Während Kohlekraftwerke vom Netz gehen, nimmt der Ausbau von Wind- und Solaranlagen an Fahrt auf. Foto: imago/ stock&people

Wird der Umbau des Energiesystems nicht so teuer wie befürchtet? Eine neue Studie im Auftrag der EnBW enthüllt massives Einsparpotenzial. Widerspruch kommt von der Energieministerin.

Deutschland könnte drastisch Ausgaben beim Umbau des Energiesystems sparen. Das ergibt eine Studie der Energiemarktanalysten von Aurora Energy Research im Auftrag des Energiekonzerns EnBW. Ein Grund: Die Stromnachfrage steige weniger stark als von der Politik prognostiziert. Durch eine effizientere Umsetzung sowie einen bedarfsorientierten Ausbau der Erneuerbaren Energien und der Stromnetze könnten bis 2045 Kosten in Höhe von bis zu 700 Milliarden Euro eingespart werden, ohne dabei die langfristigen Klimaziele zu gefährden. Dadurch könnten die Strompreise potenziell niedriger gehalten werden.

 

Die Energiewende ist eine Mammutaufgabe – und Deutschland steckt mitten drin. Bis 2045 soll Klimaneutralität erreicht werden, was vor allem den Abbau von CO2-Emissionen im Energiesektor notwendig macht. Während immer mehr Kohlekraftwerke vom Netz gehen, nimmt gleichzeitig der Ausbau von Wind- und Solaranlagen an Fahrt auf. Doch damit ist es nicht getan: Die zunehmend auf erneuerbare Energien ausgerichtete, dezentrale Energieversorgung erfordert den Ausbau der Netze und den Bau flexibler Kraftwerke für die Zeiten ohne Wind oder Sonne.

Studie: Einsparpotenzial in Höhe von 700 Milliarden

Dieser Umbau des Energiesystems kostet Geld – und zwar eine Menge. Aber geht es auch billiger? „Ich darf sagen, dass mich das Thema schon seit meinem Amtsantritt beschäftigt“, sagte der EnBW-Vorsitzende Georg Stamatelopoulos am Mittwoch vor Pressevertretern in Berlin. „Das Thema Bezahlbarkeit leidet aktuell. Die Strompreise sind hoch für Haushalte und die Industrie. Das hört man fast jeden Tag.“ Einige Hebel, um Energie bezahlbar zu halten, liegen aus Sicht des EnBW-Chefs in den Händen der Politik – wie zum Beispiel die Reduzierung der Netzentgelte oder der Stromsteuer.

Die EnBW stehe in der Pflicht, Vorschläge zu machen, wie die Systemkosten der Energiewende so gering wie möglich gehalten werden können. „Das heißt nicht, dass die Stromkosten nicht einen direkten Einfluss auf die Strompreise haben“, betonte der Konzernchef. Die Autoren der Studie nennen mehrere Beispiele für Einsparpotenziale.

Weniger Windkraft auf hoher See soll mehr als 100 Milliarden sparen

Grundsätzlich müsse der Ausbau der erneuerbaren Energien, disponibler Leistung und Netze in hohem Tempo weitergehen. Aber: „Die Dimensionierung des Energiesystems muss sich am Strombedarf ausrichten. Dieser steigt laut zahlreichen Studien weniger stark als ursprünglich erwartet“, teilten das Unternehmen sowie der Konzern mit.

Kostensenkungen förderten die Akzeptanz der Bevölkerung, beschleunigten die Elektrifizierung und entlasteten die Volkswirtschaft, sagte EnBW-Chef Stamatelopoulos. Konkret sollten die Ausbauziele von Offshore-Windkraft von 70 Gigawatt um mindestens 15 Gigawatt reduziert werden, da die Netzanschlusskosten ab einer Kapazität von 55 Gigawatt sprunghaft stiegen. Allein dadurch ließen sich die Kosten um mehr als 100 Milliarden Euro reduzieren.

Blauer statt grüner Wasserstoff

Die geplanten Batterie-Kapazitäten sollten von 141 Gigawatt auf 70 Gigawatt halbiert und die vorgesehene Leistung von Elektrolyseuren deutlich von 50 Gigawatt auf 10 Gigawatt reduziert werden. Bei der Wasserelektrolyse in einem Elektrolyseur wird Wasser mit Strom in Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt. „Ich möchte keine Missverständnisse aufkommen lassen“, betonte Stamatelopoulos. „Auch mit diesen reduzierten Ausbauzielen sprechen wir nach wie vor von einem massiven Ausbau der Erneuerbaren und der Netze – und der ist auch absolut erforderlich“, fügte er hinzu.

Zugleich plädiert die Studie für den verstärkten Einsatz von blauem statt grünem Wasserstoff, weil dieser deutlich günstiger sei. Dies würde den Angaben zufolge etwa 36 Milliarden Euro sparen. Während grüner Wasserstoff aus erneuerbaren Energien klimaneutral erzeugt wird, wird blauer Wasserstoff aus Erdgas hergestellt. Das anfallende CO2 wird aufgefangen und gespeichert.

Die Technik gilt als kohlenstoffarm, aber nicht kohlenstoffneutral. Mit dem importierten blauen Wasserstoff sollten Gaskraftwerke betrieben werden, deren Leistung von 35 auf 55 Gigawatt ausgebaut werden sollte. So könnten die reduzierten Offshore-Wind-Kapazitäten ausgeglichen werden.

EnBW-Chef Stamatelopoulos richtete ernste Worte an die Politik. „Für diese Nachjustierungen haben wir nicht ewig Zeit“, sagte der Konzernlenker. 70 Prozent der Investitionen, die bis zum Jahr 2045 erforderlich seien, würden in den nächsten zehn Jahren stattfinden. „Wenn wir diese Korrektur nicht vornehmen, werden wir definitiv auf einem Pfad eingeloggt sein, der keine gute Bezahlbarkeit der Energieversorgung gewährleistet.“

Erste Reaktionen aus der Landespolitik zeigen: Nicht alle finden die Sparvorschläge der EnBW gut. Finanzminister Danyal Bayaz lobt sie als „guten Ansatz“. Energieministerin Thekla Walker hingegen warnt vor einer verlängerten Abhängigkeit von Erdgas durch eine verstärkte und längere Nutzung von blauem Wasserstoff. „Gas birgt unkalkulierbare Kostenrisiken. In naher Zukunft könnte uns neben Putin auch Trump mit Gas erpressen“, sagte die Ministerin. Sie plädierte dafür, blauen Wasserstoff nur für eine möglichst kurze Übergangszeit in Erwägung zu ziehen. „Grüner Wasserstoff macht uns unabhängiger von fossilen Machtspielen und Marktschocks“, so Walker.