Die Geschichte der Witbooi hat auch weitere Bezüge zu Baden-Württemberg. Die Familienbibel und die Peitsche des legendären Anführers der Witbooi-Namas, Hendrik Witbooi (ca. 1830-1905), haben nämlich bis Ende Februar 2019 zu den Beständen des Stuttgarter Lindenmuseums gehört. Foto: dpa/Johanna Absalom

Vor 115 Jahren hat die Schutztruppe des deutschen Kaiserreiches im heutigen Namibia den Aufstand der Herero und Nama grausam niedergeschlagen.

Was schreibt ein Soldat wohl auf seine Postkarte von Gobabis (heute in Namibia) nach Münchingen, der gerade auf Befehl seines Kaisers, 11 000 Kilometer von der Heimat entfernt abkommandiert wurde, um an der fast völligen Auslöschung zweier Völker teilzunehmen? Er schreibt: „Liebe Freunde, es ist eine sehr schöne Gegend. Die herzlichsten Grüße sendet Euch Lieben allen und auf ein baldiges Wiedersehen, Euer Jakob.“ Die 115 Jahre alte Postkarte aus Deutsch-Südwestafrika zeigt die Essensausgabe in einem Witbooi-Lager – einem der Konzentrationslager, in dem viele hundert Menschen gestorben sind.

 

Das Volk der Witbooi gehört eigentlich zu den Orlam, welche wiederum aus der Verbindung von am Kap ansässigen Niederländern und Nama-Frauen (oftmals abschätzig auch Hottentotten genannt) hervorgegangen sind. Sie waren also kein Stamm. Durch ihr Wirken im Umfeld der Niederländer hatten sie oft Lesen und Schreiben gelernt, Kenntnisse in der Landwirtschaft erworben. Sie beherrschten auch den Umgang mit Gewehren. Witboois tragen weiße, verknotete Tücher um die Kalotte und Krempe ihrer Hüte, um sich von anderen Nama zu unterscheiden. Daraus und durch ihre Kontakte zu den Weißen hat sich auch der Name des Familienverbands entwickelt: Witbooi bedeutet „weißer Junge“. Die Nähe zu den niederländischen Seeleuten wurde auch dadurch deutlich, dass die Häuptlinge der Witbooi Kapitän oder Kaptein genannt wurden.

Streben nach mehr Land

Im ausgehenden 18. Jahrhundert war Pella, südlich des Oranje-Flusses im heutigen Südafrika, das Hauptsiedlungsgebiet der Witbooi. Ab etwa 1855 zogen sie über den Oranje-Fluss nach Norden und ließen sich im Hochland nieder. 1868 nahm Kapitän Kido Witbooi den christlichen Glauben für sein Volk und sich an. Nach langer Wanderschaft fanden die Witbooi erst 1863 einen bleibenden Stammessitz bei Gibeon im heutigen Namibia.

In ihrem Streben nach mehr Land kamen die Witbooi in den 1880er Jahren in Konflikt mit den Hereros. Diese schlossen darauf 1885 einen Schutzvertrag mit dem Deutschen Kaiserreich. Die häufigen Attacken unter dem Kaptein Hendrik Witbooi auf die Herero führten dazu, dass die deutsche Schutztruppe verstärkt wurde. Das erste Gefecht Witboois gegen die Schutztruppe fand 1893 bei Hornkranz im damaligen Deutsch-Südwestafrika statt. Nach dem erfolglosen Aufbegehren gegen die deutsche Kolonialherrschaft schloss der Kaptein 1894 nun selbst einen Schutzvertrag mit dem Befehlshaber Theodor Leutwein ab. Darin verpflichtete er sich auch zur Unterstützung der Schutztruppe.

Schlacht am Waterberg

Entsprechend dieser Verpflichtung kämpften die Witbooi 1904 bei der Schlacht am Waterberg deshalb auch auf deutscher Seite gegen die aufständischen Herero. Erst nach den dabei zutage tretenden Grausamkeiten wandten sich die Witbooi von den Deutschen ab. Im Oktober 1904 teilte Hendrik Witbooi dem deutschen Chef des Bezirksamtes Gibeon, Henning von Burgsdorff mit, dass der Vertrag von vor zehn Jahren nicht mehr gelte. Burgsdorff machte sich auf den Weg zu Witbooi. Doch in dessen Quartier wurde er erschossen. Damit weitete sich der im Januar 1904 ausgebrochene Aufstand der Herero in Deutsch-Südwestafrika zu einem Aufstand der Herero und Nama aus.

Dieser Konflikt sollte sich zum ersten Völkermord im 20. Jahrhundert entwickeln, der während und nach der Niederschlagung der Aufstände von 1904 bis 1908 stattfand. Der durch Existenzängste geschürte Aufstand begann im Januar 1904 mit dem Angriff der Herero unter Samuel Maharero auf deutsche Einrichtungen und Farmen. Da die Schutztruppe der Kolonie dem anfangs nicht gewachsen war, entsandte die Reichsleitung etwa 15 000 Mann unter dem Befehl von Generalleutnant Lothar von Trotha, der den Aufstand bis zum August 1904 niederwarf. Der größte Teil der Herero floh daraufhin in die fast wasserlose Omaheke-Wüste. Trotha ließ diese abriegeln und Flüchtlinge von den wenigen dort existenten Wasserstellen verjagen, so dass Tausende mitsamt ihren Familien und Rinderherden verdursteten.

Der Guerillakrieg beginnt

Angesichts dieser grausamen Vorfälle erhoben sich im Oktober 1904 die Nama unter ihren Kapteinen Hendrik Witbooi und Jakob Morenga. Von der Kriegsführung gegen die Herero lernend, vermieden die Nama eine offene Schlacht gegen die deutsche Besatzung und begannen einen Guerillakrieg. Von Trotha ging mit etwa 1500 Soldaten, 20 Geschützen und zwei Maschinengewehren gegen die etwa 750 mit Gewehren bewaffneten Kämpfer Witboois vor. Einem Versuch, sie einzukesseln, konnten sich die Witbooi entziehen.

Im Verlauf des Nama-Krieges erlitten die Witbooi schwere Verluste, und auch Hendrik Witbooi starb 1905 an den Folgen einer Schussverletzung. Der Krieg wurde von Jakobus Morenga und Simon Kooper sowie dem Sohn Hendrik Witboois, Isaak Witbooi, fortgeführt, bis auch sie im Dezember 1905 die Waffen strecken mussten. Morenga und Kooper jedoch setzten den Widerstand bis zu ihrem Tode 1907 und 1908 fort. Durch den Tod Witboois, Morengas und weiterer Anführer demoralisiert, fügten sich schließlich fast alle Nama-Gruppen den deutschen Unterwerfungsverträgen, so dass der Krieg am 31. März 1907 für beendet erklärt wurde, also zweieinhalb Monate nachdem Jakob Maurer, seine Postkarte nach Münchingen an den Metzgermeister Theodor Jeutter abgeschickt hatte.

Doch damit war die koloniale Vernichtungspolitik aber noch nicht beendet. Die gefangenen Herero und Nama wurden in eigens für sie errichtete Konzentrationslager gebracht. In den Lagern starb annähernd jeder zweite Insasse.

Post von Jakob Maurer

Ein solches Lager zeigt auch die Postkarte des Untergefreiten Jakob Maurer vom 18. Januar 1907 nach Münchingen, die mit dem Dienstsiegel der Kaiserlichen Schutztruppe (Ersatzkompanie) abgestempelt ist. Von dem um 1904 auf bis zu 80 000 Personen geschätzten Hererovolk lebten 1911 nur noch 20 000 Personen. Der Völkermord in Deutsch-Südwestafrika hatte also bis zu 60 000 Herero sowie etwa 10 000 Nama das Leben gekostet.

Am 9. Juli 2015 bezeichnete der damalige Präsident des Deutschen Bundestages, Norbert Lammert, die Kolonialverbrechen zum ersten Mal als Völkermord. Anfang Oktober 2015 erkannte die deutsche Regierung erstmals auch in einem offiziellen Dokument des Auswärtigen Amts die Massaker an den Herero und Nama als Völkermord an. Doch abschließend offiziell geklärt ist dieses dunkle Kapitel der deutschen Geschichte immer noch nicht.