Diese Postkarte wurde immer wieder verschickt: Ruth Kappel hat sie bei sich gefunden. Foto: cf

Leserinnen und Leser haben sich mit Geschichten und Tagebüchern bei uns gemeldet.

Kornwestheim - Die Nachricht vom Verkauf des Schullandheims Vogelhof hat so manche Erinnerung geweckt – zum Beispiel bei Werner Höger, der 1952 zu den ersten Kindern gehörte, die nach Erbstetten auf die Alb fahren durften. Mit dem Zug, und zwar bis zum Bahnhof Mehrstetten, der heute nicht mehr im Betrieb ist. Und von dort aus ging’s zu Fuß zum Vogelhof. Stolze 15 Kilometer legten die Jungen und Mädchen per pedes – das Gepäck wurde mit dem Auto transportiert – zurück, und sowohl auf dem Hin- als auch auf dem Rückweg lief nicht alles rund, wie sich Werner Höger erinnert.

Auf der Strecke zum Vogelhof verknackste sich eine Schülerin das Bein und musste auf einer Trage transportiert werden. Und zurück verlief sich eine Gruppe mit dem Ergebnis, dass Schüler und Lehrer den Zug verpassten. Gleichwohl hat Höger nur gute Erinnerungen an den Schullandheim-Aufenthalt, der 18 Tage dauerte. Heimweh? Dafür habe man angesichts der vielen Angebote überhaupt keine Zeit gehabt, erzählt der 82-jährige Kornwestheimer.

Entspannte Zeit, entspannte Lehrer

Auch auf unserer Facebook-Seite erinnern sich die Kornwestheimerinnen und Kornwestheimer gern an den Aufenthalt auf dem Vogelhof. Bis auf eine Ausnahme: „Das war immer so schlimm da“, schreibt eine Leserin.

Marlies Beitz hat 1961 zwei Wochen auf dem Vogelhof zusammen mit Austauschschülern aus der französischen Partnerstadt Villeneuve-St.-Georges verbracht. Es müssen entspannte Wochen gewesen sein, wie ihrem Tagebuch zu entnehmen ist, das sie auf der Alb hat führen müssen. Sie hat’s mit viel Liebe getan und sogar das Abendessen mit Buntstiften gezeichnet. Heutzutage wird das Essen mit dem Handy fotografiert. Auch die Lehrer scheinen mit viel Freude bei der Sache gewesen zu sein. Franz Zauner gab mit eigentümlicher Kopfbedeckung ein Interview als „Curd Jürgens“. Apropos Lehrer: Zwei haben vor 20 Jahren zum 50-jährigen Bestehen des Vogelhofs ihre Erinnerungen ausführlich aufgeschrieben – der 2013 verstorbene Reinhold Kienzle, Lehrer und Heimatforscher, und Hans-Georg Rödel, Konrektor a.D. .

Von 1952 bis 1965 verbrachte Reinhold Kienzle fünfmal – zumeist mit den etwas älteren Schülern – jeweils drei Wochen auf dem Vogelhof. Wir zitieren aus seinem Beitrag, der in einer Broschüre des Schullandheims erschienen ist: „1952 bis 1965, das war die Zeit vor der revolutionären 68er-Bewegung und dem Abbau aller Autoritäten, in der die Schüler mehr gefördert und weniger oder nicht erzogen werden sollten. Weil sich aber schon erste Ansätze zeigten, dass durch die berufliche Karriere beider Eltern die Kindererziehung in antiautoritärer Zeit zu kurz kam, wollten Lehrer – auch ich – Versäumtes nachholen und zogen ins Schullandheim auf den Vogelhof mit dem Ziel, neben dem Unterricht die Erziehungsaufgabe stärker zu betonen.

Keine Schwierigkeiten mit Schülern

. . . In Vorbereitungsgesprächen mit den Schülern erwähnte ich, dass vielleicht für die Küche Hilfe geleistet werden soll, abends im Dorf Milch geholt werden muss und Herr Schwender Mitfahrer braucht, wenn er uns fürs Waschen und Duschen Wasser aus der Lauter holen wird. Wir unterhielten uns über gutes Schuhwerk, Wanderkleidung, welche Bücher, Lesestoffe, Geräte für Spiele im Freien, für Bastelarbeiten, Unterlagen für Rate-, Geschicklichkeits- und Wettspiele, Vorschläge für Denksportaufgaben mitzubringen sind und alle ein Großheft fürs Tagebuch kaufen sollten. Ich selbst wollte drei Wochen lang die täglich 24 Stunden dauernde Belastung auf mich nehmen, weil ich keine Schwierigkeiten sah, denn ich kannte die Klasse, in der ich – außer Religion und Handarbeit – alle 13 Fächer selbst unterrichtete. . . . Schwierigkeiten? Nein, denn es gab damals ja noch keine Handys, keinen Fernseher auf dem Vogelhof, und Musik wollten wir ja selber machen.

. . . Ich achtete darauf, dass immer ein Ausgleich zwischen körperlicher und geistiger Arbeit gefunden wurde. So fehlte morgens nicht die Gymnastik, aber auch nicht eine Freistunde für kontrollierte Selbstbeschäftigung in der Nähe des Hauses. Regelmäßig kam zweimal die Woche der Arzt und kurierte kleine Wehwehchen. . . . Im Übrigen aber war ich der festen Überzeugung, dass die geplanten Wanderungen und die viele Bewegung im Freien für die nötige Bettschwere und auch für Ruhe beim frühen Zubettgehen sorgen werde.

Wenig Schlaf

. . . 21 Tage verflogen immer sehr rasch, weil mit Unterricht, Spiel, Sport, Gesang und Wandern nie Langeweile aufkam. Man hatte sich angefreundet, einander besser kennen gelernt, war einander beigestanden und nahm nun diesen Klassen- und Gemeinschaftsgeist mit nach Kornwestheim. . . . Die Welt war in dieser Zeit für Kinder und Jugendliche auch schon größer geworden, aber noch lag ihnen die Heimat näher.“

Hans Georg Rödel, der in den 1960er- und 1970er Jahren regelmäßig auf dem Vogelhof war, schrieb in der Broschüre des Schullandheimvereins über die Rolle der Lehrerinnen und Lehrer: „Ein Schlafdurchschnitt von vier bis fünf Stunden musste ausreichen. Von wegen Ferien! Es war aber für alle Beteiligten immer wieder ein großartiges Erlebnis. . . . Lernen stand stets auf der Tagesordnung, da ging kein Weg dran vorbei. Schließlich wäre es pädagogisch nicht sinnvoll gewesen, sich zwei oder gar noch mehr Wochen dem ,dolce far niente’ hinzugeben. Biologie wurde bevorzugt und gar manche Pflanze landete fein säuberlich gepresst im Schulheft oder Tagebuch.“