Grüße aus dem Untergrund: Die sperrig-spröde und wunderbar krachige Musikszene, die vor ein paar Jahren am Stuttgarter Nordbahnhof ihr Zuhause hatte, hat eine nationale Noiserock-Welle ausgelöst. Davon profitieren auch Gewalt und Friends of Gas aus Berlin und München. Am 6. Februar treten die beiden Bands in Stuttgart im Goldmarks auf.
Stuttgart - Patrick Wagner war mal berühmt dafür, das größte Rock’n’Roll-Großmaul Deutschlands zu sein. Das ist fast zwanzig Jahre her. Damals hatte er noch eine Band, die Surrogat hieß, mit der er mit krachiger Musik und schlauen Texten gegen den Zeitgeist polterte. Inzwischen ist Patrick Wagner nicht mehr ganz so berühmt, seine Band heißt jetzt Gewalt. Sich als Großmaul zu inszenieren, hat er aber nicht verlernt. Als vor einigen Tagen die Feuilletons voller Texte waren, die vom Tod Mark E. Smiths, einem der Helden der Rock’n’Roll-Subkultur, und dem neuen Album der Band Tocotronic handelten, postete Wagner auf Facebook: „Zum Glück ist Morgen dieser Mark E. Smith und Tocotronic Spuk rum. Content Marketing Galore.“ Und gerade kündigte er das Konzert, das die Bands Gewalt und Friends of Gas an diesem Dienstag in Stuttgart geben werden, mit dem Slogan „Stuttgart muss zerstört werden!“ an.
Wagner spielt gerne den Provokateur. Vor allem, wenn sich gerade alle anderen auf etwas einigen können, zum Beispiel auf Stuttgart. Die Stadt, die früher bei Berliner Hipstern bestenfalls für Kehrwochen-Witze gut war, gilt heute als Epizentrum einer störrisch-lärmenden und unerhört aufregenden Musikszene. Stuttgarter Bands wie Die Nerven oder Human Abfall sind zu jedermanns Lieblingsband geworden und haben nicht nur zu Stuttgarts popkultureller Ehrenrettung beigetragen, sondern auch einen Noiserock- und Postpunk-Hype ausgelöst. Der hat letztlich Wagner ein Comeback mit seiner neuen Band Gewalt beschert, aber auch neue Bands inspiriert – zum Beispiel Friends of Gas aus München, in der Nina Walser singt.
Dem Indie-Spießertum entkommen
„Ich war schon in jungen Jahren ein brennender Surrogat-Fan“, sagt Walser. Sie hat sich vor der gemeinsamen Tour mit Wagner in Berlin getroffen, schwärmt von der Energie, die Wagners Band damals hatte, und davon, dass Surrogat ganz anders war als alle anderen Bands. „Es ging ja auch darum, diesem Indie-Spießertum zu entkommen und dieser verlogenen deutschen Bescheidenheit“, sagt Wagner. Am Ende setzten sich dann aber doch die Bands durch, die für Wagner letztlich Indiespießer sind, Blumfeld oder Tocotronic zum Beispiel – „Oh, Gott, es gewinnen im Kapitalismus immer die Buchhalter!“ Wagner löste 2003 Surrogat auf, machte lange Zeit gar keine Musik mehr.
Die Popmusik bevorzugt zwar Erfolgsgeschichten. Doch Walser und Wagner sind sich einig, dass Scheitern sein muss, wenn man Kunst machen will. „Scheitern zuzulassen, beziehungsweise keine Angst davor zu haben oder gar nicht darüber nachzudenken ist für mich eine Voraussetzung, um etwas zu schaffen“, sagt Walser. „Ich bin da voll bei Nina“, sagt Wagner, „das Streben nach Erfolg ist die Wurzel vielen Übels. Geld verdienen ist in einem solchen Maße langweilig und ermüdend.“
Aber nicht nur das Bekenntnis zum Scheitern verbindet die Bands der beiden. Die Musik von Gewalt und Friends of Gas, die grandios zwischen Aggression und Frustration oszilliert und viele Leerstellen lässt, wird bestimmt von roher Eindringlichkeit, von repetitiven Strukturen, von der Intensität des Gesangs. „Auch im Umgang mit Sprache und Text gibt es gewisse Parallelen“, sagt Walser. Tatsächlich zeichnen sich die Texte beider Bands durch eine extreme Verknappung der Sprache aus, Gewalt-Songs wie „Wir sind sicher“ oder „Limiter“ und Friends-of-Gas-Nummern wie „Kollektives Träumen“ oder „Einknick“ gleichen irritierenden Assoziationsketten.
Bei Friends of Gas entstehend die Songs zwar im Proberaum. „Ich schreibe die Texte aber unabhängig von der Musik“, sagt Walser. Am Anfang jedes Gewalt-Songs steht immer nur der Text und der Beat. Wagner ist sowieso der Meinung, dass „die Texte eigentlich der Song sind: Musik finde ich nebensächlich“. Da ist sie wieder, die trotzige Verweigerungshaltung, die viele der Noiserock-Bands prägt.
Bei Wagners Gewalt geht die Ablehnung aller Konventionen sogar so weit, dass er sich dem in der Musikindustrie immer noch üblichen Albumformat widersetzt und nur Singles veröffentlicht: „Wir mögen es einfach, den Moment einzufangen, versuchen die Singles immer aufzunehmen, wenn wir sie gerade schreiben und den Liedern den Moment zu geben, der ihnen gebührt“, sagt er, „wer kann sich noch an den Titel Nummer neun von irgendeinem Album erinnern?“ Wer aber glaubt, Patrick Wagner wäre bloß ein arroganter, wütender, frustrierter Nein-Sager, der nichts und niemanden gelten lässt, liegt falsch. Denn tatsächlich gerät er – seinem „Stuttgart muss zerstört werden“-Slogan zum Trotz – fast ins Schwärmen, wenn er über Stuttgarter Bands spricht. Über Human Abfall zum Beispiel, die er kürzlich sogar als seine Lieblingsband bezeichnet hat, und auf die er sich dann doch ganz schnell mit Nina Walser einigen kann. „Da ist jeder Moment ein Fest“, sagt er. Oder auch auf Die Nerven, die letztlich der Grund dafür waren, dass es Friends of Gas gibt.
Wenn Nein-Sager schwärmen
Max Rieger, Gitarrist und Sänger der Band, hat „Fatal schwach“, das Debütalbum von Friends of Gas, produziert. Und Kevin Kuhn, der Nerven-Schlagzeuger, ist auf „Guter Junge Böser Junge“, der aktuellen Gewalt-Single, zu hören: „Kevin hat auf Kochtöpfen herumgehauen. Er ist ein großartiger Musiker und fantastischer, wahrhaftiger Mensch. Für mich ist es ein Geschenk, mit solchen Leuten etwas zu tun zu haben“, sagt Wagner und man fragt sich, wo auf einmal dieses größte Rock’n’Roll-Großmaul Deutschlands abgeblieben ist.