Immer wieder kommt es vor, dass Kinder ohne dringlichen Grund zu spät aus der Betreuung abgeholt werden. Foto: imago//Ute Grabowsky

Versäumnisgebühren für Eltern, die ihre Kinder wiederholt zu spät abholen, teureres Essen, hoher Krankenstand, Existenzängste: In den Ludwigsburger Betreuungseinrichtungen knirscht es.

Eltern, die ihr Sprösslinge wiederholt zu spät aus Kitas oder Schulkindbetreuungen in Ludwigsburg abholen müssen künftig 30 Euro pro angefangener halber Stunde zahlen: Der Bildungsausschuss hat knapp – mit fünf zu vier Stimmen – für dieses Vorgehen gestimmt, das als Handhabe gegen Erziehungsberechtigte mit mangelndem Fehlverhaltensbewusstsein dienen soll.

Es gehe dezidiert nicht um durch höhere Gewalt wie Unfälle oder Pannen ausgelöste Verzögerungen, es gehe um Eltern, die „regelmäßig zu spät kommen und ihre Kinder und unser Personal eine halbe oder dreiviertel Stunde warten lassen“, sagte die Erste Bürgermeisterin Renate Schmetz. „Das sind nicht die Massen, sondern Einzelfälle. Es gibt zum Beispiel Eltern, die nicht die richtige Betreuungszeit buchen und damit bewusst kalkulieren.“ Kündigen wolle man diesen Familien aber auch nicht: „Das halten wir für das falsche Instrument.“ Mit der Gebühr soll jedoch der zusätzliche Betreuungs-und Verwaltungsaufwand zumindest teilweise abgedeckt und der Einhaltung der vertraglichen Pflichten mehr Gewicht gegeben werden. Die Verspätungsgebühr soll allerdings nur die ultima ratio sein, wenn Gespräche mit den betreffenden Eltern nicht fruchten.

Bei den Stadträten war das Stimmungsbild dazu nicht eindeutig, auch innerhalb der Fraktionen nicht. „Notorische Zuspätkommer sind Egoisten, denen es wurst ist, wie andere mit ihnen klarkommen“, sagte Hermann Dengel (Freie Wähler), der lieber 50 statt nur 30 Euro Verspätungsgebühr verlangt hätte. Seine Fraktionskollegin Gabriele Moersch fand 30 Euro dagegen nicht vertretbar, 20 seien in Ordnung. Für die Grünen sagte Laura Wiedmann, der Interpretationsspielraum, wer letztlich nach welchen Kriterien entscheide, ob die Gebühr erhoben werde oder nicht, sei zu groß. Claus-Dieter Meyer (CDU) bekundete: „Wenn es Menschen gibt, die es darauf anlegen, muss man ein Signal geben. Wir gehen mit der Entscheidung mit, egal ob 20 oder 30 Euro.“ Für die SPD sagte Daniel O’Sullivan: „Wir gehen davon aus, dass die Regelung mit Fingerspitzengefühl umgesetzt wird. Aber die Betreuung kostet Gebühren, und dafür ist selbstverständlich jede Minute zu zahlen. Wenn man zuhause den Wasserhahn aus Versehen laufen lässt, muss man das Wasser ja auch trotzdem bezahlen.“

Elternbeiräte beschweren sich bitterlich

Die Gesamtelternbeiräte von Kitas und Schulen hatten zwar grundsätzlich Verständnis für das Vorhaben signalisiert, fanden aber den Betrag zu hoch beziehungsweise hatten darauf hingewiesen, dass ein verspätetes Abholen in Einzelfällen damit zusammenhängen könne, dass keine ausreichend langen Betreuungsstunden pro Kind zur Verfügung stünden: Besonders bei einem Vollzeitjob mit einer 40-Stunden-Woche benötigten Eltern ein Betreuungskontingent von neun bis zehn Stunden täglich. Die Elternvertretungen hatten sich überdies bitter darüber beschwert, dass auch die Essenskosten teurer werden sollen – was der Bildungsausschuss dennoch beschloss. Die Rahmenbedingungen für die städtischen Kindergärten in Ludwigsburg entwickelten sich zu Lasten der Eltern, wenn sowohl Betreuungs- als auch Verpflegungsgebühren stiegen, gleichzeitig aber nicht genug Plätze, Personal und Betreuungszeiten zur Verfügung stünden und Eltern immer wieder Schließtage kompensieren müssten, ohne dafür Gebühren rückerstattet zu bekommen.

Verwaltung und Stadträte argumentierten indes, die massive Steigerung der Energie- und Lebensmittelpreise müsse zumindest partiell auf die Gebühren umgelegt werden, denn einen guten Teil zahle ohnehin der Steuerzahler. Pro Essen kalkuliere die Verwaltung derzeit betriebswirtschaftlich mit Kosten von sieben bis neun Euro, zahlen müssen die Eltern 3,30 Euro pro Essen. Künftig werden nun 3,50 Euro fällig.

Existenzängste, Überforderung, Stress

Frustrierte und dünnhäutige Eltern, erschöpftes und genervtes Personal: Was bei den Themen Verspätungsgebühr und Essenskosten durchschimmerte, wurde auch bei einem anderen Punkt manifest, der ein düsteres Stimmungsbild zeigte. Bei einer Umfrage unter Eltern und Beschäftigten der von Stadt, Kirchen oder der Awo getragenen Kinder- und Familienzentren über ihre aktuelle Situation kamen alarmierende Ergebnisse heraus. Eltern, so berichtete Manuela Bittner als Vertreterin der kirchlich getragenen Einrichtungen, seien von Existenzsorgen, Erschöpfung, Stress, Überforderung, Krankheit, Vereinsamungsängsten und Unsicherheit geplagt. Das schlage sich in erhöhtem Beratungs- und Unterstützungsbedarf nieder, zeige sich aber teil auch in einer „sehr groben Wortwahl“, an ungewöhnlich langen, schwierigen Eingewöhnungszeiten oder am Sozialverhalten mancher Kinder.

Auf der Personalseite, so Thomas Brändle, Abteilungsleiter Kinder und Familie bei der Stadt, sei die psychosoziale Belastung extrem gestiegen, die Fachkräfte kämen schneller an ihre Grenzen, die Nerven lägen blank, die Frustrationstoleranz und das Verständnis füreinander sei gesunken, die Bereitschaft, neue Aufgaben zu übernehmen, gering. Der Grund unter anderem: der exorbitante Krankenstand mit einer Krankheitsquote von 20 bis 25 Prozent. „Es ist eine Ausgebranntheit, die wir in dieser Form bisher nicht kannten“, konstatierte Brändle. Das sei, ergänzte Renate Schmetz, von der Kommune auch nur zum Teil aufzufangen, an dieses Thema müssten dringend Landes- und Bundespolitik ran.

„Erschreckend deckungsgleich“, so Schmetz, seien die Ergebnisse mit den Resultaten einer deutschlandweiten Studie. Darin schlugen Wissenschaftler jüngst Alarm und warnten, dem System der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung drohe der Kollaps.