Da lang! Martin Lühning will sich im Sommer die 2000 Kilometer nach Riga vornehmen. Beim Radfahren ist auch Sohn Benjamin ab und zu dabei (Foto unten rechts). Foto: privat

Martin Lühning will im Sommer nach Lettland radeln – und dabei Spenden sammeln.

Kornwestheim - Natürlich beobachtet Martin Lühning die politische Lage ganz genau. Die derzeitige Situation um einen möglichen russischen Einmarsch in die Ukraine könnte – wenngleich sie sowieso Auswirkungen auf die ganze Welt hat – auch ihn unmittelbar betreffen. Denn Lühning, 48 Jahre alt und wohnhaft in Weiler zum Stein (Rems-Murr-Kreis), will radeln, etwa 2000 Kilometer in einer Woche. Seine Tour soll ihn im Sommer gen Osten in die lettische Hauptstadt Riga führen. Dass das Vorhaben im Falle eines Krieges wohl unrealistisch ist, weiß er. „Ich habe drei Gegner“, sagt Lühning, Inspektionsleiter bei der Waiblinger Kriminalpolizei, „natürlich die Coronalage, dann eine mögliche Krankheit oder ein Unfall und eben die Umstände in der Ukraine.“

Alles andere wird ihn nicht daran hindern können, am 29. Juni frühmorgens aufzubrechen. Er wird sich mit Sack und Pack auf sein sogenanntes Gravelbike schwingen und losfahren. „Ein Gravelbike hat einen Rennradrahmen, aber etwas breitere Reifen“, erklärt Lühning, der eigentlich eher seine Carbon-Rennmaschine bevorzugt. Die eignet sich zwar für gut geteerte Wege, auf seiner Reise ins Baltikum rechnet er jedoch mit stellenweise ziemlich holprigem Untergrund. „In Polen zum Beispiel will ich die Straßen möglichst meiden, aus Sicherheits- und Landschaftsgründen. Das wäre mit dem Rennrad eine Tortur.“ Derzeit denkt er noch über die entsprechende Bereifung seines Gravelbikes nach – feine Noppen oder Stollen. „Da finde ich sicherlich noch etwas“, sagt der passionierte Radfahrer, der auch schon Erfahrung auf langen Strecken gesammelt hat.

Radtour soll Spenden bringen

Martin Lühning aus Weiler zum Stein will also nach Riga radeln. Und was hat die Sache mit dem Kreis Ludwigsburg oder gar mit Kornwestheim zu tun? Viel mehr als man denkt. Lühnings Aktion hängt unmittelbar mit dem Verein 46Plus Down-Syndrom Stuttgart zusammen, der schon seit vielen Jahren eng mit dem SVK verbandelt ist. Die Sportgruppe trainiert jeden Donnerstag in der Hannes-Reiber-Halle. Mit dabei ist dann auch Lühnings Sohn Benjamin. Der 13-Jährige hat ebenfalls das Down-Syndrom – und wäre 2021 als Teilnehmer bei den Special Olympics dabeigewesen. Der Verein besucht regelmäßig mit seinen Sportlern solche Großveranstaltungen. Im vergangenen Jahr ging das aufgrund der Corona-Pandemie nicht.

Nur: Solche Aktionen sind stets mit einem großen finanziellen Aufwand verbunden. Verpflegung, Startgebühren, Reisekosten für die Eltern – die Betreuer sind allesamt ehrenamtlich tätig. Und genau hier setzt Martin Lühning an. Mit seiner Radtour will er Geld sammeln, damit der Verein in diesem Jahr 20 jungen Teilnehmern die Fahrt zu den Special Olympics ermöglichen kann, die in Mannheim steigen. 8000 Euro sollen es am Ende werden, wenn es gut läuft sogar mehr. „Mit 1000 Euro pro Tag habe ich mir eine Hausnummer gesetzt“, sagt er.

Das Geld geht an Kinder mit Downsyndrom

Nun heißt das nicht, dass er während seiner Tour anhält und Menschen nach Spenden fragt. Lühning hat auf der Online-Plattform betterplace.org eine Kampagne gestartet, unter dem Titel „#46PLUSgoesRIGA“. Stand Dienstagnachmittag sind nach 31 Spenden bereits 19 Prozent der veranschlagten Summe zusammengekommen. „Jeder Cent geht an die Sportgruppe“, stellt Lühning klar, „ich will damit ja nicht mein Freizeitvergnügen finanzieren.“

Wobei Riga, das gibt er gerne zu, ein länger gehegter Traum ist. „Ich war in meinem Leben noch nie östlich von Berlin“, sagt er. Ihm schwebt vor, auf seiner Radtour die Kurische Nehrung zu besuchen – eine schmale Halbinsel, deren nördlicher Teil zu Litauen gehört. Die südlichen 46 Kilometer allerdings liegen vor der russischen Enklave Kaliningrad. Es bräuchte also ein separates Visum. Und das zu bekommen, ist dieser Tage nicht mehr so einfach. „Viel Gelegenheit zum Sightseeing wird es aber sowieso nicht geben“, sagt Lühning, der sich über diesen Teil der Route selbst noch nicht ganz im Klaren ist. Möglicherweise muss er sich weiter östlich halten.

Von Seattle nach San Diego geradelt

Für die Fahrt rechnet der Polizist mit einem Stundenschnitt von 20 Kilometern. „Das ist gut erreichbar, ich war auf anderen Touren nie langsamer“, sagt er. Lühning weiß, von was er spricht. Im Alter von elf Jahren ist er mit seinen Eltern nach Hamburg geradelt. „Das ging damals von Hotel Garni zu Pension“, erinnert er sich. Zwei Jahre später, 1984, ging es mit dem Rad, mit Zelt und Schlafsack über die Alpen bis zur Stiefelspitze Italiens. Und 1996 radelte Martin Lühning mit seinen Eltern an der Westküste der USA entlang, von Seattle bis nach San Diego. „Das war ein Highlight“, sagt er.

Irgendwann geriet das Fahrradfahren in den Hintergrund, es kam der Nachwuchs – neben Benjamin hat Lühning noch die elfjährige Tochter Maja –, außerdem absolvierte er eine Zusatzausbildung bei der Polizei. Dann aber, vor rund drei Jahren, ging es wieder los. „Unter anderem habe ich einen Kumpel aus Studienzeiten mit dem Fahrrad in Hamburg besucht.“ Mit einem Abstecher nach Leipzig kamen dabei in vier Tagen 900 Kilometer zusammen.

Abstand von der Familie

Und diese „Hummeln im Hintern“, wie Lühning selbst sagt, hat er sich bewahrt. Möglich wird die Tour ins Baltikum übrigens auch aufgrund einer familieninternen Regelung. Jedes Jahr dürfen sich sowohl Martin Lühning als auch seine Ehefrau eine Woche „frei“ nehmen. Das heißt: Jeweils ein Partner darf unternehmen, was er möchte, ohne den jeweils anderen, ohne die Kinder, ganz für sich. Er radelt, die Gattin widmet sich dem Reiten.

Nur: Eine Woche reicht vielleicht für die reine Fahrt. Ohne knallhartes Training vorab funktioniert es aber nicht. Wenn es das Wetter zulässt, ist Lühning in Richtung Nordosten unterwegs, in den Schwäbischen oder den Fränkischen Wald. „Auch bei uns im Remstal gibt es ideale Rennradbedingungen“, fügt er hinzu. In den Wintermonaten ist er aber eher zuhause unterwegs: Auf einem Smart-Trainer, das Hinterrad seines Gravelbikes auf einer Rolle. „Das fordert ganz schön, ich mache das an vier bis fünf Tagen in der Woche für ein bis zwei Stunden“, sagt Lühning.

Alternative noch nicht geplant

Viereinhalb Monate sind es noch bis zum Starttermin. „Über eine Alternativroute habe ich mir bisher keine Gedanken gemacht“, bekräftigt er sein Vorhaben. Die Hotels sind zwar noch nicht gebucht, sehr wohl aber der Rückflug via Warschau. Mithilfe von Planungs-Apps könne man eine Ausweichstrecke aber sicher schnell finden. „Wenn alle Stricke reißen, beschäftige ich mich 14 Tage vorher damit“, sagt er – hofft aber, dass das nicht notwendig sein wird.

Verein, Sportgruppe und weitere Informationen

Verein
 Der Verein 46Plus Down-Syndrom Stuttgart wurde 2003 gegründet, um rund um das Down-Syndrom zu informieren, um Vorurteile und Berührungsängste abzubauen und um Familien Mut zu machen. In Deutschland kommen jährlich etwa 1200 Kinder mit Down-Syndrom, auch Trisomie 21 genannt, zur Welt. „Trisomie 21 ist eine Genveränderung, aber keine Krankheit“, hebt der Verein auf seiner Internetseite hervor.

Sport
 Das Sportprojekt FIT (das steht für Förderung, Inklusion, Training) ist eine Zusammenarbeit zwischen dem Verein 46Plus und dem SV Kornwestheim. Hier trainieren Jugendliche mit und ohne geistige Beeinträchtigung miteinander. Aber auch Teilnahmen an Wettkämpfen sind das Ziel des Trainings, ebenso gibt es regelmäßig inklusive Fußballcamps in Kooperation mit dem VfB Stuttgart.

Information
 Weitere Informationen über Verein, Angebot, Sportgruppe und auch Martin Lühnings Radtour finden sich online auf www.46plus.de.