Leiterin Beate Dornbusch spricht im Interview über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Hauses.
Kornwestheim - Die ersten Gardinen hängen, Namensschilder zeigen an, dass die ersten Bewohnerinnen und Bewohner eingezogen sind. Auch in den zweiten Neubau des Jakob-Sigle-Heims kehrt nun Leben ein. In den vergangenen sechs Jahren ist an der Rosensteinstraße nach einem ausgeklügelten Plan ein neues Seniorenheim samt 71 Appartements fürs Betreute Wohnen entstanden. Zunächst hat der Träger, das Wohlfahrtswerk für Baden-Württemberg, das Pflegeheim (92 Plätze) errichtet, das vor vier Jahren bezogen wurde. Vor einigen Wochen sind die ersten Appartements im zweiten Neubau in Beschlag genommen wurden. Knapp 30 Millionen Euro hat das Wohlfahrtswerk am Standort Kornwestheim investiert. Im Interview berichtet Leiterin Beate Dornbusch über wegen der Pandemie herausfordernde Zeiten und über die Freude, dass das neue Heim nun steht.
Frau Dornbusch, in Stuttgart sind in mehreren Heimen Infektionen aufgetreten, obgleich die meisten Bewohnerinnen und Bewohner bereits geimpft worden sind. Ist der Spuk für die Seniorenheime noch nicht vorbei?
Es scheint so zu sein. Impfungen versprechen keine 100-prozentige Sicherheit, und insgesamt wissen wir noch zu wenig über das Virus, um vor Überraschungen sicher zu sein. Nach 14 Monaten Pandemie schließe ich nichts aus.
Wie viel Vorsicht müssen Sie noch walten lassen?
Das komplette Programm: Alle Beschäftigten müssen im Dienst FFP2-Masken tragen, die Abstands- und Hygieneregeln gelten weiterhin, es gibt regelmäßig Testungen von den Bewohnern, den Mitarbeitern und den Besuchern. Wenn 90 Prozent der Bewohner geimpft worden sind, dürfen wir die Besuchsregeln lockern, aber leider erreichen wir diese Quote nicht.
Weil es Bewohner gibt, die sich nicht impfen lassen wollen?
Nein, wir hatten bereits zweimal das Impfteam im Haus. Aber wir schaffen diese 90-Prozent-Quote nicht, weil es immer wieder eine Fluktuation bei den Bewohnern gibt. Die neuen Bewohner sind noch nicht geimpft und wir haben darüber hinaus einen ständigen Wechsel durch die Kurzzeitpflege. Ich hoffe, dass sich das ändert, wenn die Impfquote insgesamt steigt und neue Bewohner bereits geimpft zu uns kommen.
Was würde sich ändern, wenn Sie die 90 Prozent konstant erreichen?
Für die Beschäftigten selbst kaum etwas, aber die Besucher dürften sich in den Gemeinschaftsräumen aufhalten. Derzeit sind Besuche möglich, auch uneingeschränkt von der Uhrzeit, aber nur in den Bewohnerzimmern.
Pandemie als Belastung für die Bewohner
Wie sehr hat die Pandemie Ihre Bewohnerinnen und Bewohner belastet?
Die erste Welle haben wir richtig gut bewältigt. Wir hatten keine einzige Infektion im Haus, die Bewohner konnten sich, weil das Wetter gut war, auf den Terrassen aufhalten und sahen aus, als ob sie im Urlaub gewesen wären. Weil wir die Terrasse Richtung Helfensteinstraße haben, war auch die Kontaktaufnahme zu den Angehörigen möglich, auch wenn natürlich die Umarmungen und die Nähe fehlten. Mit der zweiten Welle hatten wir kurz vor Weihnachten das Infektionsgeschehen dann auch im Haus, und das war ganz schlimm. Da mussten wir wirklich isolieren, die Bewohner mussten in ihren Zimmern bleiben und wir haben täglich getestet. Die Zeit war für alle sehr, sehr belastend.
Sie wollen den Bewohnern einerseits ein schönes Leben ermöglichen, andererseits wollen Sie sie vor Infektionen schützen. Wie kriegt man diesen Spagat hin?
Das ist letztlich gar nicht so schwierig. Wir tragen alle FFP2-Masken, Schutzkittel und Handschuhe: Eine gewisse Nähe können und wollen wir durch die Körperpflege und die Betreuung überhaupt nicht vermeiden.
Das Jakob-Sigle-Heim hat sich in der Vergangenheit durch Kulturveranstaltungen und durch eine große Offenheit ausgezeichnet. Wird es das je wieder geben?
Ja. Da bin ich ganz optimistisch. Wir lernen, mit dem Corona-Virus umzugehen und ich bin zuversichtlich, dass eine Normalität wieder einkehren wird und wir unsere Aktivitäten wieder anbieten werden. Wir machen es jetzt im Kleinen ja auch schon: Wir haben unser Freitagnachmittag-Café mit Alleinunterhalter, wir haben Andachten – aber natürlich mit Abstand, mit Hygieneregeln und mit FFP2-Masken. Der CVJM spielt im Garten für die Bewohner und wir haben jede Woche Rikscha-Ausfahrten. Wir haben nach wie vor viele Veranstaltungen, halt nur anders organisiert.
Es gab Phasen in dieser Pandemie, da standen die Heime unter Druck, weil sich das Infektionsgeschehen scheinbar nur dort abspielte. Hat das den Einrichtungen geschadet, zum Beispiel in Form von zurückgehendem Interesse?
Nein, weil viele Angehörige auf einen Platz in einem Pflegeheim angewiesen sind und nach wie vor alle Betten belegt sind. Ein Großteil der Menschen erkennt, was wir leisten und hat Verständnis für die Einschränkungen, die es zurzeit gibt. Die Besucher wissen, dass wir weder etwas fürs Corona-Virus können noch für die Vorschriften, die wir erfüllen müssen.
Bessere Bezahlung bleibt bislang Wunschdenken
Anerkennung gab’s anfangs in Form von Beifall und in Ankündigungen für eine bessere Bezahlung. Sind die mittlerweile eingelöst worden?
Nicht wie es erforderlich wäre. Es gab die Einmalzahlung für die Mitarbeitenden, aber die Rahmenbedingungen sind nach wie vor die gleichen. Was mich wirklich verärgert: das Thema Testungen. Die Freiwilligen, die die Heime dabei unterstützen, bekommen einen Stundenlohn von 20 Euro. Ich freue mich, dass es Freiwillige gibt, die diese Aufgabe übernehmen, und ich gönne ihnen diesen Lohn. Aber meine Fachkräfte mit einer Ausbildung bekommen einen solchen Stundenlohn nicht. Das Verhältnis stimmt überhaupt nicht mehr. Was signalisiere ich damit den Fachkräften? Anerkennung sieht anders aus. Wir haben uns im Jakob-Sigle-Heim entschieden, keine Freiwilligen einzusetzen. Ich habe meinen Mitarbeitenden angeboten, dass sie Testungen von Besuchern machen können. Sie bekommen die entsprechende Funktionszulage und die Stunden ausbezahlt, sodass sie dann auch über 20 Euro kommen.
Ist der Pflegeberuf insgesamt durch die Pandemie anspruchsvoller geworden?
Ja, weil die ohnehin hohe Belastung noch weiter gestiegen ist.
Sie haben den Neubau, so wirkt es von außen, ganz nebenbei aus dem Boden gestampft. Was ist vom alten Jakob-Sigle-Heim geblieben?
Der Geist, die gute Atmosphäre, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Philosophie, die wir hier leben. Wir haben die Tradition eines Hauses, das über 50 Jahre stand, mit der Innovation eines neuen Gebäudes verbunden.
Macht ein neues Haus das Arbeiten einfacher?
Es macht es anders. Wenn Sie sich vorher mit einer alten Heizung oder baulichen Mängeln herumgeschlagen haben, so kämpfen Sie jetzt mit den Telekommunikationsanbietern, die nicht in der Lage sind, sich zu verständigen. Aber in der Summe ist es ein schönes Arbeiten hier im neuen Haus.
Sie haben den Neubau nicht fristgemäß beziehen können. Woran hat’s gehapert?
Wir haben die Türelemente zu den Balkonen austauschen müssen. Wir hatten Schiebetüren, die aber so schwer zu bewegen waren, dass wir es dabei nicht belassen konnten. Jetzt haben wir Drehflügeltüren, die Entscheidung und die Umsetzung haben uns aber viel Zeit gekostet.
Im Betreuten Wohnen sind noch Wohnungen frei. Wann wird das Haus belegt sein?
Mein Ziel ist es, drei bis vier Wohnungen im Monat zu vermieten, sodass wir in einem Jahr dann voll belegt sind. Wir haben zwar viele Vormerkungen, aber die Personen wollen nicht jetzt schon einziehen, sondern später einmal.
Kornwestheim ist in einer recht komfortablen Lage
Ist das sinnvoll, sich jetzt schon fürs Betreute Wohnen anzumelden, auch wenn man erst in einigen Jahren umziehen will?
Beim Betreuten Wohnen macht das Sinn. Warum nicht? Beim Pflegeheim gibt’s keine Wartelisten mehr. Es kommt nur noch jemand ins Pflegeheim, der jetzt gleich einen Platz benötigt. Ohne Not geht niemand mehr ins Pflegeheim. Früher war das anders, das hat sich gewandelt. Da hat man sich angemeldet, wenn man Gesellschaft haben und nicht mehr allein sein wollte.
Bedauern Sie diese Entwicklung?
Natürlich hat es seine Vorteile, frühzeitig ins Betreute Wohnen oder ins Pflegeheim zu ziehen, damit man sich einleben kann und die Vorteile der Einrichtungen nutzen kann. Aber dadurch, dass die Nutzer zum großen Teil alleine oder mit Unterstützung des Sozialamtes für die Kosten aufkommen müssen und der Anteil der Pflegekasse gering ist, ist das für die Betroffenen auch eine finanzielle Frage.
Ist Kornwestheim mit vier Pflegeheimen, wenn wir das in Pattonville hinzurechnen, und einer Reihe von Wohnungen im Betreuten Wohnen ausreichend versorgt?
Ich denke schon. Natürlich kann man über weitere Angebote nachdenken, eine ambulant betreute Alten-WG zum Beispiel. Insgesamt ist Kornwestheim aber gut aufgestellt.
Irgendwann werden auch die Außenanlagen fertiggestellt sein. Gibt’s dann eine große Feier?
Wenn Corona es zulässt. Wir würden gerne ein großes Fest ausrichten – zum einen für die Baubeteiligten, aber auch für die Bewohner, Mitarbeiter, Angehörigen und Nachbarn, die bei einer so langen Bauzeit mitgelitten haben.