So schrill wie ernst ist die Zeit vor rund 50 Jahren gewesen. Eine Ausstellung im Heimatmuseum Münchingen zeichnet die Siebziger mit vielen Erinnerungsstücken nach. Darin betten die Macher die für die Stadt bedeutende politische Entwicklung ein.
Hippie-Klamotten, Servierwagen, orange-braun gemusterte Tapeten. Das prägte die 1970er Jahre auch in Korntal-Münchingen. Einerseits. Andererseits – angesichts der im Gefängnis im nahen Stuttgart-Stammheim einsitzenden RAF-Terroristen – waren da eine erhöhte Polizeipräsenz im Ort sowie harte politische Auseinandersetzungen, um eine ungewollte Eingemeindung zu vermeiden. Es waren bewegte Zeiten, diese 1970er-Jahre, nicht nur in Korntal-Münchingen. Dort aber ist von Freitag an eine Ausstellung zu sehen, die diese Zeit in Erinnerung ruft. „Vielfalt und Gegensätze: von den 70ern bis heute“ lautet der Titel der Schau im Jubiläumsjahr dieser Stadt mit dem Bindestrich im Namen: Vor 50 Jahren wurden die beiden bis dahin selbstständigen Dörfer Korntal und Münchingen zu einer Stadt zusammengeschlossen.
Eine Reaktion auf übergeordnete Ziele
Der Antrieb für die Entwicklungen in Korntal und Münchingen sei einst die Verwaltungsreform zwischen 1968 und 1975 gewesen, heißt es dazu in der Ausstellung. „Man sah die Notwendigkeit, größere Verwaltungsbezirke zu schaffen, um ein höheres Maß an Leistungsfähigkeit zu erzielen.“ Eine Stadt sollte die Bedürfnisse der wichtigsten Lebensbereiche – Wohnen, Arbeiten, Freizeit – befriedigen können. Im Stuttgarter Umland sollten nur noch Kommunen mit mindestens 20 000 Einwohnern zugelassen werden. Die Landesregierung unterstrich ihr Ansinnen, indem sie den Kommunen bei einem Zusammenschluss finanzielle Anreize versprach. Diskutiert wurden diverse Zusammenschlüsse, unter anderem aber auch die Bildung eines Zweckverbands zwischen Münchingen, Schwieberdingen, Hemmingen, Markgröningen und Korntal. In der Schlussphase der Reform versuchte Stuttgart „Gebietsgewinne zu erzielen“, wie es in der Ausstellung heißt. Stuttgart forderte daher sowohl die Eingemeindung von Korntal als auch Gerlingen sowie eine Grenzkorrektur, was die Eingemeindung des Münchinger Ortsteils Kallenberg zur Folge gehabt hätte. Bei einer Bürgerversammlung im April 1973 in Münchingen votierten 95 Prozent der anwesenden für einen Anschluss mit Korntal, sollte die Selbstständigkeit nicht weiterhin gewahrt werden können.
Heute wird der Zusammenschluss nicht mehr ernstlich diskutiert, die Unterschiede zwischen Korntal und Münchingen sind allenfalls noch Anlass für Debatten, die letztendlich doch vor allem dazu dienen, das Selbstbewusstsein der jeweiligen Stadtteile zu stärken. Die Gesamtstadt habe sich „viel besser entwickelt, als gedacht“, sagt auch Ewald Gaukel. Der Münchinger hat die Zeit ebenso bewusst miterlebt, wie der zweite Vorsitzende des Heimatvereins, Richard Schaible. Gaukel, der selbstständige Malermeister erinnert sich nicht nur an die politischen Diskussionen, sondern auch an die bunten Farben, die damals die Raumgestaltung prägten. Schaible wiederum verweist etwa an die Polizeipräsenz abends auf den landwirtschaftlichen Feldwegen in Korntal-Münchingen, die im Deutschen Herbst zu den „bestbewachten Stellen“ im Ort wurden.
Bundespolitik und gesamtgesellschaftliche Strömungen prägen die Ausstellung einerseits. So wird von Trimm-dich-Pfaden erzählt und Tupperware, werden die orangefarbenen Kopftücher für die Erstklässlerinnen in Erinnerung gerufen ebenso wie die erste Spielkonsole, Magnavox Odyssey, ein Pingpong-Spiel. Und doch werden andererseits auch die örtlichen Spezifika herausgearbeitet. So zeichnet die Ausstellung das Wirken des Jugendclubs Korntal-Münchingen nach, eine Einrichtungen, die erst in der Ausstellung präsent wurde, weil sich auf einen Aufruf hin Aktive von einst gemeldet hätten, sagt Miriam Ecker. Zwischen 1973 und 1983 organisierte der Jugendclub mit selbstverwalteter Jugendarbeit im ehemaligen Reformhaus und im Jungendhaus Saal 18 unter anderem Discos, Filmabende und Diskussionsabende. Laut der Nachfolgerin der verstorbenen Museumsleiterin Sabine Rathgeb wurde die Ausstellung in dieser Vielfalt möglich durch Exponate und Informationen, welche die Bürger beisteuerten, durch den Bestand im eigenen Depot, aber auch durch Leihgaben anderer Museen, etwa des Lollipop-Museums, das ein motorisiertes Zweirad zur Verfügung stellte. So steht nun auch ein Mofa von Kreidler in der Ausstellung – ebenso wie eine große, verschlossene Flasche Asbach Uralt. Der Weinbrand ist eine Leihgabe des amtierenden Bürgermeisters Alexander Noack. Die Flasche hatte einst Bürgermeister Peter Stritzelberger erhalten. Der parteilose Verwaltungschef war bis 2007 im Amt, gab mit der Übergabe der Amtsgeschäfte an Joachim Wolf (parteilos) auch den Weinbrand weiter – der diesen schließlich 2023 Alexander Noack überließ.
Eröffnung in wenigen Tagen
Die Ausstellung „Vielfalt und Gegensätze: von den 70ern bis heute“ wird am Freitag, 28. März, um 18.30 Uhr eröffnet. Die Vernissage findet im Widdumhof Münchingen statt, ehe eine Führung im Museum angeboten wird. Die Ausstellung wird von einem Veranstaltungsprogramm umrahmt. So findet zum Beispiel im Juni in einer Kooperationsveranstaltung unter anderem mit der VHS ein Erzähl-Café statt, in dem Erinnerungen an den Zusammenschluss der Ortsteile lebendig werden sollen.