Hier sind Geduld, Gehör und Fingerspitzengefühl gefragt: Orgelbauer Wolfram Stützle verhilft der St.-Martinus-Orgel zu neuem Wohlklang.
Kornwestheim - Stimmeisen, Stimmhörner, Hämmerchen, Federn und allerlei anderes Werkzeug liegt, fein säuberlich aufgereiht, auf der Orgelempore der katholischen St.-Martinus-Kirche. Die Regentschaft in dem Reich unterm Kirchendach, das normalerweise Kantor Peter Döser beherrscht, haben zwei Tage lang Orgelbauer Wolfram Stützle und seine Auszubildende Ruth Kraul übernommen. Sie sind als freie Mitarbeiter für die Orgelbaufirma Johannes Karl aus Aichstetten im Einsatz, die die Orgel einst erschuf.
Während – was Stützle mit Bedauern und einiger Bekümmernis zur Kenntnis genommen hat – in der evangelischen Johanneskirche schräg gegenüber die Orgel abgebaut und nach Polen verkauft wurde, steht im katholischen Gotteshaus eine Orgelstimmung an: Für Samstag in einer Woche ist dort die große Orgelnacht mit drei Tastenkünstlern terminiert, und dann soll das Instrument von seiner besten Seite von sich hören machen.
Das ist in vielerlei Hinsicht eine Herausforderung, erzählt Wolfram Stützle, dessen Orgelbauwerkstatt in Waldkirch im Schwarzwald beheimatet ist und der auf eine lange Familientradition in der Kunst des Orgelbaus zurückblicken kann. „Normalerweise stimmt man eine Orgel im Frühjahr oder Herbst, wenn die Hitze nicht allzu groß ist“, erklärt er. „Hoffen wir, dass es bis zur Orgelnacht nicht noch größere Temperaturschwankungen gibt.“ Denn die Temperaturen wirkten sich auf die Stimmung der Instrumente aus. „Gewisse Register sind sehr witterungsempfindlich und reagieren auf kleinste klimatische Veränderungen.“ Auf dem Feldberg, scherzt er, könne man allerdings auch mitten im Sommer stimmen.
Wer eine Orgel stimmen will, muss die Ruhe weg haben: Wer könnte sonst, wie beispielsweise in St. Martinus, mehr als 2000 einzelne Pfeifen justieren? „Um anzufangen, nimmt man das Register Oktave 4 Fuß, also eine Pfeifenreihe aus der Prinzipalreihe in der Fassade, und korrigiert die Stimmung. Und das ist dann das Stimmregister, an dem man sich für alle weiteren Register orientiert“, berichtet der Orgelbaumeister.
Man müsse schon deshalb bei den am schlechtesten zugänglichen Orgelpfeifen anfangen, um nach dem Stimmen nicht noch einmal mit ihnen in Berührung zu kommen, „denn sobald ich eine Pfeife anfasse, verstimmt sie sich wieder“. Bei manchen Instrumenten sei das Pfeifenwerk auch derart schwer zugänglich, „dass es wirklich ekelhaft ist, sie zu stimmen.“
Zudem gilt es, die Eigenheiten jedes Materials zu berücksichtigen, betont Wolfram Stützle, während er über einen Aufbau aus Stühlen und Tischen ins Orgelinnere klettert und auf das Meer von Pfeifen zeigt: Die einen sind aus Holz, die anderen aus Metall. Die einen erzeugen Töne, in dem ein Luftband auf ein Oberlabium stößt – die so genannten Lippen- oder Labialpfeifen – , die anderen erklingen durch eine schwingende Metallzunge, weshalb sie auch Zungenpfeifen genannt werden.
Fingerspitzengefühl ist gefragt, wenn der Orgelbauer durch vorsichtige Schläge mit dem Stimmhorn die Pfeifenmündungen minimal nach innen oder außen biegt, um die Tonhöhe zu verändern. Um überhaupt den richtigen Ton zu finden, haben Stützle und seine Auszubildende ein Stimmgerät dabei, „aber das Ohr ist natürlich immer die Kontrollinstanz“, meint der Fachmann. Da ist es von Vorteil, wenn man die Orgel auch selbst zu spielen weiß – wenngleich es keine Voraussetzung für den Beruf ist. „Muss ein Kfz-Mechaniker zwingend Auto fahren können?“, kommentiert Stützle. „Nein. Er muss sich mit dem Fahrzeug auskennen. Und so ist es bei uns auch.“ Er selbst beherrscht das Instrument allerdings durchaus und übernimmt in seiner Heimat Organistendienste. Und auch die 20-jährige Ruth Kraul ist musikalisch beschlagen. „Mein Vater ist selbst Orgelbauer“, erzählt die Überlingerin, „und wir sind alle mit der Musik groß geworden.“
An ihrem künftigen Beruf begeistert sie die Vielseitigkeit: „Ich finde es spannend, dass er so viele Handwerke und Fähigkeiten einschließt. Er verbindet Zeichnerisches, Musikalisches, Technisches und Handwerkliches“, preist sie die Orgelbaukunst. Im Handumdrehen ist sie allerdings auch nicht zu erlernen: Kraul hat erst einmal das erste Schreinerlehrjahr gemacht – „das war Voraussetzung für meine Ausbildung“ – und braucht bis zum Ende der Lehrzeit dreieinhalb Jahre. Den theoretischen Unterbau erhält sie übrigens an der Ludwigsburger Oscar-Walcker-Schule.
Auch für Wolfram Stützle sind die zwei Tage in der St.-Martinus-Kirche keine Premiere: „Vor 40 Jahren habe ich die Orgel hier schon mal gestimmt. Damals“, verrät er, „war ich Lehrling bei der Firma Karl, die die Orgel gebaut hat.“