Dauerbaustelle: Das Klinikum der Stadt Stuttgart wird seit Jahren innen wie außen umgemodelt. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Das Klinikum der Landeshauptstadt nimmt einen neuen Anlauf, sich durch eine neue Strategie zukunftsfest zu machen. Ein aktuelles Gutachten schlägt vor, die Standorte stärker zu profilieren.

Stuttgart - Nach den Turbulenzen um die International Unit (IU), der Auslandsabteilung des städtischen Klinikums, steht in der Kommunalpolitik die zentrale Frage auf der Tagesordnung: Wie geht es weiter mit dem Großkrankenhaus, das seit Jahren mit einem Millionendefizit zu kämpfen hat? Ein Gutachten der Beratungsgesellschaft Ernst und Young, das am Freitag dem Krankenhausausschuss in nicht-öffentlicher Sitzung vorgestellt worden ist, soll Wege aufzeigen.

Das „Zukunftsgutachten 2015“ hebt mit einer düsteren Prognose an. Nach den wegen der IU-Probleme ausgesprochen großen Defiziten 2014 (minus 24,5 Millionen Euro) und 2015 (minus 27,6 Millionen) hat sich die Lage 2016 wieder etwas verbessert, das Defizit sank laut Gutachten auf knapp 10,3 Millionen Euro. Das Jahresergebnis, so betonen die Autoren, enthalte aber auch 17,6 Millionen Euro an Zuschüssen und Erstattungen durch die Stadt, diese leiste einen Investitionszuschuss von zehn Millionen Euro und übernehme den Verlust des Klinikums.

Ein Minus von 193 Millionen Euro?

Ohne Gegenmaßnahmen, so prognostizieren die Gutachter von Ernst und Young, könnte das Defizit die kommenden Jahre wieder auf bis zu 28 Millionen Euro steigen. Bis 2025 würde sich das Gesamtminus dann auf 193 Millionen Euro summieren. Das sogenannte strukturelle Defizit wird mit etwa 20 Millionen Euro angegeben.

Auch zur Position der städtischen Häuser, des Katharinenhospitals (KH) und des Olgäle mit der Frauenklinik am Standort Mitte sowie des Krankenhauses in Bad Cannstatt im von harter Konkurrenz geprägten Markt der Landeshauptstadt und der Region äußern sich die Gutachter. In der Basisversorgung der Erwachsenenmedizin, was das KH und Cannstatt betrifft, ist man mit einem Marktanteil von 24 Prozent nicht zufrieden. Dies gilt auch für die 28 Prozent in der Maximalversorgung, die vor allem das KH leistet.

Das Olgäle bekommt gute Noten

Gute Noten bekommt das Olgäle, das zwar einen erheblichen Anteil an dem Klinikdefizit habe, was aber insbesondere an der unzureichenden Vergütung pädiatrischer Leistungen liege. In der Kinder- und Jugendmedizin erreiche das Klinikum bei der Basisversorgung einen Marktanteil von 74 Prozent und sei damit Marktführer. Zwar sollen auch im Olgäle weiterhin Verbesserungen umgesetzt werden, darüber hinaus halten die Gutachter Veränderungen aber nicht für geboten. Die immer wieder einmal erwogenen Schließungen von zwar renommierten, aber doch hochdefizitären Abteilungen im Olgäle sind kein Thema mehr. Dies würde zu einem Ansehensverlust des allseits geschätzten Kinderkrankenhauses führen.

Das in der Langfassung 1700 Seiten umfassende Gutachten geht auf zahlreiche Themen ein, auch auf die hohen Defizite der Ambulanzen von rund 12,5 Millionen Euro. Diese müssten einheitlicher organisiert werden, nicht zuletzt angesichts von viel zu langen Wartezeiten für die Patienten.

Neues Konzept für den Standort Bad Cannstatt

Ein wichtiges Thema in dem Gutachten ist die künftige Rolle das Krankenhauses Bad Cannstatt. Dafür gibt es drei Vorschläge: Der erste sieht Verbesserungen ohne strukturelle Veränderungen vor, nach dem zweiten würde der Standort ein Stadtteilkrankenhaus. Szenario drei, das die Gutachter favorisieren, sieht das KBC stärker als Fachklinik, die neben der Psychiatrie, der Inneren sowie der Hautklinik und einigen anderen Disziplinen noch die Augenklinik aus dem KH bekommen würde. Dafür würden Chirurgie, Unfallchirurgie und Orthopädie an den Standort Mitte abwandern, der OP-Betrieb würde nicht mehr rund um die Uhr vorgehalten. So könnten Doppelstrukturen abgebaut, die Standorte profiliert werden mit langfristig positiven Effekten.

Die ersten Reaktionen im Ratsausschuss reichten von Überforderung angesichts des komplexen Themas bis zu Enttäuschung über das vorgelegte Papierwerk. Vieles, was das Gutachten aufführe, sei nicht neu, erklärte ein Ratsmitglied.

Einiges ist schon geschafft

So seien die „ Top-20-Maßnahmen“, mit denen das Klinikum sein Ergebnis bis ins Jahr 2020 um insgesamt 20 Millionen Euro verbessern will, zum Teil schon umgesetzt, bis Ende dieses Jahres soll die Hälfte des Volumens erreicht sein. Insgesamt sieht mancher die Lage des Klinikums auch nicht so düster wie in dem Gutachten gemalt. So heißt es, das Defizit für 2016 liege schon durch die jüngsten Anstrengungen nicht wie im Nachtragswirtschaftsplan bei 10,3 Millionen Euro, sondern bei 2,5 Millionen Euro. Skeptische Stimmen sind auch zu den Plänen für die Klinik Bad Cannstatt zu vernehmen. Dieses würde etwa durch die starke Reduzierung der Notfall- und Intensivmedizin seine Rolle für Patienten aus dem Rems-Murr-Kreis verlieren, was erhebliche negative Effekte für das Klinikum haben könne. Es ist von „Rumpfkrankenhaus“ die Rede.

Die Debatte über die künftige Strategie soll mit des Beteiligten weiter geführt werden. Bis im Juli sollen sich die neuen Geschäftsführer Jan Steffen Jürgensen und Alexander Hewer, die Anfang April starten und in den Prozess bereits eingebunden sind, eigene Vorschläge einbringen. Beide haben die Pläne als „wichtig“ und „positiv“ bewerte. „Die Möglichkeit, Stärken und Schwerpunkte klarer zu profilieren, ist großartig“, erklärte der künftige Ärztliche Direktor Jan Steffen Jürgensen. Eine Entscheidung in der Sache ist bis Ende des Jahres geplant.