Rebecca Linsenmann hat sich in Peru bereits gut eingelebt. Foto: privat

Die Kornwestheimerin Rebecca Linsenmann lebt für ein Jahr in einer Gastfamilie in Peru.

Kornwestheim/Lima - Das Ludwigsburger Goethe-Gymnasium hat sie für ein Jahr gegen die John-Nash-School in Lima eingetauscht, deutsche Ordnung gegen Straßen, die „unfassbar voll, unfassbar unsortiert und unfassbar dreckig“ sind, wie sie in ihrem Blog schreibt. Rebecca Linsenmann verbringt ein Austauschjahr in Peru. Wir haben mit der 16-jährigen Gymnasiastin aus Kornwestheim telefoniert.

Rebecca, wie ist das Klima in Lima?

Im Moment ist es ziemlich heiß, weil es hier auf den Sommer zugeht. Man trägt T-Shirt und kurze Hosen, für die Weihnachtszeit ist das für mich schon sehr ungewohnt.

Von deutscher Weihnachtsseligkeit also keine Spur.

Absolut.

Fehlt dir was?

Weihnachtsmärkte auf jeden Fall und echte Tannenbäume.

Wie macht sich das bevorstehende Weihnachtsfest in Peru im Straßenbild bemerkbar?

Hier gibt’s eine große Stadtautobahn, über die Fußgängerbrücken führen. Die wurden weihnachtlich dekoriert. Ansonsten macht sich das im Stadtbild kaum bemerkbar. Aber die Geschäfte im Stadtzentrum sind auf Weihnachten eingestellt.

Weißt du schon, wie ihr in der Gastfamilie Weihnachten feiern werdet?

Das ist ähnlich wie in Deutschland. Wir werden Zeit zusammen verbringen, es wird Geschenke geben.

Was gibt’s zu essen?

Truthahn, soviel ich weiß, das ist hier Weihnachtstradition.

Wir erwischen dich in den Sommerferien. Was macht eine Austauschschülerin in den Sommerferien in Peru?

Im Moment gar nicht so viel. Ich werde aber noch mit meiner Gastfamilie reisen und einige Städte anschauen, und ASF, die Organisation des Schüleraustausches, hat ein Programm vorbereitet.

Warum hast du dir gerade Peru als Austauschland ausgesucht?

Ich wollte auf jeden Fall nicht in Europa bleiben, weil ich etwas komplett Neues, eine andere Kultur erleben und erfahren wollte. Und Lateinamerika war schon länger ein Traum.

Und: Ist es eine völlig andere Kultur?

Sie ist völlig anders – in fast jeder Hinsicht. Zum Beispiel steht die Familie viel mehr im Zentrum als bei uns, und das das ganze Leben lang.

Wie sieht’s mit deinem Spanisch aus?

Es wird langsam. Es hat einiges mit Französisch gemeinsam, sodass ich von Anfang an viel verstanden hab. In der Schule und mit meiner Gastfamilie komme ich auch mit Englisch recht weit. Das ist leider auch eine Bequemlichkeit. Ich spüre auf jeden Fall, dass sich mein Spanisch seit einigen Wochen deutlich verbessert.

Wie ist das, in einer völlig neuen Familie zu leben und mit ihr den Alltag zu teilen?

Zuerst war’s ungewohnt, und ich habe mich komplett umstellen müssen. Aber auch die Familie hat sich auf mich einstellen müssen, weil wir teils andere Werte und Gewohnheiten haben. Es ist auf jeden Fall interessant, sich darauf einzulassen.

Was ist anders?

Ich habe mich zum Beispiel daran gewöhnen müssen, dass hier den ganzen Tag der Fernseher läuft. Es entsteht dadurch eine ganz andere Gesprächskultur. Das gemeinsame Essen zum Beispiel wird weniger zum Gespräch und zum Austausch genutzt.

Was kommt beispielsweise beim Frühstück oder Mittagessen auf den Tisch?

Morgens gibt’s zumeist Weißbrot – vor allem mit Marmelade oder Avocado. Warmes Essen ist meistens etwas mit Huhn, es gibt zu fast allem Reis, aber auch viel Gemüse. Auf jeden Fall sehr lecker!

Deinem Blog habe ich entnommen, dass du auch schon ein Erdbeben erlebt hast. Wie war das?

Plötzlich fing alles an zu wackeln. Wir sind auf die Straße hinausgegangen, aber es war relativ schnell vorbei. Es war kein starkes Erdbeben.

Kann man sich in der peruanischen Hauptstadt als junge, deutsche Austauschschülerin frei bewegen?

Es ist nicht ganz einfach – schon allein deshalb, weil es nicht so einen öffentlichen Personennahverkehr gibt wie in Deutschland. Da wünsche ich mir sogar manchmal die Deutsche Bahn zurück. Weil ich völlig anders aussehe als die einheimische Bevölkerung und natürlich auch nicht so gut Spanisch spreche, gibt es da schon ein relativ großes Unsicherheitsgefühl.

Was ist Lima für eine Stadt?

Lima hat zehn Millionen Einwohner, ist also richtig groß. Es gibt ein großes Zentrum mit vielen Geschäften, aber auch in der Peripherie sind immer wieder Einkaufszentren. Es gibt unendlich viele Wohngebiete, aber natürlich auch einen touristischen Bereich.

Du musst Schuluniform tragen. Wie sieht sie aus, und was ist das für ein Gefühl?

Die Schuluniformen sehen landesweit gleich aus, nur in den Farben unterscheiden sie sich von Schule zu Schule. Zum einen haben wir eine Sportuniform, das ist ein Jogginganzug. Und dann gibt’s die normale Uniform mit Bluse und Rock für die Mädchen oder Hose und Hemd für die Jungen. Wie finde ich das? Einerseits ganz gut, weil Peru ein Land ist, in dem die sozialen Unterschiede sehr groß sind. Durch die Uniformen werden sie nicht sichtbar, das ist ein großer Vorteil. Für mich war es anfangs auch deshalb leichter, weil ich mich zumindest darin nicht von den anderen Schülern unterschieden habe. Aber andererseits ist’s auch schwierig, weil die Uniformen die Individualität ziemlich beschneiden.

Schulunterricht ist in Peru völlig anders als in Deutschland?

Ja, auf jeden Fall. Wobei ich sagen muss, dass der Unterricht von Schule zu Schule ganz unterschiedlich ist. An der Schule, die ich besuche – das ist eine Privatschule –, gibt es hauptsächlich Frontalunterricht. Selbstständig arbeiten, selbst nachdenken – das müssen wir eher selten. Es ist viel abschreiben und auswendig lernen. Der Schultag dauert von halb acht am Morgen bis 15.10 Uhr.

Was weiß man in Peru über Deutschland?

Nur wenig – vom Zweiten Weltkrieg abgesehen, der hier ab und zu ein Thema ist. Meine Gastfamilie fragt mich häufiger mal nach Gewohnheiten, aber ansonsten kommen nicht viele Fragen.

Du bist jetzt vier Monate in Peru. Was hat sich für dich geändert, wie hast du dich verändert?

Geändert hat sich auf jeden Fall meine Wahrnehmung von Wohlstand. Ich hatte zuvor nicht das Gefühl, im Vergleich zu anderen Menschen im Luxus zu leben. Inzwischen weiß ich viel deutlicher, wie gut es uns in Deutschland geht. Wir haben bei einem Weihnachtsprojekt die Slums besucht, das hat mich wirklich beeindruckt – zum Beispiel, wie man dort auf jeden Tropfen Wasser achten muss.

Was habt ihr bei diesem Weihnachtsprojekt gemacht?

Wir haben Geschenke verteilt. Wir sind mit einer Gruppe von rund 20 Freiwilligen dorthin gefahren, haben mit den Kindern heiße Schokolade getrunken, was in Peru – trotz der hohen Temperaturen – eine Tradition ist, und haben Spielsachen verteilt, die wir gebraucht bekommen haben, Bälle und Süßigkeiten.

Was vermisst du dort in Peru?

Tatsächlich die Freiheiten – einfach mal rausgehen und mit anderen etwas machen, Gespräche über Politik, weil das Interesse daran hier in meiner Generation nicht sehr ausgeprägt ist. Und auch das Fördern von Individualität und die Akzeptanz von Anderssein.

Lateinamerika – das verbinden wir in Deutschland in der Regel nur mit Unruhen, mit Putschen, mit Kriminalität. Haben wir eine verzerrte Wahrnehmung?

Nein, tatsächlich ist Peru eines der wenigen Länder, das in einem relativ stabilen Zustand ist. Wir bekommen hier aus den Nachbarregionen auch nur schlechte Nachrichten. In Peru leben viele Venezolaner und sind auch im Alltagsbild sichtbar, die ihr Land verlassen haben, weil sie dort keine wirtschaftliche Perspektive haben.

In Deutschland ist – gerade in deiner Generation – der Klimawandel eines der beherrschenden Themen. Ist das in Peru auch der Fall?

Überhaupt nicht. Mir ist es nur einmal begegnet, als ein peruanisches Forschungsschiff in die Antarktis aufgebrochen ist und der Präsident das in einer Rede erwähnt hat. Verhaltensänderungen wegen des Klimawandels sind auch kein Thema. Für mich ist das erstaunlich.

Rebecca, vielen Dank für das Gespräch und schöne, nicht ganz so heiße Weihnachten.