Lothar Kremer im April als Zuschauer beim Wasserball. Foto: privat

Lothar Kremer hat den Wasserballsport in der Region mitgeprägt – nun wurde er 95 Jahre alt.

Auch heute geht Lothar Kremer noch jeden Mittwoch schwimmen. Natürlich geht das nicht mehr so schnell wie in seinen aktiven Tagen. Aber die sind ja auch schon eine Weile her. „Da kommt’s nicht auf die Zeit an, sondern auf die Bewegung“, sagt Kremer. Am Himmelfahrtstag hat er seinen 95. Geburtstag gefeiert. Doch das stolze Alter hält den früheren Wasserballer und Weltklasse-Seniorenschwimmer nicht davon ab, im Becken des Alfred-Kercher-Bades manchmal an die 40 Bahnen abzuspulen – was übrigens etwa 1000 Metern entspricht. Im Wasser war und ist Lothar Kremer zuhause, und seine sportliche Karriere sollte ihn sogar bis zum Papst führen.

Mit zehn Jahren kam er nach Kornwestheim, geboren wurde Lothar Kremer als mittleres von drei Kindern in Kirrlach bei Bruchsal. An eine internationale Laufbahn im Wasserball war in seiner Jugend jedoch nicht zu denken. Der Zweite Weltkrieg tobte, mit 17 wurde er zur Wehrmacht eingezogen. Als die Amerikaner nach Deutschland kamen, versteckte er sich jedoch auf einem Bauernhof im Isartal – um schließlich in zivil nach Kornwestheim zurückzuradeln. Jetzt konnte es losgehen mit Wassersport, den er im alten Bad in der Schubartstraße als Schüler kennengelernt hatte.

Kleiner als die anderen

Nachdem er seine Ausbildung bei Bosch abgeschlossen hatte, begann er beim damaligen TV Kornwestheim mit dem Wasserball. Der Lebensunterhalt war damit freilich nicht zu bestreiten, in seinem Job als Mechaniker brachte es Lothar Kremer bis zum Betriebsrat. Seine Leidenschaft galt dennoch dem gemeinhin als knallhart angesehenen Mannschaftssport im Schwimmbecken. „Im Vergleich zum heutigen Wasserball war’s bei uns härter“, stellt er fest. Im TVK-Team war er einer der Jüngsten.

Und auch beim SV Ludwigsburg, zu dem er 1950 ging, zählte er nicht eben zum alten Eisen. Das Team gehörte zur deutschen Elite, Kremers Wurfkraft wurde schon bald als der „Kremer-Hammer“ bekannt. Wasserballspieler waren schon damals fast alle überdurchschnittlich groß – Kremer nicht. Wie er das kompensiert habe? „I han b’schissa“, kommentiert er mit einem herzhaften Lachen. Natürlich hielt sich Kremer, abgesehen von den üblichen Unterwasser-Fouls, an die Regeln. Er überzeugte eben durch sein Können und seine Wucht im Wurf.

Audienz beim Papst

Bereits 1952 folgte die erste Einladung zur deutschen Nationalmannschaft – was für einen Spieler aus Württemberg bei der Dominanz der Akteure aus dem westlichen Teil der Republik einiges aussagte. Überraschend allerdings war, dass er nicht für die Olympiamannschaft 1952 nominiert wurde.

Aber wenn es schon nicht zu den Spielen nach Helsinki ging, so lagen dennoch zahlreiche Auslandsreisen vor ihm. Und eine davon führte 1955 nach Rom. Als Gastspieler des damaligen Deutschen Meisters Rote Erde Hamm fuhr Kremer mit. Dort gab es für die Mannschaft am 8. Mai eine Privat-Audienz bei Papst Pius XII. Davon zeugt auch noch ein Foto, das bei Lothar Kremer in der Wohnung hängt.

Mit dem Segen von höchster Stelle reichte es für den Spieler des SV Ludwigsburg zwar für die sportliche Dominanz mit seinem Team im Süden der Republik. Bundesweit holte der SVL 1961 immerhin die Vizemeisterschaft. Kremer, inzwischen einer der erfahrenen Recken, hängte noch ein Jahr dran, half den jüngeren Spielern bei ihrer Entwicklung. Dann endete die sportliche Laufbahn – fürs Erste.

Medaillen über Medaillen

Wenn man so will, beginnt im Jahr 1985 die zweite Episode in Lothar Kremers Athletendasein. Hatte er zuvor noch die TVK-Wasserballer trainiert und das Geschehen auch als Schiedsrichter verfolgt, packte es ihn noch mal richtig. Nur war diesmal kein Ball im Spiel. Kremer schloss sich den Seniorenschwimmern des TVK an – und heimste Medaille um Medaille ein. Die erste Treppchenplatzierungen gab’s 1986 bei den baden-württembergischen Meisterschaften: drei zweite Plätze. Zum ersten Titel schwamm der Kornwestheimer im Jahr 1992, als er mit 66 Jahren über 50 Meter Freistil im nahen Sindelfingen Deutscher Masters-Meister wurde.

Über Jahre hinweg war Lothar Kremer auf den Treppchen der Seniorenklassen zu finden. Den größten Coup schaffte er 1993, als er – ebenfalls in Sindelfingen – mit 66 Jahren Europameister über seine Paradestrecke wurde, den 50-Meter-Freistilsprint. Reisen zu Weltmeisterschaften nach Casablanca (Marokko) oder Christchurch (Neuseeland) folgten, gekrönt von guten Platzierungen. Doch mit dem Alter kamen die Herzprobleme, sodass Wettkampfschwimmen Mitte der 2000er-Jahre schließlich nicht mehr möglich war.

Ins Becken steigt Kremer aber nach wie vor. „Viele sind ganz außer sich, dass ich mit 95 noch ins Wasser geh“, sagt er. Die Einschränkungen während der Corona-Zeit seien hart für ihn gewesen. Und wenn er mal nicht selber schwimmt, verfolgt er, was die Wasserballer des SV Ludwigsburg so treiben. Gemeinsam mit seinem Freund und SVK-Schwimmfunktionär Günter Engelhardt – der auch im Alfred-Kercher-Bad dabei ist – geht es dann in die Barockstadt, zum Anfeuern und Fachsimpeln. Zuletzt dürfte sich das Duo ziemlich geärgert haben, verlor der SVL im Freibad in Hoheneck doch das Bundesligaspiel um Platz 3 gegen den ASC Duisburg mit 9:15.

Aber bald ist ja schon wieder Mittwoch.