Sirene auf einem Hausdach: Die Freien Wähler wünschen sich mehr davon – so wie übrigens auch die Kornwestheimer Grünen. Foto: dpa/Philipp von Ditfurth

Markus Kämmle, Fraktionsvorsitzender der Freien Wähler, steht Rede und Antwort.

Kornwestheim - Die Freien Wähler in Kornwestheim gelten als vielfältige und undogmatische Gruppierung. Welche Vorteile – aber auch Schwierigkeiten – der fehlende Fraktionszwang mit sich bringt, erklärt der Vorsitzende Markus Kämmle im Interview. Außerdem spricht er darüber, wie bezahlbarer Wohnraum geschaffen werden könnte und warum der Vertrag mit der Kinderwelt nicht verlängert werden sollte.

Aus den Gemeinderatswahlen 2019 sind die Freien Wähler gestärkt hervorgegangen. Aktuell haben Sie fünf Stadträte. Wie sehr können Sie die Kornwestheimer Kommunalpolitik heute beeinflussen?

Wir nehmen wahr, dass wir oft als Zünglein an der Waage eine Entscheidung in die eine oder andere Richtung beeinflussen können. Ein Beispiel dafür war sicher kürzlich die Diskussion um den Beitritt zur Initiative Sicherer Hafen, bei der unsere Stimmen viel Gewicht hatten. Bei uns Freien Wählern kann man sachlich orientiert arbeiten, gleichzeitig sind die Charaktere und politischen Einstellungen in der Fraktion vielfältig. Das ist positiv. Aber wir haben keinen Fraktionszwang, stimmen nicht immer einheitlich ab. Das macht es manchmal auch schwieriger, gemeinsam Entscheidungen herbeizuführen. Gelegentlich hören wir: Ihr wisst ja gar nicht, was ihr wollt. Das mag sein. Aber das ist der Preis, den wir für unseren Ansatz zahlen müssen. Unterm Strich ist es gut, wie es ist. Dazu stehen wir.

Ist es so kurz vor den Bundestagswahlen angenehm, dass Sie keine Partei sind? Sie können sich die Kämpfe und das Bangen anderer in Ruhe anschauen.

Ja, das ist so. Die haben Arbeit, Stress, müssen aktiv werden. Da ist es manchmal ganz nett, nicht in einer Partei zu sein, die auf Landes- und Bundesebene unterwegs ist und eventuell hier vor Ort den Kopf dafür hinhalten muss, was ein Herr Laschet oder eine Frau Baerbock so treiben. Es ist irgendwie schön, das von der Seitenlinie aus zu beobachten. Und darüber grinsen darf man auch mal. Andererseits erreicht eine Freie Wähler Partei, die mit uns nichts zu tun hat, drei Prozent – es wird sich also immer wieder innerhalb der Freien Wähler die Frage stellen und diskutiert werden, ob wir nicht doch auch landespolitisch aktiv werden sollen.

Mitten auf dem Spielfeld haben Sie mit dem restlichen Gemeinderat und der Stadt eineinhalb Jahre Corona-Politik umgesetzt. Wie schlägt sich Kornwestheim in Sachen Pandemie?

Ich finde, wir schlagen uns nach wie vor ganz gut. Es gibt immer Dinge, die man besser machen kann. Aber Corona war völliges Neuland für uns, und dennoch haben wir nicht viel falsch gemacht. Wir haben meistens rechtzeitig reagiert, Verordnungen konsequent umgesetzt. Ich beobachte allerdings, dass wir in der Pandemie häufig auf landes- und bundespolitischer Ebene weniger Sachpolitik sehen, sondern viel Parteipolitik.

Und in der Stadt geht es nie um Ideologie, sondern immer nur um die Sache?

Nun, ein Thema, bei dem wir in Kornwestheim schneller und unideologischer hätten handeln können, das ist die Frage nach den Luftfiltern an den Schulen. Wir sollten zusehen, zeitnah den Antrag auf Fördermittel zu stellen. Wie man das dann später umsetzt, können wir noch entscheiden. Aber Corona wird im Winter ja auch noch da sein. Wieso wir da mit angezogener Handbremse vorgehen und nicht zumindest mal die Gelder gesichert haben, verstehe ich nicht.

Ist man nicht auch das Thema Testzentren etwas verspätet angegangen?

Ja, das stimmt. Aber wir haben dann doch bald eine gute und funktionierende Test-Infrastruktur aufgebaut. Was mich gestört hat: Oft haben sich Menschengruppen wild am Bahnhofsvorplatz getroffen, teils auch in geschlossenen Räumen. Es fanden Feiern und Gruppenaktivitäten statt, die nicht hätten stattfinden sollen. Da ist nicht alles sinnvoll gelaufen, vielleicht hätte man stärker, beispielsweise über den Ordnungsdienst, eingreifen müssen. Wobei die Stadt, als wir die hohen Inzidenzen hatten, durchaus versucht hat herauszufinden, wo diese herkommen.

Hat die Stadt den Nachtragshaushalt sinnvoll gestaltet?

In meinen Augen war das mehr eine Formalie. Es gab ja auch nicht wirklich Diskussionen darüber. Es ist coronabedingt finanziell etwas aus dem Ruder gelaufen, mit einem Minus von knapp 15 Millionen. Aber wir sind, das muss man auch sehen, nach wie vor in einer ordentlichen finanziellen Verfassung. Wir haben in den vergangenen Jahren vorsichtig geplant. Wenn dann wirklich das „Ist“ auf dem Tisch liegt, sieht es in Kornwestheim meistens besser aus als geplant. Übrigens denke ich, dass sich der Wüstenrot-Effekt bei den Gewerbesteuern in den nächsten Jahren bemerkbar machen wird. Das Unternehmen gehört zu jenen, die finanziell wenig negative Corona-Effekte gespürt haben.

Trotzdem geht die Stadt gerade an Rücklagen, die auch teils schon verplant sind.

Natürlich, das müssen wir im Blick behalten. Aber wir müssen nicht schwarzmalen, wir haben in den vergangenen Jahren ein paar Nägel eingeschlagen, die sich positiv auf die Gewerbesteuer auswirken werden. Ich denke da zum Beispiel an die Firma Idexx, ein Tiermedizin-Unternehmen, neu in der Stadt, viele Mitarbeiter und ebenfalls in Sachen Corona eine unproblematische Branche.

Können Sie nachvollziehen, wenn Vereine nun sagen: Wir wollen wieder mehr haben, nachdem wir wegen der Strategischen Steuerung und Corona gelitten haben?

Wenn man meint, mit eisernem Prügel reinschlagen zu müssen, wie der SVK es unlängst getan hat, dann wird ein konstruktives Gespräch schwierig. Zumal wir ja schon wieder mehr für die Vereine tun. Wir haben zum Beispiel Gelder aus dem vergangenen Jahr neu verteilt, statt sie verfallen zu lassen. Und wenn tatsächlich ein Verein ein ernstes Problem hatte, konnte man immer mit dem Gemeinderat reden und sein Anliegen vorbringen – auch der SVK, weshalb ich die polarisierende Haltung des SVK nicht ganz nachvollziehen kann. Wenn wir in Zukunft merken, dass wieder deutlich mehr Geld in der Kasse ist, werden auch die Vereine ihre Bedarfe anmelden und dann kann man mit uns über alles reden. Die Vereine haben, auch über ihre Verbände, jederzeit die Möglichkeit, uns vorzuschlagen, wie man Mittel anders und besser einsetzen kann.

Lassen Sie uns über die Innenstadtentwicklung sprechen. Auch hier werden die Freien Wähler viel Gestaltungsmöglichkeit haben, denn es gibt eine gewisse Blocksituation – hier die Grünen und die SPD mit dem Wunsch nach einer autofreien Innenstadt, da die FDP und die CDU mit dem Wunsch nach freier Fahrt für freie Bürger.

Ich persönlich glaube, dass wir mit einer autofreien Innenstadt die wenigen Fachgeschäfte, die wir noch haben, kaputt machen. Daher bin ich persönlich eher skeptisch. Ich bin allerdings gespannt auf die Ergebnisse der Bürgerumfrage zur Innenstadtentwicklung. Und mittlerweile kann ich mir dann doch vorstellen, dass wir eine Fußgängerzone – zumindest einmal für einige Monate – ausprobieren und schauen, wie sie angenommen wird. Dabei muss man behutsam und klug vorgehen. Wenn man einfach nur dichtmacht und sonst keine Konzepte hat, wird meiner Meinung nach nicht viel laufen.

Haben Sie nicht immer wieder angemahnt, man möge nicht zu viel Geld in der Innenstadt versenken?

Ja, und dazu stehe ich auch weiterhin: Wir haben die Bahnhofstraße erst vor einigen Jahren umgestaltet. Und ich finde, sie ist schön geworden. Bei aller Debatte und Offenheit: Wir können nicht alle paar Jahre die Innenstadt umbauen, das wird zu teuer. Und vielleicht sollten wir auch erst einmal härter gegen die wilde Parkerei vorgehen, um die Aufenthaltsqualität zu erhöhen, die Regeln durchsetzen, die es gibt. Und dann diskutieren, ob eine Fußgängerzone Sinn ergibt.

Was sollte mit dem Wette-Center passieren?

Die Ravensburger Kinderwelt über den bis Ende 2022 laufenden Vertrag hinaus weiterzuführen, ist jedenfalls für mich – und da sind wir uns in der Fraktion auch einig – schon aus finanziellen Gründen keine Option. Die Idee dahinter war einmal gut, aber wir haben ohnehin zu lange zugeschaut, wie viel Geld dort Jahr für Jahr versenkt wurde. Da sind wir übrigens wieder bei der Debatte von vorhin, denn damit kann ja jeder argumentieren, jeder Verein, der Sport: ,Dafür habt ihr Geld, aber für uns nicht.‘ Das ist ein gutes Argument, das ich gut nachvollziehen kann.

Ein Thema, das ebenfalls die Innenstadt tangiert: Es wird immer heißer, der Klimawandel macht sich immer stärker bemerkbar. In Kornwestheim gibt es immer wieder Starkregenereignisse. Tut die Stadt genug, um sich hierfür zu rüsten?

Ich glaube, wir haben bereits einiges getan. Aber glauben heißt nicht wissen. Ich bin kein Spezialist, aber ich vertraue den Experten, mit denen wir im Gespräch sind. Unlängst haben wir ein Starkregenmanagement auf den Weg gebracht. Auch Kanäle haben wir in der Vergangenheit ausgebaut. Ob das in Zukunft noch ausreichend ist in Anbetracht neuer Entwicklungen und Erkenntnisse, das muss man sehen – und dann gegebenenfalls reagieren. Aber eine Anmerkung: Ich ärgere mich heute noch, dass wir die Sirenen auf den Dächern abgebaut haben. Diese halte ich nach wie vor in Sachen Katastrophenschutz für sinnvoll. Wir sind hier nicht im Rheinland, aber Sirenen schützen im Fall des Falls, auch bei uns, Gesundheit und Eigentum der Menschen. Wenn die Infrastruktur zusammenbricht, hilft keine Handy-App mehr. Ich denke, wir werden das Thema nach der Sommerpause in Kornwestheim neu aufrollen.

Lassen Sie uns zum Schluss noch einmal über die Schaffung von Wohnraum sprechen.

Nun, wir werden den Wohnraummangel nur in den Griff bekommen, indem wir städtisch bauen, oder über die Bezirksbaugenossenschaft. Auch Baugemeinschaften, wie wir eine in der Neckarstraße mit Erfolg umgesetzt haben, halte ich für sinnvoll. Bei dem, was von privaten Investoren für Quadratmeterpreise aufgerufen werden, lohnt es sich, häufiger über alternative Projekte nachzudenken. Im Gebiet Nördlich Zügelstraße ist alles in Händen der Stadt. Meiner Meinung nach sollten dort keine großen freien Träger zum Zuge kommen. Da muss der Fokus bei der Umsetzung auf städtischem Bauen, auf Baugemeinschaften, je nach Konzept, vielleicht noch bei der Bezirksbaugenossenschaft liegen, nicht aber auf gewinnorientierten Unternehmen. Beim Thema Wohnbau muss der Staat, und damit auch wir als Kommune, Verantwortung übernehmen und die Hand darauf halten. Da wurden in der Vergangenheit meiner Meinung nach auf landes- und bundespolitischer Ebene viele Fehler gemacht und nur das schnelle kurzfristige Geld gesehen.

Und beim Thema Parkplätze?

Ich plädiere nach wie vor dafür, dass wir mehr Parkplätze pro Wohnung bei Neubauten fordern. Ich habe nichts gegen den ÖPNV, aber wir sollten die Leute nicht bevormunden, damit sie aufs Auto verzichten. Im Zweifel dürfen Parkplätze teuer sein, damit kann man auch aussteuern. Aber keinen Parkraum zur Verfügung zu stellen, das löst die Probleme nicht, macht die Straßen zu und sorgt damit für stockenden Verkehr und unnötige Umweltverschmutzung.

Politik und Vereine

Markus Kämmle
ist 55 Jahre alt, Vater von drei Kindern und zweifacher Großvater. Der gebürtige Kornwestheimer, der Bankkaufmann und Betriebswirt ist, gehörte dem Gemeinderat von 2004 bis 2009 an und wieder seit 2014. Er engagiert sich nicht nur in der Kommunalpolitik, sondern auch in mehreren Vereinen. So singt er im Chor der Sängerlust und ist bei der Fasnetzunft aktiv.