Ukrainische Geflüchtete, die Anfang März in Berlin angekommen sind – mittlerweile haben schon etliche in der Region eine erste Unterkunft gefunden. Foto: dpa/Paul Zinken

Die Hilfsbereitschaft in der Region für Geflüchtete aus der Ukraine ist groß. Koordinationsstellen und Krisenstäbe sollen helfen, bei Unterkunfts- und Spendenangeboten den Überblick zu behalten. Wie regeln das die Landkreise?

Region Stuttgart - Einen „Krieg ohne Waffen“ befürchte er für Deutschland, sagt der Ludwigsburger Oberbürgermeister Matthias Knecht, „einen Wirtschafts- und Cyberkrieg, wir gehen außerdem von einem massiven Einbruch unser regionalen Wirtschaft, möglicherweise doppelt so hohen Energiekosten und drastischen Verzichtsszenarien für unsere Gesellschaft aus“, sagt Knecht.

Doch trotz dieser düsteren Perspektiven: Was er an Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung für geflüchtete Menschen aus der Ukraine erlebe, sei „unglaublich“. 190 Keller- oder Dachzimmer, auch leere Wohnungen, deren Renovierung vorerst verschoben würde, hätten Menschen aus Ludwigsburg bisher angeboten, 54 seien bereits belegt – „nicht über die Landeserstaufnahme, sondern auf direktem Weg über die Stadt“.

Kreisimpfzentrum wird umgenutzt

Diese hat unter Knechts Vorsitz auch einen Krisenstab gebildet. „Momentan wird sehr auf der Basis von Barmherzigkeit und Großzügigkeit geholfen“, sagt der OB, „aber wenn immer mehr Geflüchtete kommen, müssen wir zunehmend in die Verantwortung gehen und zum Beispiel Wohnraum anmieten. Wir werden große Objekte brauchen.“ Einen engen Schulterschluss gibt es bei der Versorgung und Unterbringung von Kriegsflüchtlingen mit dem Landratsamt.

Dietmar Allgaier, der Chef der Kreisbehörde, findet die Hilfsbereitschaft im Landkreis „überwältigend“ – was sich mit den Eindrücken seiner Kollegen in der Region deckt. Der Esslinger Landrat Heinz Eininger dankt Städten und Gemeinden, Rettungs- und Hilfsorganisationen für viel Unterstützung und Engagement: „Wir spüren eine große Hilfsbereitschaft und Solidarität, den flüchtenden Menschen aus der Ukraine zu helfen.“ Um auf den erwarteten Zustrom vorbereitet zu sein, richtet der Landkreis Esslingen in seinem ehemaligen Kreisimpfzentrum ein Geflüchteten-Aufnahmezentrum fürs erste Ankommen und die Vermittlung von Wohnangeboten im Kreis ein. Auf vier Stockwerken will der Kreis die Aufnahme der Menschen, die medizinische Versorgung inklusive Corona-Impfmöglichkeiten und die Unterbringung von bis zu 400 Personen ermöglichen.

Schullandheim als Unterkunft

Im Rems-Murr-Kreis beteuert Landrat Richard Sigel, man werde mit den Städten und Gemeinden „alles tun, um Menschen in Not aus der Ukraine zu helfen“. Die Welle der Hilfsbereitschaft mache ihm Hoffnung in dieser schweren Zeit. Der Kreis, der in den nächsten Monaten sowieso neue Unterkünfte für die reguläre Flüchtlingsunterbringung eröffnen wollte, will nun klären, wie die Kapazitäten kurzfristig ausgeweitet werden können – etwa im kreiseigenen Schullandheim Mönchhof. Derzeit hat der Rems-Murr-Kreis in seinen Gemeinschaftsunterkünften rund 90 Reserveplätze pro Monat eingeplant, die aber kaum ausreichen werden.

Der Landkreis Böblingen, seine Städte und Gemeinden, die in einer gemeinsamen Erklärung „den verabscheuungswürdigen Angriff auf die Ukraine und die kriegerischen Handlungen, die der russische Präsident Putin befohlen hat, auf das Schärfste verurteilen“, haben, wie die anderen Kreise auch,eine zentrale Anlaufstelle eingerichtet. Bürger, die Wohnraum haben, spenden oder sich ehrenamtlich engagieren wollen, können sich dort melden. Man baut dabei auf die guten Erfahrungen bei der Flüchtlingskrise von 2015 und 2016. Der Landkreis prüft derweil, welche Liegenschaften er selbst in petto hätte oder welche Beherbergungsbetriebe oder andere Gebäude er anmieten könnte.

„Vermutlich sind schon wesentlich mehr Menschen angekommen“

Im Landkreis Ludwigsburg weiß man von mittlerweile rund 120 Menschen, die nach ihrer Flucht aus der Ukraine angekommen sind. Man könne das aber nur schätzen. „Uns liegen vereinzelt Meldungen aus Kommunen vor“, berichtet Kreis-Sprecher Andreas Fritz. „Diese Zahl erfasst aber sicher nicht alle Geflüchteten, die in den Kreis Ludwigsburg gekommen sind. Vermutlich sind wesentlich mehr Menschen bereits in privaten Wohnungen bei Familienangehörigen und Bekannten untergekommen und haben sich noch nicht bei den Behörden gemeldet.“ Es gebe im Kreis auch viele Unterbringungsangebote, die sich allerdings ebenfalls nicht genau beziffern ließen – auch Angebote mit mehr als 20 Unterbringungsplätzen seien dabei, aus Rücksicht auf die Verhandlungen wolle man aber noch keine Details nennen.

Kreisübergreifend gilt: Mit guter Koordination kann man besser helfen. „Zuletzt haben die Zentralen des Polnischen und Ukrainischen Roten Kreuzes in einem Appell darauf hingewiesen, dass keine Kapazitäten zur Annahme nicht abgesprochener und nicht angeforderter Hilfeleistungen und Unterstützungsangebote vorhanden sind“, erklärt der Ludwigsburger Landrat Dietmar Allgaier. „So sehr wir die Hilfsbereitschaft begrüßen, ist es doch dringend nötig, Unterstützungsangebote vorab mit den jeweiligen Standortkommunen abzustimmen.“ Den Menschen könne letztlich nur dann adäquat geholfen werden, wenn angemessener Wohnraum, eine sichere Versorgung und auch andere Leistungen wie Kindergartenplätze bereitgestellt werden könnten.

Wer helfen will, findet Infos im Netz

In den Kreisen
Das Landratsamt Ludwigsburg hat auf seiner Website www.landkreis-ludwigsburg.de Informationen und Links zur Ukraine-Krise zusammengestellt. Wer im Kreis Böblingen helfen will oder Wohnraum hat, meldet sich per Telefon-Hotline (07031 / 663 38 38) oder per E-Mail (ukraine@lrabb.de); ein Informationsabend am 10. März zur besseren Koordination soll dazu beitragen, „dass Helfer nicht frustriert werden und Hilfe nicht ins Leere läuft“, sagt der Landrat Roland Bernhard. Infos gibt es zudem auf www.lrabb.de/start/Aktuelles. Infos für den Kreis Esslingen unter www.landkreis-esslingen.de, der Rems-Murr-Kreis bündelt unter www.rems-murr-kreis.de.

In Ludwigsburg
Die Stadt informiert auf ihrer Website www.ludwigsburg.de über die Hilfe-Koordination. Man kann sich auch unter fluechtlingsarbeit@ludwigsburg.de oder Telefon 07141 / 910 45 14 erkundigen. Was andere Folgen der Krise angeht, sagt OB Matthias Knecht, die Stadtwerke könnten Versorgungssicherheit für die Winter 2022 und 2023 gewährleisten, es drohten aber Preissteigerungen. Die IT der Stadt und der Stadtwerke wird auf Cyberangriffe vorbereitet