Das Bundesverwaltungsgericht erklärt den Bebauungsplan fürs Industriegebiet für unwirksam und gibt damit einem Bürger aus Stuttgart-Stammheim recht.
Kornwestheim - Es sei, berichtet Anne Gabius, die Vorsitzende des Bürgervereins Stuttgart-Stammheim, optisch wie eine „David-gegen-Goliath-Situation“ gewesen. Auf der einen Seite in dem altehrwürdigen Verhandlungssaal des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig saßen die Rechtsanwältin Helena Wirsing und sie selbst als Vertreterin des Klägers, der wegen seines hohen Alters die Reise nach Leipzig nicht selbst angetreten hatte, auf der anderen Seite eine Armada von Vertretern der Stadt Kornwestheim und der betroffenen Firmen. Das Verfahren beim Gericht endete wie in der biblischen Geschichte: David siegte.
Und das schon ein zweites Mal, denn auch der Verwaltungsgerichtshof Mannheim hatte dem Kläger aus Stammheim im Sommer 2019 recht gegeben: Der Bebauungsplan „Am Containerbahnhof-Süd“, der insbesondere für die Ansiedlung einer von Porsche im Drei-Schicht-Betrieb genutzten Logistik- und Montagehalle aufgestellt worden ist, ist unwirksam. Sein Manko: Die Stadt Kornwestheim weist ein Industriegebiet aus, legt aber für alle Teilbereiche Lärmkontingente fest. Nirgends gibt es ein Eckchen ohne Emissionsbeschränkungen, nirgends kann sich ein Produktionsbetrieb ansiedeln, bei dem es auch ein wenig lauter zugeht. De facto, kritisieren die Richter, handelt es sich gar nicht um ein Industriegebiet im Sinne des Baurechts.
So weit, so gut. Das Urteil, das die Leipziger Richter nach einer nur 45-minütigen Verhandlung verkündeten, aber erst in zwei, drei Monaten in schriftlicher Form vorlegen werden, interpretieren die Beteiligten ganz unterschiedlich.
Der Bürgerverein
Anne Gabius spricht von einer „wahren Genugtuung“. Das Bundesverwaltungsgericht habe bestätigt, dass die Stadt Kornwestheim „mit der Festsetzung gleich mehrerer Industrie- und Gewerbegebiete in unmittelbarer Nähe zur schützenswerten Wohnbebauung die Grenzen des rechtlich Zulässigen überschritten hat“. Der Stammheimer Bevölkerung, sagt sie, „muss nach diesem Sieg endlich der Lärmschutz zuteil werden, der einer Wohnbebauung rechtlich gebührt“. Der Verein geht davon aus, dass in Folge des Leipziger Urteils der Lärmschutz massiv verbessert und der Betriebsablauf bei Porsche eingeschränkt werden muss.
Die Stadt Kornwestheim
Der Erste Bürgermeister Daniel Güthler, der selbst in Leipzig dabei war, geht derzeit nicht davon aus, dass sich für Bürgerinnen und Bürger in Stammheim de facto etwas ändern wird. Ja, die Stadt habe einen planungsrechtlichen Fehler begangen, indem sie für das ausgewiesene Industriegebiet zu viele Betriebe ausgeschlossen habe, sagte er gegenüber unserer Zeitung. Das habe aber nichts damit zu tun, was der Kläger aus Stammheim beanstande, nämlich einen zu hohen Lärmpegel. Die Stadt, so berichtete Güthler, habe vor wenigen Tagen in Stammheim Lärmmessungen durchgeführt, um feststellen zu können, ob in dem Stuttgarter Stadtteil wegen des (vermeintlichen) Industriegebiets auf Kornwestheimer Seite tatsächlich die Grenzwerte überschritten würden. Noch liegen die Ergebnisse dieser Erhebung allerdings nicht vor.
Wie geht’s weiter? Die Stadt will das schriftliche Urteil aus Leipzig abwarten, bevor sie entscheidet, wie sie verfährt. Möglicherweise, so der Baubürgermeister, reiche es, den bestehenden Bebauungsplan besser zu begründen, und ihn so, wie es im Fachjargon heißt, zu „heilen“. Vielleicht müsse das Bebauungsplanverfahren aber auch ganz von vorne gestartet werden.
Sicher ist, dass sich die Beteiligten wieder vor Gericht treffen werden. Ein weiteres Verfahren gegen den Bebauungsplan „Im Bereich Sigelstraße“ ist beim Verwaltungsgerichtshof in Mannheim bereits anhängig. Die Kläger bemängeln, dass es für den Süden Kornwestheims nur ein Verfahren hätte geben dürfen. Die Stadt versuche, mit der Stückelung mehr Gewerbeansiedlung möglich zu machen. Zudem hat ein Stammheimer Bürger Widerspruch gegen die Baugenehmigung der Porsche-Halle eingelegt. Das Verfahren liegt beim Regierungspräsidium auf Eis, weil man dort das Urteil aus Leipzig abwarten wollte. Und dann sehen die Stammheimer aber auch die Stadt Stuttgart in der Pflicht. „Sieben Morgen“ sei vor 30 Jahren fälschlicherweise als Mischgebiet ausgewiesen worden, obwohl es sich um ein Wohngebiet handele. Der Bürgerverein fordert einen neuen Bebauungsplan.