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Wer nach Korsika reist, sollte genug Zeit mitbringen – für die enorme Vielfalt der Landschaft auf kleinsten Straßen, die Menschen, die ihre Insel nicht verkaufen, sondern teilen wollen und eine Fahrt mit der kleinen Rumpelbahn.

"Eine Insel mit zwei Bergen liegt im tiefen weiten Meer, mit viel Tunnels und Geleisen und dem Eisenbahnverkehr." So hat Konstantin Wecker Lummerland besungen, die kleine Insel von Jim Knopf und Lukas, dem Lokomotivführer. In Lummerland kann man auf dem Hosenboden vom Gipfel der Berge direkt ans Meer rutschen.

Schade eigentlich, dass man nicht nach Lummerland reisen kann. Aber möglich wäre doch, dass sein Erfinder, der Kinderbuchautor Michael Ende, dabei ein ganz reales Eiland vor Augen hatte. Sagen wir mal: Korsika. So klein wie Lummerland ist die französische Insel nicht, aber mit 180 Kilometern Länge und gut 80 Kilometern Breite ist sie auch nicht gerade riesig. Sie hat auch mehr als zwei Berge. 50 Gipfel sind höher als 2.000 Meter. Korsika ist ein Gebirge im Meer, und in ihrem Inneren schnauft und rumpelt ihr Herzstück über 232 Schienenkilometer mit unzähligen Tunnels, Brücken und Viadukten: die korsische Eisenbahn, spöttisch auch TGV Corse genannt, "Train à Grande Vibration". Jim Knopf würde das gefallen.

Die Hauptstrecke führt mitten durch die Bergwelt von Bastia nach Ajaccio. 930 Höhenmeter muss die Schmalspurbahn mit dem Motorensound eines voll beladenen Lkw dabei überwinden. Die Nebenlinie bringt den Reisenden in die Region Balagne nach Ile Rousse und von dort, am Meer entlang, nach Calvi – mit zahlreichen Stopps an kleinen Badebuchten und wilden Stränden. Doch die korsische Eisenbahn ist mehr als ein touristisches Abenteuer. Sie ist ein Identifikationsobjekt der Korsen. Mehrfach hat die Bevölkerung gegen ihre Stilllegung gekämpft, wie sie schon für so einiges gekämpft hat. Diesmal mit Erfolg.

Die Balagne, einst der Garten der Insel mit Oliven, Wein und Früchten, bevor Flächenbrände so viel fruchtbares Land vernichteten, war eine der widerständlerischen Ecken auf Korsika – ausgenommen Calvi. Man mag das zuerst nicht glauben angesichts seiner Zitadelle, dieses trutzigen Bollwerks, dessen mächtige, hohe Mauern heute noch rund 100 Menschen sowie die Fremdenlegion beherbergt. Doch über dem einzigen Zugang steht der Schwur "Civitas Calvi semper fidelis", die immer treue Stadt. Mehr als 500 Jahre hielt Calvi ihrer Besatzungs- und Schutzmacht Genua die Treue – bis zum bitteren Ende, als die Seerepublik 1769 Korsika an Frankreich verkaufte. Gegenwind kam allerdings vom wenige Kilometer entfernten Ile Rousse, gegründet von einem gewissen Pascal Paoli, um den Genuesern die Stirn zu bieten und für die Unabhängigkeit zu streiten. Er war der erste Freiheitskämpfer der Insel, bis heute gefeiert als Nationalheld und Vater der korsischen Nation.

Im Wissen um die dramatische Geschichte, die bis in die jüngste Vergangenheit hinein nachhallte, die Schönheit dieser Region zu erkunden, ist dennoch ein großes Vergnügen. Nehmen wir also die kleine korsische Rumpelbahn, um damit auf Reisen zu gehen. Start ist Ile Rousse, dessen vorgelagerte kleine Insel aus rotem Granit mit dem Genueser Wachturm Namensgeber des Städtchens war. Bevor man in den Zug steigt, sollte man jedoch den Markt besucht haben. Jeden Vormittag wird in der offenen historischen Markthalle mit ihren 21 Säulen Obst und Gemüse aus der Region feil geboten, Wildschweinsalami, Schinken und der Fang der Nacht aus dem Meer. Das würzige Aroma von korsischem Käse hüllt Stände, Menschen und Steine ein, ein Aroma, das sich ins Gedächtnis brennt wie eine glückliche Erinnerung.

Auf der einstündigen Fahrt nach Calvi lockt auf der einen Seite das Meer mit einer Perlenkette schöner Strände, während sich das Hinterland sofort auf 1.000 Höhenmeter und mehr hinaufschwingt – für Radfahrer eine echte Herausforderung. Der Zug stoppt am Surfertreff Algajola ebenso wie an der Plage de la Restitude mit ihren Felsen und dem feinen Sand. Manchmal heißt ein Strand wie ein Dorf in den Bergen. Dann gehört er dieser Gemeinde, die wie viele andere im Hinterland in den Küstentourismus eingebunden ist und somit auch ein Stück vom Kuchen abbekommt. Die Badehose sollte man ohnehin immer dabei haben auf Korsika. Nicht nur, weil man vom Berg quasi auf dem Hintern ans Meer rutschen kann. Überall stößt man auf Bäche und Wasserfälle, Gumpen und Buchten.

Während unten an der See sieben Winde den Geruch von Salz und Fisch und heißer Wüste mit sich tragen, liegt über den Hügeln und Bergen ein Potpourri aus Thymian, Lavendel, Wacholder und Myrte, würzig und sehr süß zugleich. Eine Tour über die Bocca di a Barraglia auf 1.100 Metern oberhalb des Bergdorfes Speluncatu, wo sich das Leben an einem Samstagmorgen um den Dorfbrunnen herum abspielt, ist in jedem Fall lohnenswert. Wenig befahrene Bergsträßchen winden sich durch schattige Buchen- und Kastanienwälder und struppige Macchia, und der Blick gleitet, wenn Nebelschwaden ihn nicht vorübergehend trüben, ohne Hast über Täler und Dörfer, die zum Teil wie Adlerhorste auf Felsen sitzen.

Hat man auf einen Badestopp unterwegs verzichtet, ist bei der Ankunft in Calvi immer noch Zeit für eine Abkühlung im Meer am fünf Kilometer langen Stadtstrand. Wenn die Sonne dann langsam die Hitze des Tages mit sich nimmt, ist die Zeit gekommen für einen Stadtbummel oder einen Cap Corse, den korsischen Aperitif, am Quai Landry, der belebten Hafenpromenade. Im Yachthafen liegen Boote wie in Saint Tropez, und wer sich fragt, was für Menschen da wohl dazu gehören, muss abends ins Tao gehen. Das Tao liegt in den Mauern der Zitadelle. Tagsüber hat man von da oben einen unvergleichlichen Blick über die Bucht von Calvi, in der die vielen weißen Yachten wie Schaumkronen auf dem Meer tanzen, und die Halbinsel Revellata, die bis heute nicht bebaut werden darf. Nachts erwachen diese Mauern mit Livemusik zum Leben, und der Champagner fließt in Strömen. Die Bar mit Außenterrasse und mehreren Räumen, einer Mischung aus Gewölbe und Palazzo, ist der Hotspot in Calvi. Das Sympathische dabei: Es kostet weder Eintritt noch gibt es Türsteher. Hier tummeln sich Yachtbesitzer und Campingtouristen. Schick ist es, natürlich, ausgelassen, knallvoll – vor allem nach Mitternacht – und nicht gerade billig. Dafür ist der Blick auf die nächtliche Bucht von Calvi von einem der Balkone aus inklusive – und unbezahlbar.

InfoAnreise: Germanwings (http://www.germanwings.com) fliegt zweimal die Woche von Stuttgart nach Bastia. Tuifly (http://www.tuifly.com) fliegt jeden Donnerstag ab dem Allgäu Airport Memmingen nach Calvi, Germania (http://www.flygermania.de) startet sonntags. Alternativ nimmt man Auto und Fähre ab Piombino oder Livorno (zum Beispiel Corsica Ferries, http://www.corsica-ferries.de).

Veranstalter: Spezialist in Sachen Korsika mit einem umfangreichen Programm ist der österreichische Veranstalter Rhomberg Reisen (Telefon 00 43 / 55 72 / 2 24 20 52, http://www.rhomberg-reisen.com). Das firmeneigene Feriendorf Zum Störrischen Esel mit Bungalows und feststehenden Zelten kann als Pauschalpaket (Flug, Unterkunft, Halbpension) gebucht werden. Ebenfalls ideal für Familien ist das Familien-Erlebniscamp am Golf von Sagone – ein Angebot von Windbeutel Reisen (Telefon 02 21 / 9 49 90 33, http://www.windbeutel-reisen.de) mit eigenem Zelt, Halbpension und vielen Aktivitäten; 553 bis 613 Euro pro Person für zwei Wochen ohne Anreise, Kinder ermäßigt.

Allgemeine Auskünfte: France Guide, Tel. 09 00 / 1 57 00 25 (49Cent/Min.), http://www.franceguide.com.