Gut vorbereitet: Vor der Einwohnerversammlung informierten sich die Besucher an Stellwänden im K-Foyer. Foto: Mateja fotografie

Die von der Bürgerinitiative in die Wege geleitete Veranstaltung stößt auf großes Interesse.

Kornwestheim - Die Uhr war auf zehn nach neun am Abend vorgerückt, als die Einwohner auch selbst ihre Meinung sagen durften. Sie taten das überaus differenziert, nicht nur im Sinne der Bürgerinitiative Rothacker-/Sprecher-Areal (Birsa), die mit einer Unterschriftensammlung die Einwohnerversammlung initiiert hatte – zu der knapp 300 Menschen in den Festsaal des K gekommen waren. Eine Unternehmerin sagte, dass der Mangel an Wohnungen in der Stadt die Suche nach qualifiziertem Personal erschwere. Ein anderer Besucher berichtete von guten Erfahrungen mit der Firma Pflugfelder, deren Bauvorhaben – neun Mehrfamilienhäuser mit 75 Wohnungen auf der Grünfläche zwischen Mühlhäuser Straße und Wiesengrund – so umstritten ist. Ein Mann zeigte sich angetan von den Plänen, 75 Wohnungen seien für das Areal nicht zu viel. Aber da waren auch die Kritiker zu vernehmen, die um das Grün und die frische Luft fürchten und sich sorgen, dass der Verkehr überhandnimmt und auch um ein gutes soziales Miteinander. Zu viele Menschen auf engem Raum, das berge Gefahren, warnte eine Besucherin. Die Stadt müsse auf ein Wachstum von innen heraus – auf eine normale Fluktuation – setzen, sagte sie. Warum solle gerade an dieser Stelle gebaut werden, die fürs Klima der Stadt von so großer Bedeutung sei, fragte ein Veranstaltungsbesucher. Ein Kritiker bemängelte, dass überwiegend nur Wohnungen für Gutverdienende entstehen würden. Ein Nachbar wusste zu berichten, dass Mühlhäuser- und Bergstraße schon jetzt eine innerörtliche Umgehungsstrecke bildeten. Wie solle das nur aussehen, wenn in unmittelbarer Nachbarschaft 75 zusätzliche Wohnungen entstünden? Ein Besucher äußerte die Befürchtung, dass irgendwann einmal längs der alten B 27 gebaut werde. Er ermahnte die Vertreter der Stadt und die Gemeinderäte, dass sie den Bürgern verpflichtet seien, die in der Stadt leben würden, nicht denen, die zuziehen wollten.

Alternativen zu einer Bebauung am Rothackerhof wurden auch unterbreitet: • ein Hochhaus an der Ecke Aldinger Straße/Im Moldengraben• eine in die Höhe gehende Bebauung des Rewe-Areals an der Ecke Stuttgarter Straße/Johannesstraße• eine Bebauung des Römerhügels statt der Solaranlage • Warum ist der Neubau des Jakob-Sigle-Heims nicht höher gebaut worden? Das fragte ein Besucher der Versammlung in Richtung Stadtspitze.

Vier Referenten hatten die Einwohner zuvor auf das Thema eingestimmt. Nachgerade frenetischen Beifall bekam Gerhard Neuberger von der Birsa, der daran erinnerte, dass die Bevölkerungszahl von Kornwestheim im Zeitraum von 2001 bis 2015 bereits um 10,5 Prozent gestiegen sei. Der Landkreis sei um lediglich 6,1 Prozent gewachsen, die Region um 3,8 Prozent. Kornwestheim brauche sich deshalb nicht vorwerfen zu lassen, gegen die Wohnungsnot nicht vorzugehen. „Kornwestheim tut was“, sagte Neuberger. Der Birsa-Sprecher erinnerte auch an das vor gut zehn Jahren erarbeitete Leitbild 2025, speziell an den Leitsatz 15: „In Kornwestheim wird keine zusätzliche Versiegelung zugelassen.“ Neuberger fragte: „Was ist daraus geworden?“ Wenn man das eigene Leitbild nicht ernst nehme, dann brauche man auch keines zu entwickeln.

Neuberger kritisierte, dass der Gemeinderat den Bebauungsplan in einem beschleunigten Verfahren und damit ohne eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchwinken wolle. „Warum macht man das?“ Das Areal liege in der Hauptluftleitbahn und damit in einer ökologisch bedeutsamen Schneise. Die Gegner einer Bebauung sehen „sehr großen Schaden“ auf die Stadt zukommen. Neuberger räumte ein, dass die Birsa-Mitglieder auch eigene Interesse verfolgen würden. „Sich gegen etwas zu wehren, das ist legitim“, betonte er und richtete den Blick auf das Interesse der Firma Pflugfelder. Die baue nicht, um die Wohnungsnot zu lindern. „Man muss die Motivation klar benennen: Geld verdienen.“

Baubürgermeister Daniel Güthler rechnete in seinem Referat vor, dass man Baugebiete in einer Größenordnung von 15 Hektar benötige, um allein nur die Wünsche der Kornwestheimer selbst nach Wohnraum zu erfüllen. Die Gründe: Die Menschen würden immer älter, zudem beanspruche jeder mehr Platz für sich. Er betonte, dass bei der Bebauung des Areals nicht nur Freifläche in Anspruch genommen werde, sondern teils auch vorhandene Gebäude ersetzt würden. Letztlich würden lediglich 424 Quadratmeter zusätzlich versiegelt. Güthler kündigte an, einen Grünzug mit offenem Bachlauf schaffen zu wollen, der sich von der Lammstraße bis zur Mühlhäuser Straße quer übers Areal ziehen werde. Der Klimaschutz sei bei der Planung sicherlich ein wichtiger Belang, so der Bürgermeister, „aber nicht der einzige“. Güthler sagte zu, dass der unterirdisch verlaufende Kanal erweitert und verlegt werde. Den Verkehr im Bereich der Mühlhäuser Straße werde man noch einmal genauer unter die Lupe nehmen, versprach er.

Der Geograf Gunther Wetzel hat für die Stadt Kornwestheim einen Landschafts- und Umweltplan erarbeitet, der zum Flächennutzungsplan gehört und dessen Ergebnisse er am Montagabend vorstellte. Er bestätigte: Das Areal liegt in der Hauptluftleitlinie. Insbesondere eine Bemerkung von ihm klang den Gegnern einer Bebauung wie Musik in den Ohren. Aus fachplanerischer Sicht wäre es wünschenswert, wenn entlang dieser wichtigen Landschaftsadern „wenig Entwicklung“ stattfinden würde oder gar Bauten verschwänden. Man müsse mit solchen Flächen sensibel umgehen. Dass der Holzbach künftig aus dem Kanal geholt werde, habe einen „gewissen Charme“ und werde Eingriffe in die Landschaft teils ausgleichen, sagte Wetzel indes auch.

Regionaldirektorin Nicola Schelling hatte in ihrem Referat die Bedeutung von Kornwestheim als „regionalem Industrieschwerpunkt“ hervorgehoben und insbesondere die „fantastische Anbindung“ ans Straßen- und Schienennetz gelobt. Sie bedauerte, dass sich immer wieder Protest gegen die Ausweisung von Bauflächen auftue. „Die Solidarität nimmt ab, weil man nur aufs eigene Grundstück schaut“, so Schelling.

Über zweieinhalb Stunden dauerte diese Einwohnerversammlung, die von Oberbürgermeisterin Ursula Keck moderiert worden war und deren Erkenntnisse nun in die Gemeinderatsarbeit einfließen sollen. Dem neuen Gemeinderat obliegt die Entscheidung über den Bebauungsplan fürs Rothacker-/Sprecherareal.

Ihre Fragen, die Veranstaltungsbesucher auf Postkarten formulieren und in eine Box werfen konnten, sollen laut Auskunft der Stadt Kornwestheim schriftlich beantwortet werden, sofern auf das Thema nicht schon bei der Einwohnerversammlung eingegangen worden ist.