu geraten, oder wenn die Situation am Arbeitsplatz geklärt werden muss. Zudem informieren sie bei Anträgen für Schwerbehindertenausweise.

Unabhängige Patientenberatung Deutschland: Die UPD berät im gesetzlichen Auftrag rund um das Thema Gesundheit – auch bei sozialrechtlichen Fragen. Bundesweites Beratungstelefon unter 08 00 / 0 11 77 22.

Deutsche Krebshilfe: Auch das Infonetz Krebs der Deutschen Krebshilfe (DKH) berät Betroffene, die aufgrund ihrer Krebserkrankung in finanzielle Not geraten sind. Beim Härtefonds lässt sich auch Unterstützung beantragen. Der Beratungsdienst ist telefonisch täglich von 8 bis 17 Uhr zu erreichen: 08 00 / 80 70 88 77; Fragen, die den Härtefond betreffen, werden unter der Telefonnummer 02 28 /  7 29 90 94 beantwortet.