Carglass, Scheibendoktor und Co. machen mit vermeintlich reparaturbedürftigen Scheiben Geschäfte.

Stuttgart - Eigentlich wollte der junge Mann sein Auto nur tanken. Doch er hatte die Rechnung ohne den Service-Mann von Shell gemacht. Dieser wies ihn freundlich auf einen Steinschlag in seiner Windschutzscheibe hin und drückte ihm gleich den passenden Gutschein für eine kooperierende Spezialwerkstatt in die Hände: "Kostenlose Steinschlagreparatur." Den Einwand des Autobesitzers, den Schaden müsse man ja mit der Lupe suchen, erwiderte der Tankwart mit einem Augenzwinkern: "Man muss es nicht machen."

Man kann höchstens. Mit diesem Prinzip machen Steinschlag-Spezialfirmen gute Geschäfte. Kleine und große (wie Marktführer Carglass) werben damit, dass die meisten Versicherungen den Schaden über die Teilkasko übernehmen und Glasschäden von der Hochstufung der Versicherungsprämie ausgenommen sind. Erst im Kleingedruckten wird darauf verwiesen, dass die Reparatur nur dann kostenlos ist, wenn die Scheibe nicht ausgetauscht werden muss. Das muss sie aber, wenn der Steinschlag sich im Sichtfeld des Fahrers befindet oder bereits zu einem Riss ausgewachsen hat.

Nur: Ab wann ist das der Fall? Und wann kommt schließlich die Selbstbeteiligung ins Spiel? In Internetforen klagen Autobesitzer darüber, dass sich die vermeintlich kostenlose Reparatur zu einer kostspieligen Angelegenheit entwickelt hat. Für eine Reparatur des Schadens verlangt Carglass etwa 99 Euro, der Austausch der Scheibe schlägt mit mehreren Hundert Euro zu Buche.

Auch die Versicherungen klagen. Infolge einer lang anhaltenden Marketing-Offensive laufen bei ihnen die Fälle von Steinschlagreparaturen über. Im Jahr 2007 (aktuellere Zahlen gibt es nicht) verzeichnete der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft bei 42 Millionen zugelassener Pkw 2,4 Millionen Schadensmeldungen. Ein Jahr zuvor waren es noch 140.000 weniger. Seit 2003 haben sich die Schadensfälle Jahr für Jahr um mehrere Hunderttausend erhöht. Die Schadenssumme stieg im gleichen Zeitraum von 841 auf 980 Millionen Euro. Für 2008 wird mit einer weiteren Zunahme gerechnet. Glasbruch (Reparatur und Austausch) machte mit 72 Prozent den größten Anteil aller Teilkasko-Fälle aus, weit vor Diebstahl, Hagel oder Wildunfällen. "Die machen ein geschicktes Marketing", sagt ein Versicherungsmann. "Nach der Reparatur putzen sie dir noch die Fenster und schenken den Kindern einen Lolly."

Er spricht von Carglass, dem Branchenprimus. Über das Unternehmen aus Köln ist nur wenig bekannt. Es gehört zum südafrikanischen Konzern Belron, dem Weltmarktführer von Fahrzeuglas, und betreibt in Deutschland mittlerweile 260 Filialen, drei davon in Stuttgart - Tendenz steigend.

Auch Konkurrent Scheiben-Doktor breitet sich gewaltig aus. Mit Stolz teilte das Wolfsburger Unternehmen kürzlich mit, dass man "ausgerechnet im Jahr der Krise" 13 neue Unternehmen habe an den Start bringen können. Die Erwartungen seien "bei Weitem übertroffen" worden.

Erfolgsmeldungen allenthalben. Nur warum? Ist Glas heute anfälliger als früher? Wohl kaum. Auch sind die Straßen nach Ansicht von Experten nicht verunreinigter als früher. Allenfalls die immer größeren Glasflächen und die standardisierten Klimaanlagen spielen eine wenn auch untergeordnete Rolle: Klimaanlagen können einer Scheibe an heißen Tagen zusetzen.

Ist der Erfolg der Glas-Heiler also vor allem ihrem Marketing geschuldet? Vieles deutet darauf hin. "Sie setzen mit ihrer Werbung häufig auf die Furcht der Autobesitzer, dass ein großer Schaden unvermeidlich ist, wenn ein kleiner Mangel nicht unverzüglich ausgebessert wird. Tatsächlich aber ist das Risiko eher gering, dass die ganze Windschutzscheibe zerspringt", sagt Rainer Hillgärtner vom Auto Club Europa (ACE).

Die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg warnt sogar vor Spezialfirmen. Die mit den Versicherungen geschlossenen "Allianzen" könnten unter Umständen einen "kaum auflösbaren Interessenkonflikt bedeuten", meint Versicherungsexperte Peter Grieble. Grund: Solche Vereinbarungen seien meist mit einem hohen Kostendruck verbunden. Die Arbeiten könnten also nicht nur günstig, sondern auch billig durchgeführt werden. Dem Vorwurf entgegnet Carglass, die Versicherer würden vom frühzeitigen Reparieren profitieren, weil sie so von hohen Austauschkosten verschont blieben.

Wie dem auch sei: Klagen über Carglass und Co. finden sich bei den Verbraucherzentralen und im Internet bislang nur vereinzelt. Dafür umso häufiger die Empfehlung, bei Steinschlag in eine ganz normale Werkstatt zu gehen - die Konditionen sind nämlich meist dieselben.