Im Interview: Kornwestheims Oberbürgermeisterin Ursula Keck. Foto: Mateja fotografie

Zum Ende eines denkwürdigen Jahres steht die Kornwestheimer Oberbürgermeisterin im Interview Rede und Antwort.

Kornwestheim - Na klar: Am Thema Corona führt auch im Silvesterinterview mit Oberbürgermeisterin Ursula Keck kein Weg vorbei. Wie schätzt sie die Lage ein? Wie hat das Virus die Stadt verändert? Aber es geht nicht nur um die Corona-Pandemie. Wie geht’s weiter mit der Ravensburger Kinderwelt? Welche Pläne hat die Oberbürgermeisterin für die Innenstadt? Auch dazu steht Ursula Keck Rede und Antwort.

Frau Keck, das Jahr 2020 war für Sie besonders entspannt, weil’s keine Fassanstiche, Ehrungen und Feierstunden gab? Oder sind Sie ob der neuen Herausforderungen am Ende des Jahres erschöpft?

Weder das eine noch das andere. Wir haben uns auf die Bewältigung der Aufgaben konzentriert, die im Zusammenhang mit der Coronakrise zu erledigen waren. Das ist nach meiner Einschätzung auch sehr gut gelungen. Die Veranstaltungen, die nicht stattgefunden haben, habe ich sehr vermisst.

Was hat sich in der Arbeit für Sie geändert?

Ich arbeite viel mehr vom Rathaus aus. Es gab viel weniger Außenkontakte, viel weniger Termine – das war für mich die größte Veränderung.

Machen Sie auch Homeoffice? Und sind Sie ein Homeoffice-Typ?

Mobiles Arbeiten war auch für mich immer wieder angesagt, aber wenn ich ehrlich bin: Ich arbeite lieber im Rathaus. Da habe ich meine Unterlagen, mein Arbeitsmaterial, meine Infrastruktur, da kann ich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kontaktieren, wenn ich Rückfragen habe. Wenn ich Reden schreibe oder Schriftstücke entwerfe, dann mache ich das auch gern in meiner häuslichen Umgebung.

Die Kommunen sind in Sachen Corona am Ende der Befehlskette. Waren Sie mit all dem einverstanden, was Sie haben umsetzen müssen?

Nein, nicht mit allem. Aber es war und ist für mich wichtig, die Entscheidungen von Bund und Ländern gemeinsam zu tragen und sie gemeinsam in der Öffentlichkeit umzusetzen.

Womit waren Sie nicht einverstanden?

Mir fiel es schwer, beim leichten Lockdown die Gastronomie zu schließen. Gerade dieser Bereich hatte die Hygienevorschriften gut umgesetzt und viel investiert.

Wie lief insgesamt die Kommunikation zwischen Bund und Ländern auf der einen Seite und den Kommunen auf der anderen?

Die Verordnungen haben uns sehr häufig freitags am späten Abend oder in der Nacht erreicht. Da hätte ich mir gewünscht, dass sie früher auf den Weg gebracht worden wären. Die Verordnung für den harten Lockdown hatten wir am Sonntag noch nicht vorliegen. Man hätte die Kommunen besser einbinden können.

Hätten Sie gern an entscheidender Stelle an der Erarbeitung der Strategien und Vorgaben zur Eindämmung der Pandemie mitgewirkt?

Ich habe die Politik dafür bewundert, dass sie sehr konsequent, länderübergreifend und mutig ihre Entscheidungen getroffen hat. Ich weiß auch aus meinem kleinen Bereich, wie schwer es sein kann, sich auf eine Linie zu verständigen.

In Berlin wird viel übers Geld gesprochen, in Kornwestheim zuletzt weniger. Wenn Sie zum Ende des Jahres auf den Haushalt schauen: Wie wird sich die Pandemie auswirken?

Lassen Sie mich zunächst noch auf den Bund schauen: Ich bin nicht zufrieden damit, wie in Berlin mit der finanziellen Bewältigung der Pandemie umgegangen wird und in welch hohem Maße Subventionen gewährt werden. Sie werden uns noch Jahre, vermutlich sogar Jahrzehnte belasten. Wir in Kornwestheim profitieren von den Ausschüttungen, wir bekommen unter anderem 50 Prozent der ausbleibenden Gewerbesteuern und einen Teil der Kindergartengebühren, die Eltern erlassen wurden, ersetzt. Wo wir derzeit stehen und wie sich die Situation entwickelt, das ist allerdings nur ganz schwer vorherzusehen. Ich gehe davon aus, dass wir mit einem blauen Auge davonkommen.

Muss die Stadt noch einmal in einen umfassenden Sparprozess eintreten?

Davon gehe ich nicht aus. Wir haben den Sparprozess bereits hinter uns und sind in vielen Bereichen konsolidiert. Wir haben viele Ausgaben schon gestrichen oder reduziert, das macht es uns jetzt leichter, durch diese schwere Zeit zu kommen.

Das heißt: All das, was die Stadt sich vorgenommen hat, kann sie sich leisten? Sie wollen 60 Millionen Euro in die Neuordnung der Schullandschaft investieren.

Für mich ist völlig klar, dass wir mit der Planung und Umgestaltung neuer Schulgebäude beginnen. Für mich ist aber auch klar, dass wir uns in einem soliden Standard bewegen müssen und uns nicht in Wunschlisten verlieren dürfen. Wir müssen darauf achten, dass wir schon bei der Planung an die späteren Unterhaltungskosten der Gebäude denken.

Ein Schlag ins Kontor dürfte Corona für die Ravensburger Kinderwelt gewesen sein. Die Zahlen waren ohnehin nicht gut, jetzt fallen auch noch die einkalkulierten Einnahmen weg. Was kommt auf die Stadt zusätzlich zu und wie geht’s 2023, wenn der Mietvertrag ausläuft, weiter?

Der Verlust wird sich neben dem jährlichen Betriebskostenzuschuss auf 260 000 Euro belaufen. Wichtig ist, dass wir für die Kinderwelt wegen der Corona bedingten Einnahmeausfälle eine Förderung bekommen. Wir müssen, da stehe ich beim Gemeinderat im Wort, rechtzeitig vor dem Auslaufen des Mietvertrages überlegen, wie es weitergeht.

Haben Sie schon eine Idee?

Die habe ich, aber die werde ich in diesem Interview nicht preisgeben, weil ich mich zunächst mit dem Gemeinderat abstimmen möchte.

Gäbe es überhaupt eine Alternative zu einem Ausstieg? Die Stimmungslage ist derzeit doch so, dass nahezu alle auf ein Ende drängen.

Da gebe ich Ihnen Recht. Aber es ist doch auch die Frage, was sich der Gebäudeeigentümer vorstellt. Und auch den müssen wir in die Pflicht nehmen und nach seinen Ideen fragen.

Könnten Sie sich vorstellen, dass die Stadt das Wette-Center erwirbt, um die Entwicklung dieses Eingangstors in die Innenstadt besser steuern zu können?

Diese Frage wurde in den vergangenen Jahren immer wieder diskutiert. Was man wissen muss: Die Eigentümer der benachbarten Stadthäuser haben eine Grunddienstbarkeit für ihre Dachterrassen. Das Gebäude kann also nicht abgerissen werden. Deshalb ergibt es für uns nur dann einen Sinn, das Center zu kaufen, wenn es eine gute Nutzungsidee gibt.

Die Fraktionen überschlagen sich gerade mit Konzeptionen und Ideen für eine Weiterentwicklung der Innenstadt. Muss sich dort überhaupt etwas tun?

Es ist wichtig, dass wir die Situation in der Innenstadt verbessern. Das Angebot in den Geschäften wurde von unserer Bevölkerung in der Corona-Pandemie wieder viel mehr geschätzt. Die Menschen entdecken wieder das Einkaufen vor Ort für sich. Der Gemeinderat muss sich meiner Ansicht nach zu allererst auf eine Linie verständigen und auf das Wesentliche konzentrieren. Keine der Konzeptionen ist derzeit konsensfähig.

Was meinen Sie mit dem Wesentlichen?

Die Hauptfrage und der eigentliche Streitpunkt ist: Bleibt der Verkehr in der Innenstadt? Diese Frage müssen wir zuerst beantworten – auch um zu wissen, wie wir die Güterbahnhofstraße sanieren wollen, ob sie eine Fußgängerzone wird oder nicht. Die Parkprobleme in der Bahnhofstraße sind darauf zurückzuführen, dass es einen Mischverkehr gibt, der so bei der Sanierung nicht geplant war. Wir haben damals die Gestaltungsmaßnahmen so entwickelt, dass es in der Innenstadt einen sehr eingeschränkten Autoverkehr geben wird oder auf den Durchfahrtsverkehr ganz verzichtet wird.

Wenn Sie allein entscheiden dürften: Innenstadt mit oder ohne Autoverkehr?

Für mich ganz klar ohne Autoverkehr: Wir haben ein Parkhaus unter dem Holzgrundplatz, von hier aus kann alles bequem erreicht werden. Ohne Autos könnten wir dem Radverkehr mehr Raum geben. Es würde die Aufenthaltsqualität deutlich steigern, wenn wir auf den Autoverkehr in der Innenstadt verzichten.

Ist die Innenstadt mit Geschäften, Cafés und Restaurants nicht zu gering besetzt und zu unattraktiv, als dass dort das Flanieren und Bummeln Spaß machen könnte?

Aber es ist doch immer die Frage, womit wir beginnen: mit der Attraktivierung des öffentlichen Raums oder mit dem Suchen nach Geschäften und Gastronomie? Wenn wir uns dafür entscheiden, dass wir eine hohe Aufenthaltsqualität wollen, dann müssen wir dazu die erforderlichen Entscheidungen treffen. Nur so können wir Einzelhändler binden und neue Anbieter gewinnen.

Kornwestheim hat so wenige Freiflächen und ist so stark besiedelt wie kaum eine andere Stadt. Ist man in der Vergangenheit übers Ziel hinausgeschossen oder tut man es jetzt mit der Ausweisung von neuen Baugebieten, zum Beispiel an der Zügelstraße?

Kornwestheim liegt innerhalb des Stuttgarter Ballungsraums, da gibt es weniger Grün- und Erholungsflächen. Trotzdem schaffen Sie es als Kornwestheimerin oder Kornwestheimer, relativ schnell im Grünen zu sein. Beim Spaziergang oder Radfahren denke ich doch nicht in Markungsgrenzen. Wir bewegen uns immer im Spannungsfeld zwischen der Urbanität, die wir genießen wollen, und den Freiflächen, die ebenso benötigt werden. Da gilt es die richtige Balance zu finden.

Ich denke beim Radfahren zwar nicht in Gemarkungsgrenzen, aber sehr wohl beim Blick aus dem Fenster oder wenn ich mich in der Stadt bewege, beim Einkauf oder beim Weg zur Arbeit. Und da scheinen sich immer mehr Menschen unwohl zu fühlen.

Ich sehe aber nicht nur den Geschosswohnungsbau in Kornwestheim, sondern auch viele Gärten, Parks und Grünzonen. Wenn ich mich dafür entscheide, in der Stadt zu leben, dann ist das mit einer höheren Baudichte verbunden.

34 000 Einwohner ist mal als Zielgröße genannt, aber nie schriftlich fixiert worden. Zählt dieses Ziel nicht mehr?

In einer Klausurtagung des Gemeinderats im Jahr 2014 haben wir uns bewusst dafür entschieden, keine bestimmte Einwohnerzahl als Zielgröße festzuschreiben, weil wir uns nicht binden wollten. Aber es stimmt: Diese Zahl ist diskutiert worden.

Wäre es nicht klug, eine solche Zielgröße oder Grenze festzusetzen – sei es als Einwohnerzahl oder als Prozentwert für die versiegelte Fläche?

Ich sehe die Problematik, dass die Stadtfläche hochverdichtet ist und wir wenig Freiflächen haben. Aber ich sehe auch die Brachflächen – zum Beispiel auf dem Bahngelände. Da gibt es noch ein hohes Potenzial. Nehmen Sie nur das frühere Areal des Autoreisezuges an der Eastleighstraße. Darauf sollten wir unser Augenmerk richten. Es ist nicht nur die Einwohnerzahl entscheidend, sondern auch die Aufwertung von Brachflächen.

Wird Corona den Wohnungsmarkt verändern? Experten prophezeien, dass es die Menschen wieder mehr in die Region ziehen wird, weil sie auch von zuhause aus arbeiten können.

Da müsste ich in die Glaskugel schauen. Ich kann es Ihnen nicht sagen. Es spricht einiges dafür, aber Experten sagen auch, dass sich im Großraum Stuttgart am Wohnungsbedarf nichts ändern wird.

Die Pattonviller glaubten, dass ihr Stadtteil fertig aufgesiedelt ist. Jetzt kommen Sie mit 31 Wohnungen über einem Kita-Bau um die Ecke, von denen bisher nie die Rede war. Da ist der Ärger doch abzusehen.

Ich sehe die Wohnungen auch als eine Möglichkeit, Erzieherinnen und Erzieher zu gewinnen und an Kornwestheim und Pattonville zu binden. Ich glaube nicht, dass wir Ärger produzieren, sondern dass die Menschen in Pattonville sehen, dass wir das Optimale erreichen möchten. Die Fläche haben wir in den Plänen für Pattonville immer für eine Kita freigehalten. Es ist besser, in die Höhe zu bauen als in die Fläche.

Sie waren zwei Jahre Zweckverbandsvorsitzende und geben jetzt die Leitung turnusgemäß an ihren Kollegen Dirk Schönberger aus Remseck ab. Wie fällt Ihre Bilanz für diese zwei Jahre aus?

Die Aufsiedelung ist weitestgehend abgeschlossen. Ich habe das Gefühl, dass sich Pattonville gut entwickelt hat und sich jetzt nach innen orientiert, also sein eigenes Gemeinschaftsleben pflegt. Ich halte Pattonville für sehr gelungen, was die Versorgung mit Geschäften, mit Schulen, Kindertagesstätten und dem Seniorenheim Kleeblatt angeht. Wir haben den Weg vollendet, den die Gründungsväter vorgezeichnet haben.

Frau Oberbürgermeister, um mal die frühere Stadträtin Theresia Liebs zu zitieren, die Sie immer so angesprochen hat: Wie halten Sie es eigentlich mit dem Gendern, also der geschlechtergerechten Sprache?

Ich bemühe mich immer, weibliche und männliche Formen zu sagen oder andere, neutrale Worte wie Gast oder Fachbereichsleitung zu finden. Manches finde ich auch übertrieben, wie zum Beispiel ,Das Studierendenwerk‘.

Ist es Ihnen wichtig, dass Sie mit Frau Oberbürgermeisterin angesprochen werden oder dass die weibliche Form Berücksichtigung findet?

Mir war das lange Zeit nicht wichtig. Das hat sich geändert, als eine Kollegin mal einen Test mit mir gemacht hat. Sie hat gesagt: Stellen Sie sich mal einen Arzt vor. Stellen Sie sich mal eine Ärztin vor. Wenn ich mir einen Arzt vorstelle, denke ich an einen Mann, bei einer Ärztin an eine Frau. Dieser einfache Test hat mich überzeugt, und seit dieser Zeit achte ich darauf: Es ist wichtig, durch weibliche Formulierungen zum Ausdruck zu bringen, dass Frauen auch männerdominierte Berufe ausüben. So können wir innere Bilder verändern und Gleichberechtigung leben.